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«Das ist eine Zitrone, die schon genug ausgepresst wird»

Andri Silberschmidt, Nationalrat FDP
Andri Silberschmidt, Nationalrat FDP Keystone / Peter Klaunzer

Er sorgt sich um den Standort Schweiz: Der FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt erklärt im Interview, warum er gegen die 99%-Initiative ist. Und was ihre Annahme für Konsequenzen haben könnte.

Am 26. September kommt die 99%-Initiative an die Urne. Das von den Jungsozialisten Juso lancierte Anliegen will Kapitaleinkommen ab einem bestimmten Betrag (die Juso spricht von 100’000 Franken) bei der Steuerberechnung anderthalbfach gezählt werden. Dies, weil die Besteuerung heute nicht gerecht und die Umverteilung nicht ausreichend sei.

Der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt engagiert sich im Gegenkomitee, das die Initiative als «extrem in ihrer Forderung und hochproblematisch in der Umsetzung» bezeichnet. Er wurde kürzlich als Kandidat für eines der angepeilten vier Vizepräsidien der FDP Schweiz vorgeschlagen.

swissinfo.ch: Herr Silberschmidt, beginnen wir mit einem Zitat: «An der Spitze der Einkommensverteilung können die Steuersätze erhöht werden, ohne dass das Wirtschaftswachstum darunter leidet.» Das sagt Kristalina GeorgievaExterner Link, die Direktorin des IWF. Wie klingt das für Sie?

Andri Silberschmidt: Man muss die Situation in der Schweiz betrachten: Wir haben schon heute eine progressive Einkommenssteuer und als eines der einzigen Länder der Welt zusätzlich eine Vermögenssteuer. Zudem ist es so, dass die Vermögenszunahme der letzten Jahre ja nur theoretisch ist, solange der Gewinn auf Aktien nicht realisiert ist. Das ist Geld, das von der Nationalbank gedruckt wird und an die Börse geht – all die Leute, die Aktien besitzen, sind auf dem Papier reicher geworden, sie müssen jetzt aber einfach mehr Geld versteuern.

Die heutige gesamte Steuerlast für UnternehmerInnen ist bereits bis zu 40%. Wird die Initiative angenommen, geht das über 50% hinaus. Jeder Franken wird heute schon in der Firma versteuert: Die Firma zahlt Mehrwertsteuer, der Gewinn wird versteuert, die Dividenden unterliegen der Einkommenssteuer und am Schluss gibt’s noch die Vermögenssteuer. Wenn man sieht, wie hoch die Steuerbelastung also heute schon ist, dann verträgt es sich nicht, eine neue Steuer einzuführen – die dann noch mit den geforderten 150% progressiv gestaltet ist.

Man sollte bedenken, dass ein Zehntel der Schweizer Stimmbürger rund 80% der direkten Bundessteuer zahlen. Und viele Menschen müssen gar keine Steuern zahlen. Das zeigt doch, wie sehr der Staat heute auf die Steuereinnahmen dieser 10% angewiesen ist.

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Finanziell schwächer Gestellte haben wegen der Pandemie weniger Geld zur Verfügung. Auf der anderen Seite der Skala gibt es aber gemäss dem Initiativkomitee immer mehr. Hilft Corona dem Anliegen der Abstimmung?

Im Gegenteil. Wird die Initiative angenommen, werden wir einen Exodus erleben: Einerseits werden Unternehmen verkauft, um die massive Versteuerung zu vermeiden, die auf sie zukommen würde. Andererseits wird es solche geben, die schlicht nicht bereit sind, noch mehr Steuern zu zahlen. Damit würden die Steuereinnahmen in der Schweiz zurückgehen, was eine Mehrbelastung für den Mittelstand bedeuten würde. Kommt die Initiative durch, gibt es schlussendlich einen Boomerang, der genau diejenigen treffen wird, die die Juso entlasten will.

Was wir nach Corona brauchen, ist ein wirtschaftlicher Aufschwung. Im Bereich Innovation und Start-Ups haben wir in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Das würde mit der Initiative zunichte gemacht. Das gefährdet auch direkt Arbeitsplätze in unserem Land.

Es gab ursprünglich einen direkten Gegenentwurf, der vom Parlament abgelehnt wurde. Dieser sah eine Versteuerung der Kapitalgewinne nicht mit 150% vor, sondern mit 100%, also gleich wie Arbeitseinkommen. War das kein guter Kompromiss?

Die Idee für einen Gegenvorschlag kam von linker Seite und war zu keinem Zeitpunkt mehrheitsfähig. Das Hauptproblem der Initiative ist die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer.

Ich warne in diesem Zusammenhang vor allem vor den Auswirkungen für die Nachfolgeregelung von Unternehmen, die in Familienhand sind. Aktien, die seit 40 Jahren im gleichen Besitz waren, haben in der Regel an Wert zugenommen. Dieser Wertzuwachs müsste zum Zeitpunkt der Unternehmensnachfolge massiv versteuert werden. Das wird entweder zur Folge haben, dass Firmen ins Ausland verkauft werden, weil man sich die Generationenübergabe nicht mehr leisten kann. Oder man wird einen Teil der Firma veräussern müssen, um die Steuern zu bezahlen.

