Schweizer Firmen im Griff des Terrors
Manche wussten es schlicht nicht, andere machten aktiv Geschäfte mit Terroristen: Die Sorgfaltspflichten von Schweizer Unternehmen wurden nach dem 11. September 2001 auf eine harte Probe gestellt.
Vor 20 Jahren rasten zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des New Yorker World Trade Centers, Tausende von Menschen starben. Die Anschläge vom 11. September 2001 brachten den globalen «War on Terror» ins Rollen und mit ihm eine gnadenlose Verfolgung von Terroristen und ihren Unterstützern. Auch Schweizer Unternehmen gerieten in den Fokus der US-Behörden. Einige zahlen bis heute für Versäumnisse in der Vergangenheit.
Zum Beispiel SITA mit Sitz in Genf. Im Februar 2020 erklärte sich das Luftfahrtkommunikationsunternehmen, bereit, der US-Regierung 7,8 Millionen Dollar zu zahlen, weil es zwischen 2013 und 2018 Dienstleistungen für Fluggesellschaften erbracht hatte, die von den USA als «Special Designated Global Terrorists» (SDGT) eingestuft worden waren. Konkret waren das Syrian Arab Airlines, Al-Naser Airlines, Mahan Air, Caspian Air und Meraj Air.
Die OFAC erklärte, dass SITA mehr Massnahmen hätte treffen müssen, um die Risiken bei solchen Geschäften zu erkennen. Weil es eng mit den US-Behörden zusammenarbeitete, kam das Unternehmen glimpflich davon. Die Höchststrafe für einen Verstoss gegen die Terrorismus-Richtlinien beträgt 2,45 Milliarden Dollar.
Doch SITA musste Vieles umstellen. Die globale Handelspolitik und die Sanktionen hätten sich seit dem 11. September stark und schnell verändert, sagt SITA-Sprecher Julius Baumann gegenüber swissinfo.ch.
Um Schritt zu halten, musste das Unternehmen sein Compliance-Team verstärken und zahlreiche Rechtsexperten einstellen. «Wir investieren in regelmässige Schulungen und haben auch Compliance-Massnahmen auf den Ebenen Geschäftsleitung und Verwaltungsrat eingeführt, um das Risiko von Verstössen zu minimieren», berichtet Baumann.
«Umgekehrte Geldwäsche»
Auch der Bankensektor ist anfällig für Terrorverbindungen.
«Die Finanzierung des Terrorismus ist oft nur schwer zu erkennen, weil eine Art umgekehrte Geldwäsche stattfindet», erklärt Mario Michel, Experte für grenzüberschreitende organisierte Kriminalität bei Global Initiative. «Das Geld ist sauber, wenn es den Absender verlässt, der Empfänger setzt es aber anschliessend für illegale Zwecke ein. Man müsste den Empfänger überprüfen, aber das geht nicht, weil über ihn meistens keine KYC-Informationen («Kenne deinen Kunden») vorhanden sind.»
Für Aufsehen sorgte 2008 der Fall des Whistleblowers Hervé Falciani, der Missstände bei der Genfer Filiale von HSBC aufdeckte.
Nach Angaben des Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten (ICIJ) wurde festgestellt, dass Kunden, die im Verdacht standen, bereits vor 9/11 die Al-Qaida unterstützt zu haben, Konten bei der Bank besassen. Sie standen auf einer Liste von 20 Namen, die als Bin Ladens «Goldene Kette» bekannt ist. Die Liste wurde 2002 zusammen mit anderen Al-Qaida-Dokumenten von US-Agenten in Bosnien beschlagnahmt.
Nach der Enthüllung der Liste im Jahr 2003 warf ein Unterausschuss des US-Senats der HSBC vor, dass sie diesen Hochrisikokunden besondere Aufmerksamkeit hätte widmen müssen. Doch das tat die Bank nicht.
Letztendlich musste sie den USA eine Geldstrafe von 192 Millionen Dollar zahlen, weil sie 1,26 Milliarden Dollar an nicht deklarierten Vermögenswerten reicher Amerikaner besass. Die Bank wurde zwar nicht für die Betreuung mutmasslicher Terrorismus-Sympathisanten bestraft, musste aber Informationen über geschlossene Konten liefern, für die sich die US-Behörden interessierten.
Auch die grösste Schweizer Bank UBS blieb nicht vor Verfolgung aus Übersee verschont. 2015 stimmte die Bank einem Vergleich zu und zahlte den USA 1,7 Millionen Dollar, weil sie einen Kunden betreut hatte, der wegen Terrorverbindung sanktioniert worden war.
Einen Monat nach den Anschlägen war der UBS-Kunde auf eine schwarze Liste der US-Regierung gesetzt worden. Darauf standen die Namen von Personen, «die Terrorismus begehen, damit drohen oder ihn unterstützen». Obwohl die UBS sowohl Überweisungen auf das Konto als auch Abhebungen blockiert hatte, wickelte sie weiterhin Investitionen und Rückflüsse von Investitionen in den USA ab.
Laut OFAC wussten mehrere Mitarbeiter der UBS-Compliance-Abteilung von der schwarzen Liste, «einschliesslich des für die Einhaltung von Sanktionen zuständigen Managers». Trotzdem habe es die Bank versäumt, Schritte oder Massnahmen zu ergreifen, um die UBS daran zu hindern, Transaktionen für den Kunden in oder über die USA abzuwickeln.
