«Die Bürger aus den Händen der Kapitalisten retten»
Die Zürcher Kantonalbank wird 150 Jahre alt. Was heute kaum mehr bekannt ist: Die heute viertgrösste Bank der Schweiz wurde Mitte des 19. Jahrhunderts im Kampf gegen wirtschaftliche Not und für mehr Demokratie gegründet.
Zürich ist in den 1860er-Jahren in Aufruhr. Die sogenannte «Demokratische Bewegung»Externer Link kämpft für mehr Mitspracherechte für die Bürger gegenüber den Eliten. Diese beherrschen die Politik und die Wirtschaft.
Neben den Forderungen nach Referendums- und Initiativrecht, Abschaffung der Todesstrafe und Direktwahl der Kantonsregierung fordert die Opposition auch sozial- und wirtschaftspolitische Reformen im Kanton. Zentrales Element hier war eine staatliche Kantonalbank.
Wirtschaftshistoriker und Archivar Matthias Wiesmann spricht von Kreditnot und zu hohen Zinsen, die im Kanton geherrscht haben. «Das Gewerbe und die Landwirtschaft kriegten kein Geld mehr, um zu investieren.»
Stattdessen sei das Kapital in Eisenbahn- und Industrieaktien geflossen, die viel höhere Renditen versprachen. Eine staatliche Bank sollte den betroffenen Kreisen wieder Kredite «ergeben; «zu vernünftigen Zinsen, die man bezahlen konnte.»
Schliesslich krempelt die «Demokratische Bewegung» in einer «friedlichen Revolution» den Kanton um. 1869 gibt es eine neue Kantonsverfassung und am 15. Februar 1870 erfolgt die Eröffnung der ersten Filiale der Kantonalbank. Seither gilt die Staatsgarantie. Das heisst, im Konkursfall würde der Kanton für die Bank gerade stehen.
Wachstum und Stabilität
Die Zürcher Kantonalbank wächst in der Folge schnell. Sie etabliert sich als Universalbank in Zürich, dem aufstrebenden Finanzplatz der Schweiz und bleibt eine Bank, die hauptsächlich auf den Kanton fokussiert.
Diese Inland-Banken bleiben auch während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre sehr stabil, als Schweizer Grossbanken wegen ihren Auslandsengagements in die Krise geraten.
Und so gehört die Zürcher Bank in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu denjenigen Kantonalbanken, die besonders schnell wachsen. Sie liefert dem Kanton stets einen ansehnlichen Teil des Gewinns – der Kanton gibt der Bank wiederholt grössere unternehmerische Freiheit.
Und so begibt sich die Kantonalbank auch ins Ausland, oder forciert gegen Ende des 20. Jahrhunderts das Handelsgeschäft.
Expansion und Krisen
Das sei, so Historiker Wiesmann, vor allem auch eine Erkenntnis aus der schweren Immobilienkrise der 1990er-Jahre. Die Bank habe realisiert, dass sie breiter aufgestellt sein müsse, sagt er. Die Expansion und das schnelle Wachstum sorgen jedoch auch für die grössten Erschütterungen ihrer Geschichte.
Zum Beispiel 2007, als die Bank im Geheimen einer Gruppe rund um den russischen Oligarchen Viktor Vekselberg hilft, einen grossen Teil des Sulzer-Konzernes zu übernehmen. Das sorgt für heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit, weil die Kantonalbank gleichzeitig auch die Hausbank des Winterthurer Traditionsunternehmens ist.
Im Kantonsparlament löst der Vorfall mehrere Vorstösse aus. Später kommt aus, dass der inzwischen zurückgetretene Konzernchef Hans VögeliExterner Link selber mit Sulzer-Optionen gehandelt haben soll.
Oder 2008, als die Kantonalbank steuerflüchtige UBS-Kunden aufnimmt und damit drei Jahre später ins Visier der US-Justiz gerät. Erst 2018 kommt es zur Einigung mit den US-Behörden und einer Zahlung von rund 100 Millionen Franken.
Heute Liquiditätsschwemme
Hundertfünfzig Jahre nach der Eröffnung der ersten Filiale ist die Zürcher Kantonalbank – gemessen an der Bilanzsumme – zur viertgrössten Bank der Schweiz angewachsen.
Wurde die Bank als Mittel gegen zu hohe Zinsen und Kreditnot gegründet, präsentiert sich die Situation heute grundverschieden: Die Zinsen sind so tief wie nie und angesichts der Liquiditätsschwemme ist die Kreditnot kaum ein breites Thema. So ändern sich die Zeiten.
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