Vor 25 Jahren warf der FC Lugano Inter Mailand aus dem UEFA-Cup
(Keystone-SDA) Mit einem Sieg gegen Inter Mailand feiert der FC Lugano 1995 sein europäisches Highlight. Inter-Goalie Gianluca Pagliuca patzt zweimal gegen José Carrasco. Mit Lugano geht es danach aber bergab.
Duelle mit Klubs aus der Serie A sorgen im Tessin seit jeher für erhöhten Puls. So war es 1990, als die AC Milan zu einem Freundschaftsspiel im Cornaredo antrat, und so war es umso mehr im Herbst 1995, als dem FC Lugano in der 1. Runde des UEFA-Cups Inter Mailand zugelost wurde. Weil Trainer Roberto Morinini die Mannschaft in der Vorsaison in der NLA auf den 2. Platz führte und weil es beim Wunschgegner gerade drunter und drüber ging, konnten die Tifosi endlich von einer europäischen Sternstunde träumen. An der krassen Aussenseiterrolle änderte dies freilich nichts.
Es goss aus Kübeln am Tag des Hinspiels im Cornaredo. 12’300 Zuschauer, mehr passten nicht ins Stadion, trotzten dem Wetter und sahen, wie sich das Heimteam trotz frühem Gegentreffer durch Roberto Carlos achtbar schlug und wie Inters Goalie Gianluca Pagliuca mithalf, dass das Duell bis zum Rückspiel einigermassen offenblieb. 25 Minuten vor Schluss liess Italiens Nationalgoalie einen Corner von José Carrasco direkt ins Tor segeln.
Carrascos zweiter Lucky Punch in Mailand
Zeitzeugen vergleichen die Atmosphäre mit jener von 1949 im letzten Heimspiel gegen GC vor dem Meistertitel, dem letzten von drei des FC Lugano. Der eigentliche Coup gelang den Luganesi dann zwei Wochen später in Mailand. Begünstigt durch die Turbulenzen beim Gegner – am Tag vor dem Rückspiel entliess Inter den Trainer Ottavio Bianchi (der ehemalige Inter-Spieler Luis Suarez übernahm) und mit Paul Ince und Nicola Berti fehlten zwei Leistungsträger – bezwang Lugano Inter im Giuseppe-Meazza-Stadion 1:0.
Die Mannschaft von Roberto Morinini war ausgezeichnet organisiert, reihenweise stellte die von Mauro Galvão dirigierte Abwehr Inters Sturm um Maurizio Ganz ins Abseits. Alsbald beschränkten sich die Offensivszenen des Heimteams auf eher verzweifelt denn entschlossen wirkende Weitschüsse. Dass in der 86. Minute ein vermeintlich harmloser Freistoss Carrascos von links des Strafraums an Freund und Feind und dem auf dem falschen Fuss erwischten Pagliuca vorbei ins Tor fand, passte ins Bild, das Inter abgab.
Während sich die italienischen Medien auf den in beiden Begegnungen patzenden Pagliuca einschossen und dieser von den «schlimmsten Momenten meiner Karriere» sprach, sah der zweimalige Standard-Torschütze Carrasco einen Triumph des Kollektivs. «Wir waren eine Einheit, Inter nicht», befand Carrasco, dessen Eltern nach seiner Geburt aus Chile in die Schweiz gezogen waren.
Ernüchterung in der 2. Runde
Es war Luganos bedeutendster Erfolg auf internationaler Ebene. Erst zum zweiten Mal nach 1993 (im Cup der Cupsieger) erreichte der Klub die 2. Runde eines Europacup-Wettbewerbs. Entsprechend gross war die Euphorie. «Inter hat nicht etwa schlecht gespielt, sondern wir waren einfach sehr stark. In der 2. Runde sind nur Milan, Barcelona und Bayern München für meine Mannschaft ausser Reichweite», schwärmte Trainer Morinini.
Dass die Worte zu hoch gegriffen waren, zeigte sich bald. Lugano schied in der 2. Runde gegen Slavia Prag mit einem 0:1 auswärts und einem 1:2 zuhause aus und bekundete in der Liga bis zuletzt grosse Probleme. Als Zehnter in der Zwölferliga musste die Mannschaft in die Auf-/Abstiegsrunde, wo sie sich auch noch von den Young Boys und dem FC Zürich überholen liess und zwischenzeitlich auf einen Abstiegsplatz abrutschte. Als Vierter schaffte Lugano den Ligaerhalt schliesslich gerade noch. Morinini musste seinen Trainerposten am Saisonende räumen und wurde durch Michel Pont ersetzt.
Jerminis krumme Geschäfte
Später stellte sich heraus, dass die Tessiner zu jener Zeit massiv über ihren Verhältnissen lebten. Es war die Zeit mit Helios Jermini. Der Treuhänder und Finanzjongleur sass seit 1987 im Vorstand des Klubs, ab 1995 fungierte er als alleiniger Geldgeber, von 1996 bis zu seinem Tod im Jahr 2002 war er der Präsident. Gerüchte über unsaubere Geldflüsse existierten schon länger, liessen sich aber zunächst nicht erhärten. Erst nach Jerminis rätselhaftem Tod im März 2002 – der 63-Jährige wurde tot aus seinem Auto im Luganersee geborgen, laut Pathologie handelte es sich um Suizid – trat das Ausmass zutage.
61 Millionen Franken, zu diesem Ergebnis kam die Tessiner Staatsanwaltschaft, veruntreute Jermini von 1983 bis zu seinem Tod. Davon sollen 45 Millionen auf den Konten des FC Lugano gelandet sein. Mehrere Spieler waren mit zwei Verträgen ausgestattet, die offiziellen Papiere beinhalteten nur einen Teil des Lohnes, der Rest wurde in einem internen Dokument festgehalten.
Die 73,5 Millionen Franken, die Jermini als Schuldenberg hinterliess, führten 2002 zum Konkurs. 2003 erfolgte unter dem Namen AC Lugano der Neustart in der 2. Liga interregional, 2004 die Fusion mit dem Challenge-League-Klub Malcantone Agno, 2008 die Rückbenennung in FC Lugano. Grössere Erfolge als der Aufstieg in die Super League (2015) und die Qualifikation für die Europa League 2017 und 2019 blieben seither aber aus.