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«2009 war eine Rezession, aber keine Krise»

Rolf Jeker, VR-Präsident von Osec Business Network Switzerland. Keystone

Die Schweizer Wirtschaft habe 2009 weniger stark gelitten als andere Länder. Der Einbruch habe vor allem die Exporte betroffen, sagt Rolf Jeker, VR-Präsident des Aussenwirtschaftsförderers Osec. Er stellt aber keine Krise fest, sondern "nur" eine Rezession.

Das Jahr 2009 gilt als das Krisenjahr der Finanz- und Bankenwirtschaft.
Trotz des Gewichts des Finanzplatzes besteht der Hauptteil der Schweizer Wirtschaft nicht aus Banken, sondern aus industriellen Grossunternehmen und KMU.

Diese sind entweder direkt oder als Zulieferer meist stark exportabhängig. Sie seien aber nicht in eine Krise geraten, sondern spürten die Rezession, sagt Rolf Jeker gegenüber swissinfo.ch.

Diese Unternehmen stellen Güter und Dienstleistungen her und reagieren deshalb auf Konjunktureinbrüche anders als die Finanzwirtschaft. Innerhalb dieses realwirtschaftlichen Teils, so Jeker, habe es kleinere Firmen gegeben, die weder Rezession noch Krise gespürt hätten.

Unter einer Rezession versteht man einen zyklisch wiederkehrenden, oft voraussehbaren Rückgang der Konjunktur. Eine Krise hingegen kann ganze Branchen ausradieren, kommt oft überraschend und ist strukturell, nicht konjunkturell bedingt.

In der Schweizer Exportbranche sind nicht nur global vernetzte Grossunternehmen tätig, sondern auch sehr viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und sogar Kleinstunternehmen mit spezifischen Exportnischen. Mit dieser differenzierteren Struktur hebt sich die Exportnation Schweiz vom europäischen Exportprimus Deutschland ab.

swissinfo.ch sprach anlässlich des Osec-Forums der Schweizer Aussenwirtschaft mit Rolf Jeker.

swissinfo.ch: Ist vom wirtschaftlichen Umfeld im vergangenen Jahr die Rede, spricht man generell von Krise, Rezession oder Wirtschafts-Einbruch. Wo genau fand was statt?

Rolf Jeker: Weil der inländische Konsum die Schweizer Wirtschaft unterstützte, wurden wir von der weltweiten Krise weniger erfasst als andere Länder. Der wirklich grosse Einbruch fand in erster Linie bei den Exporten statt.

Somit war 2009 weniger eine Krise, sondern vielmehr eine Rezession. Um einfacher aus dieser Rezession herauszufinden, bleibt auch mehr Spielraum als in anderen Staaten, weil sich der Schweizer Staat weniger verschuldet hat.

swissinfo.ch: Zieht sich die Realwirtschaft nach dem Wirtschafts-Einbruch des vergangenen Jahres jetzt wieder heraus?

R.J.: Der ursprüngliche Einbruch in der Exportindustrie kam ziemlich brüsk. Die Wachstumsraten fielen um 30 bis 40%, teils innerhalb von ein bis zwei Monaten. Dieser Einbruch war auch weniger ersichtlich, weil er in der Öffentlichkeit weniger thematisiert wurde als jener der Banken und Finanzen.

Jetzt sehen wir, dass sich das Blatt seit dem Winter wieder zum Besseren wendet, und zwar mit Zuwachsraten, die nachhaltig erscheinen.

swissinfo.ch: In der Schweiz wird unterschieden zwischen den wenigen Grossunternehmen und dem Hauptharst der zahlreichen KMU. Haben sich diese beiden Unternehmensarten auch unterschiedlich aus dem Rezessionsjahr herausgezogen?

R.J.: Ja. Die grösseren Firmen sind global tätig und deshalb besser diversifiziert. Sie exportieren nicht nur in andere Märkte, sondern haben dort auch Standbeine.

Beispielsweise in Emerging Markets, wo die Rezession viel weniger zu spüren war. KMU hingegen besetzen oft profitable Marktnischen und Spezialitäten im Ausland, sind aber zu klein, um dort eigene Standbeine zu haben.

