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Wie der Ukraine-Krieg die nächste globale Nahrungsmittelkrise befeuert

Distribution of wheat
Die Zahl der Hungernden am Horn von Afrika könnte in diesem Jahr von 15 Millionen auf 20 Millionen ansteigen, da die Region mit der schlimmsten Dürre seit vierzig Jahren konfrontiert ist. Der Krieg in der Ukraine hat den Weizenpreis in die Höhe getrieben und belastet die Region, die in hohem Masse von Importen aus der Ukraine und Russland abhängig ist, zusätzlich. Keystone / Claire Nevill

Der Krieg hat die globalen Lieferketten von Nahrungsmitteln, Treibstoff und Düngemitteln mit einem Schlag unterbrochen. Für Millionen Menschen insbesondere auf dem afrikanischen Kontinenten spitzt sich damit die schon zuvor dramatische Lage weiter zu.

Anfangs 2022 sah sich das Horn von Afrika mit der dritten schweren Dürre innerhalb eines Jahrzehnts konfrontiert. Die Region litt in den letzten Jahren bereits unter einer Wüstenheuschreckenplage, der Covid-19-Pandemie, hohen Lebensmittelpreisen und langwierigen Konflikten, die sie besonders anfällig für eine neue Krise machten.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) befürchtete, dass es zu einer humanitären Katastrophe kommen würde, wenn die Hilfe für die Region nicht rasch aufgestockt werden könnte. Sie hatte geplant, in den nächsten sechs Monaten in Äthiopien, Somalia und Kenia 1,93 Millionen Menschen in ländlichen Gemeinden zu unterstützen, um dort eine Verschlechterung der Hungersituation zu verhindern.

«Seit Anfang des Jahres hat sich die Situation verschlimmert», sagt David Phiri, der subregionale Koordinator der FAO für Ostafrika. Die Regenzeit, die von März bis Mai dauert, hat der Region bisher unterdurchschnittliche Niederschläge gebracht, so dass sie nun mit der schlimmsten Dürre seit vierzig Jahren zu kämpfen hat.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) warnt, dass die Zahl der Hungernden am Horn von Afrika in diesem Jahr von 15 Millionen auf 20 Millionen ansteigen könnte.

In West- und Zentralafrika könnten mehr als 40 Millionen Menschen nicht in der Lage sein, ihren Grundnahrungsmittelbedarf zu decken.

«Verschiedene Faktoren haben zusammengewirkt und zu einer drastischen Verschlechterung der Ernährungssicherheit in der Region geführt», sagt Ollo Sib, leitender Referent für Forschung, Bewertung und Überwachung für West- und Zentralafrika beim WFP. «All das war noch vor dem Krieg in der Ukraine», fügt er hinzu.

Auswirkungen des Krieges in der Ukraine

Der Krieg in der Ukraine hat die globalen Versorgungsketten unterbrochen und die Preise für Lebensmittel, Kraftstoffe und Düngemittel innert Kürze auf ein Rekordhoch getrieben.

Der FAO-Lebensmittelpreisindex, der die weltweiten Preise für einen Korb von Rohstoffen abbildet, erreichte im Februar und dann erneut im März ein Allzeithoch. Der monatliche Anstieg (Feb.-März: 12,6 %) war der zweithöchste, seit der Index 1990 eingeführt wurde. Im April stabilisierte sich der Index leicht unter seinem Höchststand.

Ausschlaggebend für den Anstieg waren die Preise für Getreide und Pflanzenöl, die aufgrund der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Lieferketten in die Höhe schnellten. Russland und die Ukraine sind die wichtigsten Exporteure von Getreide wie Weizen, Mais sowie von Pflanzenölen wie Sonnenblumenöl. Russland ist auch ein führender Exporteur von Düngemitteln.

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«Die Unterbrechung der Lieferkette ist eine Katastrophe für die Länder Westafrikas», sagt Sib. «Die Region ist in hohem Masse von Importen abhängig – und zwar von Lebensmitteln und Düngemitteln aus der Ukraine und Russland.»

Der Preisanstieg bei Weizen hat sich bereits auf die Menschen in der Region ausgewirkt. «Der Preis für Brot ist in einigen Ländern um 20 % gestiegen», sagt Sib. «Das ist ein wichtiges Signal, denn Brot ist nach wie vor das Hauptnahrungsmittel für die schwächsten Bevölkerungsgruppen, vor allem für diejenigen, die in städtischen Gebieten leben», erklärt er.

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Aber auch die hohen Preise für Treibstoff und Düngemittel drohen die Ernährungslage in der Region in Zukunft weiter zu verschlechtern.

Die meisten Bäuer:innen in West- und Zentralafrika sind für subventionierte Düngemittel auf die Regierungen angewiesen. Laut Sib werden viele Regierungen nicht in der Lage sein, die überhöhten Preise zu zahlen. Wenn sich die Landwirtschaftsbetriebe die in diesem Jahr benötigten Düngemittel und Kraftstoffe nicht leisten können, wird auch die Nahrungsmittelproduktion im nächsten Jahr beeinträchtigt.

Rückschläge für humanitäre Organisationen

Auch die Hilfsorganisationen haben die Auswirkungen der unterbrochenen Lieferketten und der steigenden Preise zu spüren bekommen.

Das WFP bezog früher mehr als die Hälfte des Getreides aus der Ukraine und Russland. Jetzt gibt die Organisation zusätzlich 71 Millionen Dollar pro Monat aus, um die gleiche Anzahl von Menschen zu erreichen wie vor dem Krieg. Mit diesem Geld könnten sonst vier Millionen Menschen einen Monat lang mit täglichen Lebensmittelrationen versorgt werden.

