Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Weltkrieg verkürzt – Norditalien gerettet

Oberstleutnant Max Waibel, 1947 Keystone Archive

Der ehemalige Schweizer Major Max Waibel konnte durch seine Vermittlung im Frühjahr 1945 die Kapitulation der deutschen Truppen in Norditalien antizipieren und den Krieg verkürzen.

An diese Leistung wird am Donnerstag im Schweizer Zentrum von Mailand erinnert.

Dem Andenken an die Vermittlung des Schweizers zwischen den kriegsführenden Parteien in Italien hat sich die Gruppe “Sunrise ’05” verschrieben. Der Name stammt von der damals streng geheimen “Operation Sunrise”.

Waibel selber gilt heute in der Schweiz als verkannt und vergessen. Dass dem so ist und die historischen Verdienste von Max Waibel (1901- 1971) wenig bekannt sind, dürfte unter anderem daran liegen, dass der Bundesrat die Berichte über seine geheimen Verhandlungen zwischen Vertretern Deutschlands und der Alliierten lange Zeit unter Verschluss hielt.

Das Engagement des ehemaligen Majors passte nicht gut ins Neutralitätsbild der Schweiz.

Auszüge seines Berichts wurden schon im Juni 1945 von der “Weltwoche” publiziert. Doch erst 1981, 35 Jahre nach den Ereignissen, gab Bundesrat George-André Chevallaz, damals Chef des Eidgenössischen Militärdepartements, seine Einwilligung in die integrale Veröffentlichung des von Waibel geschriebenen Buchs.

Er erschien unter dem Originaltitel: “1945 – Kapitulation in Norditalien – Originalbericht des Vermittlers”.

Abgespielt haben sich die Ereignisse zwischen dem 21.Februar 1945, dem Tag als der italienische Industrielle Luigi Parrilli über seinen Freund Max Husmann, Leiter des Internats Zugerberg, mit Waibel Kontakt aufnahm, und dem 29.April 1945, dem Tag der Kapitulation in Caserta.

Geheime Verhandlungen in Ascona

Parrilli wusste dank seiner Verbindungen zu deutschen Offizieren von der Absicht Hitlers, bei einem Rückzug Norditalien zerstört zurückzulassen, und strebte deshalb eine rasche Waffenruhe an.

Die Verhandlungen zwischen deutschen und alliierten Stellen waren, auch logistisch, kompliziert und drohten mehrmals zu scheitern. Sie erfolgten vorab im Tessin, in Ascona und Lugano.

Im Garten des Hotels “Eden Roc” von Ascona ist bis heute das Häuschen zu sehen, wo eines der Treffen stattfand.

Waibel kommt offenbar vor allem das Verdienst zu, unermüdlich und trotz vieler Krisen am Ziel eines frühzeitigen Waffenstillstands festgehalten zu haben. Er kontaktierte unter anderen auch Allen W. Dulles, den Chef der amerikanischen Geheimpolizei in Bern.

Seiner Überzeugungsarbeit war es wesentlich zu verdanken, dass sich schliesslich der in Italien die SS kommandierende General Wolff entschloss, keine Befehle aus Deutschland mehr entgegenzunehmen und gemeinsam mit Heinrich von Vietinghoff, der in Italien die Wehrmacht befehligte, über Bevollmächtigte in Caserta die Kapitulation zu unterzeichnen, die dann wahrscheinlich auch die Gesamtkapitulation am 7. Mai in Reims beschleunigte.*

Mit der “Operation Sunrise” konnte von Schweizer Boden aus, wie Historiker inzwischen überzeugt sind, der Weltkrieg um 6 bis 8 Wochen verkürzt werden.

Zudem liess sich die von Hitler für Norditalien gewollte Strategie der verbrannten Erde verhindern. Viele Menschenleben konnten vor dem Tod, Kulturstätten und wichtige Infrastrukturen Norditaliens vor der Verwüstung gerettet werden.

Initiative eines Mailänders

Der 1939 in Mailand geborene und inzwischen im Tessin lebende und eingebürgerte Alfred Ardizzi ist von dieser Geschichte nicht mehr los gekommen. Ihm ist es massgeblich zu verdanken, dass inzwischen eine Unterstützergruppe die Erinnerung an die historische Leistung Waibels wach hält.

Die Gruppe “Sunrise 05” will im Jahr 2005 ein grosses Symposium in Erinnerung an die 60.Wiederkehr der “Operation Sunrise” veranstalten. Ein wichtiges Mitglied der Gruppe, der ehemalige Divisonär Hans Rapold, hat sich um eine Neuauflage von Waibels “Orginalbericht” gekümmert, der inzwischen im Novalis-Verlag erschienen ist. Bundesrat Joseph Deiss führt das Ehrenpatronat an.

Vor einem Jahr veranstaltet die Gruppe in Ascona eine Gedenkveranstaltung. Am Donnerstag findet erstmals eine Konferenz zu diesem Thema in Italien statt.

Wichtige italienische Historiker, darunter Sergio Romano (Kommentator für den “Corriere della Sera”) und Giorgio Rumi (Professor für Zeitgenössische Geschichte an der Università degli Studi von Mailand), halten Referate.

Auch positive Aspekte beleuchten

“Wir wollen, dass die Geschichte Waibels nicht nur in der Schweiz, sondern auch bei den damals kriegsführenden Ländern, Italien, Deutschland und den Alliierten, vor allem in Grossbritannien und den USA, besser bekannt wird”, sagt Ardizzi gegenüber swissinfo.

Die Konferenz im Schweizer Zentrum von Mailand, die unter anderem vom Schweizerischen Generalkonsulat unterstützt wird, sei ein erster Schritt in diese Richtung.

Ardizzi ist es wichtig, durch die Aktivität der Gruppe “Sunrise 05” auch die positiven Seiten im Handeln der Schweiz am Ende des Zweiten Weltkriegs aufzuzeigen.

In den letzten Jahren habe man unter dem Eindruck der Vorwürfe aus den USA einzig die negativen Aspekte beleuchtet. Die Arbeit der Gruppe stehe nicht im Kontrast zum Bergier-Bericht über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg.
 

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 7. Mai 2003 publiziert. Der mit einem Stern markierte Abschnitt wurde am 2.1.2022 leicht überarbeitet und ergänzt. Gegenüber der ursprünglichen Fassung wird nun deutlich, dass Karl Friedrich Otto Wolff SS-Obergruppenführer war und Heinrich von Vietinghoff die Wehrmacht in Italien befehligte. Beide hatten Anteil an den geheim geführten Vermittlungsgesprächen und mussten in die Kapitulation einwilligen.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft