«Die Burka-Initiative giesst bloss Öl ins Feuer»
Ein Verbot von Burka und Niqab in der Schweiz wäre kontraproduktiv, sagt die Grünen-Nationalrätin Greta Gysin. Die Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot", die am 7. März zur Abstimmung kommt, ist aus ihrer Sicht überhaupt nicht feministisch.
Dem Egerkinger Komitee ist es bereits gelungen, die Stimmbevölkerung von einem Bauverbot für Minarette zu überzeugen. Nun versucht es das Gleiche beim Gesichtsschleier. Die Gruppe setzt sich aus vielen gewählten Vertretern der konservativen Rechte zusammen und hat 2016 die Volksinitiative «Ja zum VerhüllungsverbotExterner Link» lanciert. Am 7. März entscheidet die Schweizer Stimmbevölkerung über die Vorlage.
Regierung und Parlament lehnen die Initiative ab. Sie haben einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet, der bei einer Ablehnung der Initiative in Kraft treten würde. Dieser sieht eine Pflicht vor, in bestimmten Situationen den Behörden das Gesicht zeigen zu müssen.
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Die Volksinitiative wird hauptsächlich von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) unterstützt. Einige Mitte-Links-Abgeordnete haben zwar ebenfalls ein Unterstützungskomitee gegründet. Doch die grossen Parteien sind dagegen. Im Tessin – der Heimat der grünen Nationalrätin Greta Gysin – sind Gesichtsschleier bereits seit 2016 in der Öffentlichkeit verboten. Sie sagt, dass dort das Verbot nichts gelöst habe.
swissinfo.ch: Haben Sie vier Jahre nach Inkrafttreten des Burkaverbots im Tessin den Eindruck, dass das Gesetz seine Versprechen gehalten hat?
Greta Gysin: Nein, dieses Gesetz hat nichts geändert. Das Tessin hatte schon vorher keine Probleme mit der Burka und hat auch jetzt keine. Die Zahlen zeigen, dass die Polizei nur sehr wenig eingegriffen hat. In den Fällen, in denen die Polizei eingreifen musste, handelte es sich um verschleierte Touristinnen aus den Golfstaaten, die zum Shoppen ins Tessin kamen.
Diese Touristinnen haben Lösungen gefunden. Noch vor Beginn der Pandemie hat eine festgenommene Frau den Gesichtsschleier abgelegt und einfach eine Schutzmaske aufgesetzt. Das zeigt die Absurdität der Situation.
«Wenn wir die Radikalisierung bekämpfen wollen, müssen wir mehr in die Integration von Ausländerinnen und Ausländern investieren.»
Greta Gysin, Nationalrätin der Grünen
Zwar sind es vielleicht wenige, aber in der Schweiz werden manche Frauen noch immer zum Gesichtsschleier gezwungen. Würde die Volksinitiative das Problem dieser Frauen nicht lösen?
Eine Person zu zwingen, ein Kleidungsstück zu tragen, sei es die Burka oder etwas anderes, ist bereits per Gesetz verboten. Es ist bereits möglich, einzugreifen. Frauen, die solchen Zwängen unterworfen sind, haben auch die Möglichkeit, sich an Opferhilfeorganisationen zu wenden.
Mit einem Verbot würden wir sie in noch grössere Schwierigkeiten bringen, weil sie nicht mehr in der Lage wären, das Haus zu verlassen, um Hilfe zu suchen. Wenn der Zweck dieses Gesetzes ist, Frauen zu helfen, die zur Burka gezwungen werden, ist das die falsche Lösung, denn wir werden das gegenteilige Ergebnis erhalten.
Sind Sie als Frau nicht empfänglich für die Argumente einiger Feministinnen, die sagen, dass das Tragen des Vollschleiers ein Rückschritt im Kampf für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist?
Ich persönlich mag weder die Burka noch den Niqab noch den Schleier der katholischen Nonnen. Das ist aber nicht mein Problem, denn ich entscheide für mich und sie entscheiden für sich. Beim Feminismus geht es darum, jeder Frau die Freiheit zu geben, zu entscheiden, wie sie sich kleiden möchte. Verbote oder Kleiderdiktate sind kein Feminismus.
Frankreich, Belgien, Bulgarien und die Niederlande: Liberale Länder haben den Vollschleier bereits verboten. Sind diese Länder auf dem falschen Weg?
Ja, denn ich glaube nicht, dass das eine Lösung ist. Unsere Verfassung garantiert die Religionsfreiheit. Es ist absolut nicht liberal, religiöse Symbole zu verbieten.
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Zeigt eine solche Volksinitiative nicht, dass wir über den Platz des Islams in unseren Gesellschaften diskutieren müssen?
In der Tat glaube ich, dass wir diese Debatte führen müssen, aber nicht mit rassistischen und diskriminierenden Initiativen wie dieser.
Wir müssen nach echten Lösungen suchen. Wenn wir die Radikalisierung bekämpfen wollen, müssen wir mehr in die Integration von Ausländerinnen und Ausländern investieren, insbesondere in jene der zweiten Generation, die oft diejenigen sind, die radikalisiert werden. Das Thema darf nicht politisiert werden, wie es die konservative Rechte ständig tut. Die Initianten versuchen, Lösungen anzubieten, die einfach erscheinen, aber in Wirklichkeit mehr Probleme aufwerfen, als sie lösen. Sie schaffen ein allgemeines Klima des Misstrauens. Diese Art von Initiativen giesst nur Öl ins Feuer.
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Der indirekte Gegenvorschlag der Regierung verlangt, dass man sein Gesicht zu Identifikationszwecken gegenüber Behörden zeigen muss, und sieht gleichzeitig Massnahmen für Gleichberechtigung und Integration vor. Ist das ein akzeptabler Kompromiss?
Der Gegenvorschlag ist schon besser als die Initiative, aber das Grundproblem bleibt. Der Gegenvorschlag erweckt den Eindruck, dass etwas gegen ein Problem getan werden muss, das gar keines ist. Ausserdem existiert vieles von dem, was in der Vorlage steht, bereits jetzt.
Ist es nicht schwierig, während des Semi-Lockdowns die Gegenkampagne zu fahren?
Wir haben immer noch Möglichkeiten, über die Medien oder sozialen Netzwerke zu kommunizieren. Es wird eine andere Kampagne sein, aber das gilt für beide Seiten.
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Sibilla Bondolfi
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