Wie die Tabaklobby die Schweizer Politik beeinflusst
In einem kürzlich veröffentlichten internationalen Ranking wird die Schweiz als eines der Länder bezeichnet, in denen die Tabakindustrie den grössten Einfluss auf die Politik hat. Die Gründe dafür sind die Ansiedlung der grössten internationalen Tabakgiganten im Land. Aber auch die notorische Durchlässigkeit zwischen dem Parlament und privaten Interessen, sprich der Lobbyismus.
Die Schweizer Bevölkerung stimmt am 13. Februar über eine Volksinitiative ab, die sich gegen die Tabakwerbung richtet, die Jugendliche und Kinder erreichen könnte. Die zahlreichen Gesundheits- und Jugendorganisationen, die das Anliegen initiiert haben, wollen die Gesetzgebung an jene Regelungen angleichen, die in anderen Teilen Europas im Kampf gegen das Rauchen gelten.
>> Darum geht es bei der Abstimmung vom 13. Februar:
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Verbot von Tabakwerbung kommt vor das Volk
Die Schweiz ist jenes Land in Europa, in dem das Rauchen am wenigsten reguliert wird. In der neuesten Ausgabe der europäischen Studie Tobacco Control ScaleExterner Link, die den Grad der Tabakprävention misst, wurde 2019 nur Deutschland schlechter eingestuft. Wie die Website Watson.chExterner Link anmerkt, hat die deutsche Regierung in der Zwischenzeit jedoch das Verbot der Tabakwerbung generell eingeführt.
In der Schweiz hingegen hat sich seit Jahren nichts getan. Die Initiative ist eine direkte Reaktion auf die Ablehnung eines früheren Tabakgesetz-EntwurfsExterner Link durch das Parlament im Jahr 2015.
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«Man kann nicht Jugendlichen das Rauchen verbieten und gleichzeitig für Zigaretten werben»
Erst nach der Lancierung der Volksinitiative verabschiedete das Parlament unter Druck im Oktober 2021 ein neues Tabakproduktgesetz, das im Übrigen immer noch nicht den Anforderungen des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs entspricht.
Die Zurückhaltung des Parlaments in dieser Angelegenheit hindert den Bund daran, diesen Vertrag zu erfüllen, den er 2004 unterzeichnet, aber nie ratifiziert hat.
Grosse Nähe zur Politik
Alle Versuche, die Massnahmen zur Tabakprävention zu verstärken, sind gescheitert, weil ein nicht unerheblicher Teil der Schweizer Politikerinnen und Politiker den Zigarettenherstellern zudient.
Die Tabakindustrie hat praktisch freie Hand, ihre Interessen bei den Abgeordneten durchzusetzen. Der Global Tobacco IndexExterner Link, eine von Gesundheitskreisen erstellte Rangliste, schätzt die Schweiz als eines der Länder ein, in denen der Einfluss der Tabakindustrie auf die Politik am stärksten ist (Platz 79 von 80 Ländern, nur die Dominikanische Republik rangiert noch tiefer).
Der Global Tobacco Index (Globaler Index der Einflussnahme der Tabakindustrie) wird vom Global Centre for Good Governance in Tobacco Control (GGTC) erstellt, einem Partner des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC).
Er basiert auf 20 Indikatoren, die den Richtlinien dieses Rahmenübereinkommens entsprechen, und misst die Bemühungen der Regierungen, den Einfluss der Tabakkonzerne einzudämmen.
Für die Bewertung wird ein Punktesystem verwendet. Je höher die Punktzahl, desto schlechter schneidet das Land ab und desto grösser ist der Einfluss der Industrie. Die aktuelle Ausgabe wurde im November 2021 veröffentlicht.
Die Schweiz wird aufgrund ihrer Anfälligkeit für Interessenkonflikte besonders schlecht bewertet. Nichts hindert die Tabakindustrie daran, sich an der Politikgestaltung zu beteiligen, Kandidierende oder Parteien zu finanzieren; Partnerschaften zwischen Regierungsangestellten und Zigarettenherstellern sind legal, ohne Transparenzpflicht. Im Jahr 2019 kam es beispielsweise zu einem Skandal, nachdem bekannt wurde, dass Philip Morris den Schweizer Pavillon auf der Expo 2020 in Dubai sponsern würde.