Neben der Grösse und der Geografie kommt es aber auch auf die Produktepalette des Unternehmens an.

Osec-Umfragen haben interessanterweise ergeben, dass gewisse KMU, vor allem die «Ks», von der Rezession weniger betroffen waren. Diese haben 2009 auch die Zukunft recht optimistisch beurteilt.

swissinfo.ch: Deutet das auf eine spezifische Struktur der Unternehmen hin? Unterscheiden wir uns diesbezüglich vom Exportpionier Deutschland?

R.J.: Im Vergleich zu Deutschland sind wir eher besser positioniert, was die Unternehmensstrukturen unserer Aussenwirtschaft betrifft. Wir sind differenzierter.

Und die hochtechnologische Produktion, wie sie in der Schweiz vielfach existiert, führt weniger zu Arbeitsplatz-Auslagerungen als in Deutschland.

swissinfo.ch: Das müsste positive Auswirkungen auf die Beschäftigung haben. Doch hinken die Arbeitslosenzahlen in der Schweiz hinter den optimistischen Perspektiven gewisser Branchen nach. Weshalb verlaufen diese Tendenzen nicht zeitgleich?

R.J.: Da müssen wir unterscheiden. Einerseits gibt es Spezialisten-Branchen, in denen sowohl während der Rezession als auch jetzt Arbeitskräfte fehlen.

Anderseits gibt es traditionelle Branchen, in denen das Personal nach einer Rezession jeweils erst dann wieder angestellt wird, wenn der Aufschwung als nachhaltig empfunden wird.

Vorher, also in der noch unsicheren Frühphase des Aufschwungs, werden die zusätzlichen Aufträge mit wenig Personal ausgeführt.

Alexander Künzle, swissinfo.ch

Rolf Jeker, geboren 1946, ist Präsident des Verwaltungsrats der Osec (Aussenwirtschafts-Förderung).

Er ist auch Präsident der Stiftung Myclimate, Mitglied des Stiftungsrats der Klimarappenstiftung, der Swisscontact und Mitglied der Aussenwirtschafts-Kommission von Economiesuisse.

Der Volks- und Betriebswirtschafter der Uni St. Gallen war unter anderem Executive Vice-President der Société Générale de Surveillance, stv. Direktor des vormaligen Bundesamtes für Aussenwirtschaft (heute Seco), Präsident der Export-/Investitionsrisikogarantie.

Die Osec fördert als offiziell vom Bund mandatiertes Kompetenzzentrum die Aussenwirtschaft.

Die Osec informiert, berät und begleitet Unternehmen bei ihren internationalen Geschäftsvorhaben.

Die Osec betreibt mit den 16 Swiss Business Hubs weltweit das Netzwerk «Business Network Switzerland».

Neben der Exportförderung vereinigt die Osec auch die Import- und Investitionsförderung und die nationale Standort-Promotion unter einem gemeinsamen Dach.

2008 hat der Bundesrat Massnahmen in Finanz- und Aussenwirtschafts-Politik beschlossen und Arbeitsbeschaffungs-Reserven freigegeben.

In diesem Stabilisierungsprogramm spielt Osec eine wichtige Rolle.

Während die Politik die Freihandelsabkommen ausbaut (Seco im Volkswirtschafts-Departement) und den bilateralen Weg mit der EU weiterführt, unterstützt Osec die Schweizer KMU, damit sie von der Öffnung dieser Märkte im Ausland profitieren und dort mit Geschäftsaktivitäten Fuss fassen können.

Die Osec zählt über 1350 Mitglieder.

Mitte April fand in Zürich das von Osec organisierte 8. Forum der Schweizer Aussenwirtschaft statt.

Es ist der bedeutendste Schweizer Event für exportorientierte Unternehmer.

Thema waren die neuen Spielregeln der Wirtschaftswelt nach der Krise, die veränderte Rolle der EU in der Weltwirtschaft und das Verhältnis Deutschland – Schweiz.

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