Ethos – Schweizer Stiftung will dem Kapitalismus Moral beibringen
Seit 20 Jahren unterstützt die Stiftung Ethos sozial und ökologisch vertretbare Investitionen. Sie greift auch direkt in die Organisation von Firmen ein, um sie auf gute Unternehmensführung zu trimmen. Doch vom Ende ihres Kampfes ist sie noch weit entfernt, wie sie Anfang Februar in Bern erklärte.
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Die ersten Jahre meiner Karriere arbeitete ich in der Westschweizer Regionalpresse (Print und Radio). Im Jahr 2000 kam ich zu Schweizer Radio International, in der Zeit des Übergangs zu www.swissinfo.ch. Seither schreibe ich über unterschiedlichste Themen, von Politik über Wirtschaft zu Kultur und Wissenschaft; manchmal berichte ich auch in Form kurzer Videobeiträge.
«Die Zürcher Finanzmilieus haben uns lange Zeit als ‹Rote› behandelt», erinnert sich Dominique Biedermann amüsiert. Der Genfer hat die Anlagestiftung vor 20 Jahren gegründet und während der letzten 18 Jahre auch geleitet. Doch ein Blick auf die rund 250 Eingeladenen unter den Kronleuchtern des Berner Fünf-Sterne-Hotels Bellevue reicht, um festzustellen, dass EthosExterner Link bei weitem keine gefährliche revolutionäre Zelle ist.
Ursprünglich war Ethos die Idee zweier Pensionskassen (privatrechtliche Organisationen, welche die zweite Säule des Schweizer Pensions-Systems verwalten), die das Geld ihrer Versicherten nicht einfach irgendwo und irgendwie investieren wollten. Und weil man Aktionär wird, wenn man in grosse Unternehmen investiert, begann die Stiftung bald schon, den Managern dieser grossen Firmen unangenehme Fragen zu stellen.
2005 schafft Ethos den grossen Coup an der Generalversammlung des Nahrungsmittel-Giganten Nestlé und stellt sich dagegen, dass eine Person zugleich Verwaltungsratspräsident und Geschäftsführer sein kann. Durch die Unterstützung von mehr als einem Drittel der Aktionäre erreicht die Stiftung eine Revision der Konzernstatuten und setzt dieser Art von Mehrfach-Mandaten ein Ende.
Heute ist Ethos führend in ihrer Nische und vertritt 223 Pensionskassen, die gemeinsam einen Viertel der 800 Milliarden Franken verwalten, die in der zweiten Säule investiert sind.
Zum 20-Jahr-Jubiläum nun lanciert Ethos ihren eigenen BörsenindexExterner Link, der Unternehmen nach ihrer verantwortungsvollen Geschäftsführung gewichtet. Und in einigen Wochen wird die Anlagestiftung, die bisher nur Pensionskassen offen stand, ihre ersten Privatmitglieder willkommen heissen.
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SRF Tagesschau vom 3. Februar 2017: «Wie die Anlagestiftung Ethos Schweizer Unternehmen veränderte»
Norden plündert Süden
Ehrengast beim Ethos-Jubiläum war Justizministerin Simonetta Sommaruga. Sie lobte das Vorgehen der Stiftung mit Nachdruck, auch wenn betreffend sozialer und ökologischer Verantwortung der Unternehmen noch viel zu unternehmen sei.
«70% der Armen auf der Welt leben in Ländern, die ihrer Rohstoffe beraubt werden», sagte die Bundesrätin der Sozialdemokratischen Partei (SP). Zudem sei die Schweiz Wohnsitzland für einige der Rohstoff-Multis, deren hohe Gewinne häufig auf fragwürdigen Praktiken basierten.
«Hinter dem Erfolg können sich Abgründe verstecken», gab die Ministerin zu bedenken, und erwähnte dabei «die Kinder, die unter sklavenähnlichen Bedingungen und auf vergifteten Böden arbeiten», wie sie es bei einem Besuch von Bauxit-Minen in Guinea mit eigenen Augen gesehen habe – und das sei nur ein Beispiel. Unter lebhaftem Applaus fuhr sie fort, dass «Rendite ethische Kriterien nicht ausschliessen muss».
Das Thema ist Ethos offensichtlich wichtig. So unterstützt die Stiftung etwa auch die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt»Externer Link. Diese wurde kürzlich mit 120’000 gültigen Unterschriften eingereicht. Sie verlangt einen Passus in der Bundesverfassung, in dem unter anderem festgeschrieben wird, dass in der Schweiz ansässige Unternehmen die Menschenrechte und den Umweltschutz einhalten, auch bei ihren Tätigkeiten im Ausland.
Zwar empfiehlt die politisch rechts dominierte Schweizer Koalitionsregierung, das Volksbegehren abzulehnen, doch die Justizministerin erinnerte daran: Das Problem, das die Initiative aufwerfe, «ist real». Selbst in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich, zu dem das Dossier Migration gehöre. «Wenn man in einem Land aufwächst, das einem keine Lebensperspektive bietet, ist das Exil manchmal die einzige Wahl. In diesem Sinn hat das Unternehmensrecht der Schweizer Konzerne sehr wohl etwas mit Fragen der Migration zu tun», sagte Sommaruga.
«Die Welt von morgen schaffen»
Nach 20 Jahren kann Ethos auf einige beachtenswerte Erfolge zurückblicken. Mit dem Aufstieg der Stiftung während der Jahre sei es den «Investoren viel bewusster geworden, wie wichtig ökologische, soziale und Fragen der verantwortungsvollen Unternehmensführung sind», sagt Dominique Biedermann.
Das treffe auf jeden Fall auf die institutionellen Investoren zu. Was die anderen betreffe, werde man sehen, wie viele Ethos bei seiner Öffnung für Privatinvestoren ansprechen könne.
In der Zwischenzeit hat die Anlagestiftung eine Broschüre mit den acht Prinzipien für nachhaltige AnlagenExterner Link veröffentlicht. Dazu gehört für Ethos unter anderem, bei sämtlichen Aktivitäten unabhängig, professionell und transparent zu handeln, Unternehmen auszuschliessen, deren Produkte und Verhalten mit den definierten Werten nicht vereinbar sind, Unternehmen gemäss Umwelt-, Sozial- und Geschäftsführungs-Kriterien zu bewerten und bei der Anlagepolitik den Klimawandel zu berücksichtigen.
Doch das ist noch nicht alles: Wer bei Ethos Mitglied werden will, muss auch systematisch seine Aktionärsrechte wahrnehmen und damit Aktionärsversammlungen besuchen, Fragen stellen, mit dem Management diskutieren, Resolutionen vorstellen und sich mit anderen Aktionären zusammenschliessen. Und sollte dies alles nichts fruchten, schlägt Ethos unverblümt «das Ergreifen rechtlicher Schritte» vor.
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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