Das WFP unterstützt Gemeinden in Ländern, die vom Krieg betroffen sind. Im Jemen sind 13 Millionen Menschen von 31 Millionen Einwohner:innen auf das WFP angewiesen.

Nach Angaben von Sib sind die Aktivitäten des WEP in West- und Zentralafrika ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Hilfsorganisation unterstützt nationale Schulspeisungsprogramme, die unabhängig laufen. Doch einige Regierungen, sagt er, wenden sich nun an das WFP, weil sie sich bestimmte Nahrungsmittel nicht mehr leisten können.

Das WFP verteilt auch Bargeld an die Menschen in der Region, damit sie Lebensmittel kaufen können. Aber angesichts der steigenden Preise hat sich die Kaufkraft dieser Gelder inzwischen verringert.

Nahrungsmittelschutz

Phiri und Sib befürchten, dass die internationale Gemeinschaft angesichts steigender Preise – wie in den ersten Tagen der Covid-19-Pandemie – zuallererst auf sich selber schaut. Die Länder könnten dem Vorrang einräumen, wovon sie kurzfristig selbst am meisten profitieren, und dabei ignorieren, was langfristig für die Welt am besten ist.

«Diese beiden Krisen – die Pandemie und der Krieg in der Ukraine – haben gezeigt, dass viele Länder zum Protektionismus neigen», sagt Sib.

Einige Länder, darunter Russland und die Ukraine, haben die Weizenexporte eingeschränkt oder verboten, um ihre heimische Lebensmittelversorgung zu schützen. Indien, der zweitgrösste Weizenproduzent der Welt, steigerte die Ausfuhren, um die durch den Krieg in der Ukraine entstandene Lücke zu schliessen.

Nun wird jedoch befürchtet, dass die ungewöhnlich hohen Temperaturen in Indien im März und April die Weizenproduktion beeinträchtigen. Das könnte die Behörden dazu veranlassen, Ausfuhrbeschränkungen einzuführen.

Indonesien, das mehr als die Hälfte des weltweiten Palmöls produziert, kündigte im vergangenen Monat ein Ausfuhrverbot für das weltweit meistgehandelte Pflanzenöl an.

Nach Angaben des International Food Policy Research Institute (IFRI) haben 19 Länder Ausfuhrverbote für Lebensmittel verhängt, die gemessen an der Kalorienzahl zwölf Prozent des weltweiten Lebensmittelhandels ausmachen.

Das gesamte UNO-System – vom Generalsekretär bis zu den Spitzen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF), des Welternährungsprogramms (WFP) und der Welthandelsorganisation (WTO) – hat die Regierungen in aller Welt aufgefordert, Exportverbote und -beschränkungen aufzuheben und die Lebensmittel- und Energiemärkte offen zu halten.

Am 6. Mai gaben 51 der 164 Mitgliedsstaaten der WTO, darunter das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union, eine Erklärung ab, in der sie sich dazu verpflichteten. Wichtige Anbauländer wie Indien, Indonesien, Brasilien und Argentinien waren jedoch nicht unter ihnen.

Rechtzeitig genügend Mittel

Ende letzten Jahres schätzten die Vereinten Nationen, dass im Jahr 2022 weltweit 274 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen würden. Diese Zahl dürfte nun deutlich höher liegen.

«Das weltweite menschliche Leid war schon beispiellos, bevor die Ukraine explodierte», sagt Jan Egeland, Generalsekretär der Nichtregierungs-Organisation Norwegian Refugee Council (NRC).

Sowohl das Welternährungsprogramm (WFP) als auch die FAO bewerten derzeit ihren Bedarf für den Rest des Jahres neu. «Die Zahl der Menschen, deren Ernährung nicht gesichert ist, steigt mit der Verschlechterung der Lage», sagt Sib. «Unser ursprünglicher Reaktionsplan war wirklich präventiv. Aber jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir auf ein wachsendes Problem reagieren müssen», sagt Phiri.

Es ist nach wie vor schwierig, genügend Geld zu beschaffen – und das auch noch rechtzeitig. Letzten Monat haben die Vereinten Nationen eine erfolgreiche Spendenaktion für die Dürre am Horn von Afrika mitorganisiert. Die Geber erreichten fast den gleichen Betrag, zu dem die humanitären Organisationen aufgerufen hatten. Aber nicht alle Krisen wurden in gleichem Masse unterstützt. Bei einem ähnlichen Aufruf für den Jemen Anfang des Jahres kam weniger als ein Drittel der von den Hilfsorganisationen geforderten Summe zusammen.

«Wir müssen sicherstellen, dass die Geberländer keine Mittel aus den Hilfsbudgets für andere Krisen abziehen, um die Lücken in der Ukraine zu schliessen. Das hätte erhebliche Folgen für Millionen von Menschen», so Egeland.

Sowohl Phiri als auch Sib weisen darauf hin, dass Hunger zu Konflikten führt – und dass es daher wichtig ist, nicht nur auf die aktuellen humanitären Bedürfnisse zu reagieren, sondern auch in die Entwicklung zu investieren, um widerstandsfähige Systeme aufzubauen.

«Ohne politische Stabilität wird es schwierig sein, die Ziele der Ernährungssicherheit zu erreichen», sagt Sib.

Mit Unterstützung von Abdelhafidh Abdeleli. Datenvisualisierung von Pauline Turuban.

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