Die Juso sagt, dass letztlich nur eine reiche Elite effektiv betroffen wäre. Die Gegner hingegen behaupten, dass es viele KMU treffen wird. Weshalb so eine grosse Diskrepanz?

Die Juso’s haben berechnet, wie viel zusätzliche Steuereinnahmen zu erwarten wären. Allein aus dieser Zahl geht hervor, dass viel mehr davon betroffen wären, als die Juso sagt. Die genannten 100’000 Franken als Grenze klingen nach viel. Man kann diese Zahl aber nicht einfach mit dem Durchschnittssalär eines Schweizers vergleichen, da die Grenze nicht pro Jahr angesetzt wurde. Bezahlt sich beispielsweise ein Unternehmer jährlich einen tiefen Lohn, und verkauft nach 10 Jahren seine Firma mit einem Gewinn von 300’000, müsste er dann enorm viel Steuern darauf zahlen, obwohl das eine Entschädigung für sein unternehmerisches Risiko und tiefe Entlöhnung darstellt.

Letztlich werden damit all jene bestraft, die ein unternehmerisches Risiko eingehen und nicht einfach «die reichsten 1%», die sie angeblich angehen wollen. Das ist fatal. Damit signalisieren wir: «Die Schweiz ist kein mehr Ort, um unternehmerische Risiken einzugehen. Sondern eine Umverteilungswüste.» Wir müssen gerade jetzt aufpassen, dass unsere Rahmenbedingungen nicht verschlechtert werden.

Steuern sind nur einer der Faktoren, die gute Rahmenbedingungen ausmachen. Andere sind Rechtssicherheit, qualifizierte Arbeitskräfte, gute Infrastruktur etc. Diese wollen die Initiantinnen und Initianten mit ihrer Umverteilung und Stärkung des Sozialstaates indirekt fördern. Das wäre ja aus Ihrer Sicht nicht so schlecht, nicht?

Die Ausgaben für den Sozialstaat sind in den letzten Jahren schon massiv ausgebaut worden. Finanziert wird er ja hauptsächlich von finanzstarken Firmen: Drei Prozent der Unternehmen zahlen 90% der Gewinnsteuern. Das ist eine Zitrone, die schon genug ausgepresst wird.

Ich gehe nicht davon aus, dass bei Annahme der Initiative am Schluss mehr Steuereinnahmen zur Verfügung stehen, weil die Auswirkungen auf die Wirtschaft verheerend wären.

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Die OECD will künftig eine internationale Unternehmensbesteuerung einführen, in zahlreichen Ländern wird das Thema der Steuergerechtigkeit zunehmend thematisiert. Ist die Zeit der Deregulierung vorbei? Kommt der starke, fordernde Staat zurück?

Der Staat hat immer eine Relevanz, das hat sich während der Pandemie verstärkt. Es zeigten sich aber auch die Schwachstellen – es sei an die Digitalisierung im Gesundheitswesen erinnert, bei der Materialbeschaffung, bei der mangelnden Flexibilität etc. Das hat uns vor allem gezeigt, dass es nicht mehr Staat braucht, sondern einen besseren Staat.

Der Staat muss flexibler und digitaler werden, um für das 21. Jahrhundert gewappnet zu sein. Aber die Innovationskraft kommt halt nun mal oft aus dem Privatsektor. Die Entwicklung der Impfstoffe in so kurzer Zeit ist eine starke Leistung der Pharmaindustrie. Oder wenn man daran denkt, dass die Wirtschaftsleistung trotz allen staatlichen Massnahmen nur gering eingebrochen ist, zeigt das die grosse Anpassungsfähigkeit der Privatwirtschaft. Meines Erachtens ist das auch Zeichen für den hohen Stellenwert der Wirtschaft. Letztlich geht es nur miteinander, nicht gegeneinander.

Sie haben Einblick in die Finanzbranche, haben ein Beratungsmandat bei einem Family Office. Herrscht unter den Kunden und Anbietern Nervosität angesichts der Abstimmung?

Das Thema habe ich in diesem Umfeld nicht diskutiert. Nervosität spüre ich vor allem im Startup-Ökosystem und bei Familienunternehmen. Für beide wäre die Initiative eine Zäsur und würde das Bisherige auf den Kopf stellen.

Wenn ich an alle Start-Ups denke, an all die ETH- und EPFL-Spin-Offs: Die haben alle ihr Herz in der Schweiz, hier läuft ihre Forschung. Wenn jetzt plötzlich ihre unternehmerische Leistung mit einer neuen, zusätzlichen Steuer bestraft wird, dann werden sich viele denken: «Was mache ich denn noch in der Schweiz?»

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