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William Turner – Alter Meister der Moderne

Niedergang einer Lawine in Graubünden, 1810, Öl auf Leinwand. Kunsthaus Zurich/Tate

Das Kunsthaus Zürich widmet dem Landschaftsmaler William Turner eine Ausstellung. Sein Schaffen ist verknüpft mit einer künstlerischen Revolution.

Das Kunsthaus Zürich eröffnet mit Joseph Mallord William Turner (1775-1851) das Kunstjahr 2002. Nach Cézanne im Jahre 2000, Alberto Giacometti im Jahre 2001 steht nun mit Turner «das grösste und ambitionierteste Projekt» auf dem Programm, wie Christoph Becker, Direktor des Kunsthauses ausführte.

In Zusammenarbeit mit der Tate Gallery in London – zum ersten Mal schickt diese bedeutendste Werke ihrer umfangreichen Turner-Sammlung auf den Kontinent – und dank Leihgaben aus internationalen Museen und Privatsammlungen, sind in Zürich rund 180 Exponate ausgestellt.

Darunter sind zahlreiche der berühmtesten Gemälde: Ansichten aus der Schweiz, Italien, Deutschland, England. Ölgemälde, Aquarelle, Skizzenbücher.

Aussergewöhnliche Begabung

1775: In Nordamerika beginnt der Unabhängigkeitskrieg gegen England. In Deutschland wird das erste gusseiserne Gleis geschaffen. In London wird J.M. William Turner am 23. April als Sohn eines Barbiers geboren. Ganz der Tradition folgend sollte auch William dereinst in die Barbierstube des Vaters treten, was jedoch an der aussergewöhnlichen Begabung des Jungen scheiterte. Zum Glück, wie die Geschichte gezeigt hat.

William malt fleissig Aquarelle, beginnt im Alter von fünfzehn Jahren eine Ausbildung, lernt die Regeln der Perspektive kennen und fertigt Architekturzeichnungen an. Bereits als 20-Jähriger hat er bereits mit nahezu sämtlichen Arten der Landschaftsmalerei experimentiert.

Er steht in der Tradition englischer Landschaftskunst, dem Malen in der «freien» Natur und hat Ambitionen, diese zuweilen als mindere Kunstgattung gehandelte Kunst ins rechte Licht zu rücken. Dasselbe gilt auch für das Aquarell. Turner wird beides zur Vollendung bringen: aquarellierte Landschaften und Landschaften in Öl.

Turner in der Schweiz

Die Ausstellung in Zürich beginnt mit dem jungen Turner, mit einem Selbstporträt des 24jährigen Künstlers. Wach blicken seine Augen, offen und neugierig. Alles ist da, wofür Turner später weltberühmt werden wird: Die Dramatik, die Bildkomposition, das Erhabene, die Mythologie und immer wieder die Natur.

William Turner will hoch hinaus, will reisen, will zeitgeistgemäss schöne und pittoreske Landschaften entdecken. Die Natur gewinnt zunehmend an Interesse. So ist das Gebirge, sind Berge nicht mehr bloss angsteinflössende, ungeheure Steinmassen. Nein, Berge sind Sehenswürdigkeiten, sie beflügeln den Geist, zeigen Grösse, vermitteln ein Gipfelerlebnis.

So kommt der reisende Maler auch in die Schweiz. Er sucht die erhabene Szenerie und findet sie in verschiedensten Sujets. Zu bestaunen ist in Zürich – nebst anderen Schweizer Bildern – «Der Rheinfall bei Schaffhausen» (1806). Die ganze Kraft des Wassers drängt den Betrachtenden entgegen, man glaubt das Tosen zu vernehmen, die Gischt im Licht, derweil das Leben am Ufer weitergeht.

Turner zeigt auch die zerstörerische Kraft einer Lawine im Gemälde «Der Niedergang einer Lawine in Graubünden» (1810). In Grau, Weiss, Braun malt Turner virtuos schneegewordenes Chaos.

Eindrücklich ist auch der Saal zu Turners Spätwerk. Auch hier, sein unverändertes Interesse an gewaltigen Naturereignissen. Unwetter, Sonnenuntergänge, Seestürme wechseln sich weiter ab mit der Geschichte Karthagos, der Sintflut. Die Bilder erscheinen zeitweise als reines Licht. Reduzierter zeigen sie bereits in die Moderne.

Gemalte Geschichte

Turner sehen heisst: Geschichte(n) sehen. Seine Bilder zeigen mehr als Momente. Ob Küste, ob Berge, ob Himmel, seine Werke sind mehr als ein gekonntes Abbild der Topografie. Turner sprengt den romantischen (Bilder-) Rahmen, seine Bilder atmen Licht und Schatten, verweisen in die Vergangenheit ebenso wie in die Zukunft.

Die Ausstellung in Zürich bietet nach Essen die zweite Möglichkeit, William Turner ausserhalb Englands zu sehen. Denn die lichtempfindlichen Gemälde werden so schnell nicht mehr auf Reisen gehen. Grund genug für ein Augenbad im Reich eines Lichtkünstlers.

Brigitta Javurek

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