«Wir freuen uns, dass wir diese Angelegenheit geklärt haben», sagte ein UBS-Sprecher damals gegenüber Reuters. «Wir haben die relevanten Transaktionen entdeckt und sie der OFAC freiwillig zur Kenntnis gebracht.»
«Ein perfektes System existiert nicht»
Die Probleme, mit denen die UBS konfrontiert war, betrafen den gesamten Bankensektor. Die Zuständigen mussten verhindern, Unternehmen oder Personen, die auf Terrorlisten aufgeführt waren, zu bedienen.
Laut Monika Dunant, Sprecherin der Schweizerischen Bankiervereinigung, wirkten sich sowohl die Verschärfung der Gesetze zur Bekämpfung der Geldwäsche nach 9/11 als auch die von der UNO beschlossenen Wirtschaftssanktionen gegen Terrorgruppen auf die Banken aus.
«Neben den Vereinten Nationen veröffentlichten Staaten wie die USA eigene Sanktionslisten», sagt Dunant. «Die Banken waren verpflichtet, Vermögenswerte einzufrieren, Rückstellungen zu untersagen und Meldepflichten für eingefrorene Vermögenswerte zu erfüllen.»
Eine 2018 vom Beratungsunternehmen KPMG durchgeführte Umfrage zur Finanzkriminalität im Bankensektor ergab, dass 86 Prozent der 50 befragten Schweizer Banken die Behörden in den letzten drei Jahren über ein Finanzdelikt informiert hatten. Rund 40 Prozent hatten in zusätzliche Mitarbeiter und IT-Systeme investiert, aber nur 18 Prozent ein spezialisiertes Team zur Untersuchung von Finanzkriminalität aufgebaut.
«Man wird nie ein perfektes Compliance-System haben», sagt Global-Initiative-Experte Mario Michel. «Oftmals werden Entscheidungen auf Grundlage eines risikobasierten Ansatzes getroffen.»
«Eine Bank sieht nur Teile eines Puzzles. Sie kann die mit dem Konto verbundenen Transaktionen einsehen und kennt den Hintergrund des Kunden, wenn sie ihre Sorgfaltspflicht gut erfüllt hat. Dennoch muss sich die Bank auf die Geschichte verlassen, die der Kunde ihnen erzählt», erklärt er. «Und wenn diese Geschichte plausibel ist, gibt es keinen Grund, die Transaktion näher zu untersuchen.
So könne eine Bank normalerweise nicht wissen, was der Kunde mit Konten bei anderen Banken macht. «Wenn sie alles wüsste, wäre es einfacher, Fehlverhalten aufzudecken.» Aber das sei nicht möglich: «Es gibt zum einen rechtliche Beschränkungen, zum anderen wäre es eine zu grosse Aufgabe für die Compliance-Beauftragten», so Michel.
Stattdessen müssten die Banken auf Technologien wie künstliche Intelligenz setzen, um verdächtige Transaktionen besser zu erkennen. Auch die Einstellung von mehr Compliance-Beauftragten kann helfen. Aber Kriminelle lernen, ihre Spuren zu verwischen, und in den letzten Jahren hat die Kryptowährung neue Techniken ermöglicht, um das System zu umgehen. «Nicht nur wir werden besser, sondern auch die Kriminellen, es wird immer ein Wettkampf sein», sagt Michel.
Zahlungen an den IS
Ein Schweizer Unternehmen, das die Folgen des 11. Septembers noch immer nicht überwunden hat, ist der Zementriese LafargeHolcim. 2016 wurde eine Klage gegen das französische Unternehmen Lafarge eingereicht (dieses fusionierte 2018 mit der Schweizer Firma Holcim).
Ehemalige Mitarbeiter des Lafarge-Werks im Nordosten Syriens warfen dem Konzern vor, Schmiergelder in Höhe von bis zu 13 Millionen Euro an verschiedene bewaffnete Gruppen, darunter die Terrormiliz IS, gezahlt zu haben, um das Werk in Jalabiya in Betrieb zu halten. Dem Unternehmen wurden zudem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
2017 kam eine interne Untersuchung zum Schluss, dass die lokalen Manager «in den besten Interessen des Unternehmens sowie der Mitarbeiter» gehandelt hätten. Der Konzern gab aber zu, dass sein damaliges Compliance-Programm Gesetzesverstösse nicht verhindern konnte.
2019 sprach das Pariser Berufungsgericht das Unternehmen vom Vorwurf der Kriegsverbrechen frei, hielt aber die Anklage wegen Gefährdung von Menschenleben, Finanzierung von Terrorismus und Verletzung eines Embargos aufrecht.
Verschiedene Organisationen legten Berufung ein. Vergangenen Dienstag nun hob das Kassationsgericht die Entscheidung der Vorinstanz auf. Es erklärte, dass ein Unternehmen mitschuldig an Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein könne, auch wenn es nicht aktiv daran beteiligt gewesen sei. Nun müssen Ermittlungsrichter die Anklage wegen Mittäterschaft erneut prüfen.
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