Vor allem aber erlaubt das Schweizer System der Interessenbindungen den Abgeordneten, sich neben ihren Ämtern von Interessengruppen, Verbänden und Unternehmen bezahlen zu lassen. André MachExterner Link, Autor des Buchs «Groupes d’intérêts et pouvoir politique» (Interessengruppen und politische Macht), erklärt: «Dies schafft eine sehr starke Durchlässigkeit zwischen Abgeordneten und privaten Interessen.»
«Das bedeutet nicht, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier systematisch den Parolen der Interessengruppen folgen, aber es ist ein Indikator für Nähe», sagt der Professor am Institut für politische Studien der Universität Lausanne.
Die schlechte internationale Platzierung der Schweiz überrascht ihn nicht: «Es ist seit langem bekannt, dass die Lobbys, speziell die der Tabakindustrie, hier im politischen Leben besonders präsent sind», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Interessenbindungen sind Funktionen, die Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier neben ihrem politischen Mandat ausüben können, sei es in Privatunternehmen, Wirtschaftsverbänden, Nichtregierungs-Organisationen, Gewerkschaften oder öffentlichen Institutionen.
Diese Mandate, ob ehrenamtlich oder entgeltlich, gehen nicht auf die hauptberufliche Tätigkeit zurück. Unter dieser allgemeinen Bezeichnung findet man sowohl den Vorsitz im Verwaltungsrat eines grossen Unternehmens als auch die freiwillige Unterstützung eines lokalen Vereins.
Interessenbindungen sind legal und werden oft als untrennbar mit der Schweizer Ausnahme des Milizsystems dargestellt – der Tatsache, dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern die Politik nicht als Beruf ausüben und davon ausgegangen wird, dass sie eine Erwerbstätigkeit beibehalten.
Die Mandate müssen von den gewählten Abgeordneten bei Amtsantritt und zu Beginn jedes Jahres angegeben werden.
Diskrete, aber mächtige Lobby
Während es also völlig legal ist, von einem Tabakkonzern finanziert zu werden und gleichzeitig im Bundesparlament zu sitzen, übt die Industrie ihren Einfluss in Bern eher diskret aus.
Laut der Organisation LobbywatchExterner Link, die sich auf die Überwachung von Lobbyistinnen und Lobbyisten im Parlament spezialisiert hat, gibt es nur einen einzigen Abgeordneten, der eine direkte und explizite Verbindung zur Tabakindustrie aufweist: der rechtskonservative SVP-Nationalrat Gregor RutzExterner Link, der Swiss TobaccoExterner Link präsidiert, den Verband des Tabakhandels in der Schweiz.
«Es gibt weniger Direktmandate als beispielsweise bei Krankenkassen oder Banken, aber das Tabaklobbying wird dennoch stark ausgeübt», sagt Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International SchweizExterner Link. Diese Nichtregierungs-Organisation setzt sich für mehr Regulierung der ausserparlamentarischen Mandate ein.
Einfluss kann besonders über akkreditierte PersonenExterner Link ausgeübt werden. Jede Parlamentarierin, jeder Parlamentarier hat das Recht, zwei frei ausgewählten Personen unbegrenzten Zugang zum Parlament zu gewähren.
Zu diesen VIPs gehören einige Berufslobbyisten, die Zigarettenhersteller zu ihren Kunden zählen, aber auch aktive Mitglieder von Organisationen, die sich für die Interessen der Tabakindustrie einsetzen.
Dies ist zum Beispiel der Fall bei den Generalsekretären von Swiss TabacExterner Link und Swiss CigaretteExterner Link, die von den freisinnigen Westschweizer Abgeordneten Philippe Nantermod und Jacques Bourgeois akkreditiert wurden.
