Von der Pelztasse zum geschmähten Oppenheim-Brunnen
Die Pelztasse und Man Rays Aktfotos haben die junge Schweizer Surrealistin Meret Oppenheim in den 30er-Jahren weltberühmt gemacht.
Im Kunstmuseum Bern ist ab Freitag die umfassendste je in der Schweiz gezeigte Retrospektive zu sehen. Rund 220 Gemälde, Zeichnungen und Objekte geben Einblick in ihr vielfältiges Schaffen.
Meret Oppenheim hat zeitlebens die Gemüter erhitzt. Zuletzt mit ihrer Brunnen-Skulptur für den Berner Waisenhausplatz 1983. Als Schandmal, Pissoir, Fabrikschlot oder Minarett – kurz als deplatziert – wurde der säulenartige Brunnen in gehässigen, kunstfeindlichen Polemiken bezeichnet.
Die eigens wegen des Oppenheim-Brunnens gegründete Vereinigung «Heit Sorg zu Bärn» forderte gar eine Versetzung desselben in den Bremgartenfriedhof oder ins Marzili-Bad. Doch der Brunnen ist geblieben und zeigt sich nun im Sommer von wucherndem Moos und Gras, im Winter von Eis überzogen.
Meret Oppenheim, die unter den Feindseligkeiten gelitten hatte, war nicht nachtragend. Nach ihrem Tod 1985 überliess sie einen Drittel ihres Nachlasses dem Kunstmuseum Bern. Mit diesem reichen Grundstock, späteren Ankäufen und Leihgaben konnte nun die Retrospektive «mit ganz enorm wenig viel» realisiert werden.
Nicht ohne die Pelztasse
Drei Jahre hat die Vorbereitung gedauert, bis schliesslich auch die begehrte «Pelztasse» aus dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) in Bern eintraf. «Ohne Pelztasse wollte ich die Ausstellung nicht machem», erzählt Kunstmuseums-Direktor Matthias Frehner.
Doch das MoMA habe lang auf seiner Devise beharrt, dass die Pelztasse grundsätzlich nicht ausleihbar sei. Bis das weltberühmte Museum seinerseits das Berner Kunstmuseum für eine Leihgabe anfragte.
«So konnten wir die Pelztasse für die Dauer der Ausstellung schliesslich gegen ein Stück aus unseren Beständen eintauschen», sagt Frehner mit Genugtuung.
Doch das Erstaunlichste an der Berner Retrospektive ist gar nicht die Pelztasse – sie hatte Meret Oppenheim 1936 in den Kunstolymp katapultiert -, sondern die zahlreichen, bisher weniger bekannten Objekte und Bilder der eigenwilligen Künstlerin.
Träume und Alltagsgegenstände werden Kunst
So etwa die Bronzeskulptur «Sechs Wolken auf einer Brücke», in der die traumhafte Leichtigkeit des Gegenstands mit dem Gewicht des Materials geerdet wird. Oder ein altes Auspuffrohr, das sich durch karge Bemalung in eine mächtige Traumgestalt verwandelt: «Die Termitenkönigin».
Begonnen hatte die Karriere der 1913 in Berlin geborenen Meret Oppenheim im Kreis der Surrealisten um Max Ernst, Marcel Duchamp und André Breton im Paris der 30er-Jahre.
Als 20-Jährige liess sie sich – nackt und mit Maschinenöl verschmiert – von Man Ray fotografieren. In der Folge kämpfte sie gegen ihr Image als Muse und für ihre künstlerische Eigenständigkeit. In Paris hat sie gelernt: «Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen.»
Plötzlicher Erfolg und lang andauernde Krise
Der plötzliche Erfolg mit der «Pelztasse» machte Oppenheim zum Mythos, auf den sie in der Folge immer wieder reduziert wurde. Sie geriet darauf in eine schwere und lang andauernde Schaffenskrise. Das Ölgemälde «Die Steinfrau» bringt die Erstarrung und Ohnmacht in weichen Grün- und Ockertönen zum Ausdruck.
Die Ausstellung im Kunstmuseum ist nicht streng chronologisch, sondern thematisch aufgebaut: «Dies entspricht der Arbeitsweise der Künstlerin, die frühere Einfälle oft erst nach Jahrzehnten wieder aufgenommen hat», erklärt Kuratorin Therese Bhattacharya-Stettler.
Ein eigener Raum widmet sich dem Thema «Genoveva und ihre Echos». Neben einem Gedicht über die wegen eines vermeintlichen Ehebruchs in den Wald Verstossene – eine romantische Legendenfigur -, sind hier ein Aquarell-Entwurf, ein Gemälde und schliesslich eine karge, brüchig wirkende Holzskulptur zu sehen, eine Werkgruppe, die über fast 30 Jahre hinweg entstanden ist.
Inspirationsquelle für viele
Meret Oppenheim war eine wegweisende Figur der modernen Kunstgeschichte und beeinflusste jüngere Schweizer Zeitgenossen wie Jean Tinguely, Franz Eggenschwiler und Daniel Spoerri. Sie selbst hat sich nie vereinnahmen lassen, weder durch die Surrealisten der 30er-Jahre, noch durch die Feministinnen der 70er-Jahre.
Von Meret Oppenheim gibt es trotz ihres Ruhms noch viel zu entdecken: Selbstdarstellungen, aus Träumen aufgestiegene Gebilde und Metamorphosen, Gedichte, Skizzen und Experimente, verspielte Objekte von abgründigem Humor: «mit ganz enorm wenig viel».
swissinfo, Susanne Schanda
Meret Oppenheim wurde 1913 als Tochter eines deutschen Vaters und einer Schweizer Mutter in Berlin geboren. Einen Teil ihrer Kindheit und Jugend verbrachte sie in Basel.
Seit 1927 beschäftigte sich mit der Traumlehre von C. G. Jung.
1932 beschloss sie, Künstlerin zu werden und zog nach Paris, wo sie sich dem Surrealistenkreis anschloss.
Oppenheims bekannteste Objekte «Frühstück in Pelz» und «Ma gouvernante – my nurse – mein Kindermädchen» entstanden 1936 in Paris.
Ab 1938 lebte sie in Basel und anschliessend in Bern, wo nach einer lang andauernden Krise in den 50er-Jahren eine intensive Schaffenszeit begann.
Die letzten 30 Jahre lebte und arbeitete sie in Bern und Paris.
1983 wurde auf dem Waisenhausplatz in Bern der von Oppenheim entworfene Brunnen eingeweiht, der heftige Kontroversen auslöste.
1985 starb Meret Oppenheim in Basel und wurde in Carona bestattet.
Die Retrospektive Meret Oppenheim im Kunstmuseum Bern, «mit ganz enorm wenig viel», dauert bis zum 8. Oktober 2006.
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