Die Vereinigung Swiss Cigarette wurde von den drei in der Schweiz ansässigen Tabakgiganten Japan Tobacco International (JTI), British American Tobacco (BAT) und Philip Morris (PMI) gegründet.
Zudem kann die Tabakbranche auf die Unterstützung der sehr einflussreichen «allgemeinen» Wirtschaftsverbände Economiesuisse und Schweizerischer Gewerbeverband (SGV) zählen, die beide gegen das Reformprojekt sind. «Viele Abgeordnete sind mit ihnen verbunden und verteidigen auf diesem Weg die Tabakkonzerne», sagt der Geschäftsführer von Transparency International Schweiz.
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«Wir befürchten, dass die Tabakinitiative die Tür für weitere Werbeverbote öffnet»
Mach, der Experte für Interessengruppen, hebt die zentrale Rolle der Allianz der Wirtschaft für eine massvolle PräventionspolitikExterner Link (AWMP) hervor, eine Ablegerin des SGV, die rund 20 Wirtschaftszweige vereint – Akteure der Tabakindustrie, aber auch anderer Sektoren, die indirekt von einer Verschärfung der Tabakpräventions-Massnahmen betroffen wären (Gastronomie, Events, Alkohol usw.).
Für Mach betreibt die AWMP ein «sehr effizientes Lobbying gegen alle Versuche, die Prävention zu verstärken» und «über mehrere Wirtschaftssektoren verbreitet, wodurch die Verzweigungen der Tabakindustrie verschleiert werden können». Unseren Berechnungen zufolge haben Economiesuisse, der SGV und die Mitgliederorganisationen der AWMP insgesamt rund 40 Verbindungen zum Parlament.
Schwergewicht in der Schweizer Wirtschaft
Neben der Tatsache, dass die Tabakindustrie gut vernetzt ist, bezieht sie ihren politischen Einfluss auch aus ihrem wirtschaftlichen Gewicht. Die drei Branchenriesen JTI, BAT und PMI sind seit vielen Jahren in der Schweiz präsent, wo sie ihren Hauptsitz, Forschungszentren und auch Produktionsstätten haben.
Der Kanton Neuenburg zum Beispiel, in dem Philip Morris einen seiner weltweit grössten Standorte hat, lebt immer noch mit der Angst, dass die Aktivitäten des multinationalen Unternehmens eingeschränkt werden könnten.
PMI ist die grösste Arbeitgeberin des Kantons und macht laut Schätzungen des französischsprachigen Schweizer Wirtschaftsmagazins «Bilan»Externer Link die Hälfte der von den Unternehmen in der Stadt Neuenburg gezahlten Steuern aus.
2019 sagte der Berichterstatter des Finanzausschusses des Stadtparlaments in Bezug auf Philip Morris: «Unsere Situation und unsere finanzielle Gesundheit sind von der Situation eines einzigen Akteurs abhängig.»
Eine Studie des Beratungsunternehmens KPMG (sie wurde 2017 von Philip Morris in Auftrag gegeben) schätzte, dass der Tabaksektor mehr als 6000 direkte Arbeitsplätze bietet und jährlich mehr als sechs Milliarden Franken (etwa 1% des Schweizer BIP) an direkten und indirekten Beiträgen erwirtschaftet.
«Diese Situation wirkt sich sicherlich auf die Position einiger gewählter Volksvertreter aus und verstärkt die Schwierigkeit, dem Sektor mehr Beschränkungen aufzuerlegen», stellt Mach fest.
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Die Schweiz, Bollwerk der Tabakkonzerne
Das Parlament und die Regierung lehnen die Initiative, die am 13. Februar dem Stimmvolk vorgelegt wird, als übertrieben ab. Umfragen scheinen jedoch darauf hinzudeuten, dass die Bevölkerung für die Initiative empfänglich ist.
«Wenn die Initiative durchkommt, wäre das ein Ereignis und ein sehr grosser Erfolg für die Gesundheitskreise», sagt Mach. «Denn genau um das Parlament und all diese Hindernisse zu umgehen, haben sie das Instrument der Volksinitiative ergriffen.»
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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