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«Es ist faszinierend, dass ein Mensch solche Maschinen bauen und beherrschen kann»

F/A-18
© Keystone/ Valentin Flauraud

Schon wieder streitet sich die Schweiz um neue Kampfjets. Was müssen diese Flugzeuge aber eigentlich leisten? Ein Gespräch mit Hauptmann Maurice "Moe" Mattle.

Etwas vorneweg: Politische Aussagen dürfe der Journalist von ihm als Berufsmilitärpiloten nicht erwarten, sagt Maurice Mattle zur Begrüssung auf dem Militärflugplatz im luzernischen Emmen. Das war zu erwarten, das Thema ist – nach dem Debakel um den Gripen – sensitiv. Man braucht jedoch nicht viel Fantasie, um sich auszudenken, was der 31-jährige Hauptmann Mattle über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge denkt, über die die Schweizer Stimmbevölkerung am 27. September zu befinden hat.

swissinfo.ch: Wie kann man sich Ihren Alltag vorstellen?

Maurice Mattle: Man muss zwischen Trainingstagen und Luftpolizeidiensten unterscheiden. Die Luftpolizei sichert den Luftraum des Landes. Wenn ich so einen Dienst habe, bin ich in einem Büro über dem Flugzeug-Hangar in ständiger Bereitschaft und muss innerhalb von 15 Minuten mit einer F/A-18 in der Luft sein.

Maurice Mattle
Hauptmann Maurice «Moe» Mattle. swissinfo.ch

Es kommen noch Spezialeinsätze wie beispielsweise das WEF dazu, der Rest ist aber sonst Training: Dann fliege ich ein bis zwei Mal am Tag, jeweils etwa eine Stunde. Länger dauern eigentlich die Flugbesprechungen vor und nach dem Flug, je nach Komplexität der Übung. Ansonsten trainiere ich im Simulator und habe auch anderes zu erledigen: Administratives, Sport und so weiter.

Und wenn mal nichts ansteht, studiere ich immer wieder das Flugzeug: Die F/A-18 ist eine dermassen komplexe Maschine, dass ich ständig wieder mein Wissen auffrischen muss: Manuals lesen und so weiter.

Klingt eher trocken.

Im Gegenteil! Bei mir war es die Technik, die mein Interesse fürs Fliegen weckte. Das fasziniert mich heute immer noch, dass ein Mensch solche Maschinen bauen und auch beherrschen kann. Mein Umfeld war natürlich nicht unschuldig daran, in der Familie gab es Flugfans. Und ja, «Top Gun» spielte auch eine Rolle (lacht).

Wie kamen Sie zur Schweizer Luftwaffe?

Ich habe die ersten Abklärungen bei SPHAIR gemacht, der Ausbildungsplattform der Luftwaffe und der ganzen Schweizer Aviatik. Dort wird man durch den ganzen Auswahlprozess gelotst. Parallel dazu muss man den Offiziersgrad in der Schweizer Armee erreichen. Danach kommt man in die letzte Selektion und ab da geht es in die Pilotenschule. Ich habe den Prozess mit 16 begonnen und bin erst zehn Jahre später zum ersten Mal eine F/A-18 geflogen. Man muss also viel Ausdauer mitbringen, wird aber am Ende mit einem faszinierenden Beruf belohnt.

Wenn die Schweizerinnen und Schweizer am 27. September über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge für die Luftwaffe abstimmen werden, geht es implizit auch um ein anderes Geschäft: Nämlich um die Systeme bodengestützter Luftverteidigung, die erneuert oder ausgeweitet werden sollen. Da der Bundesrat die zwei Geschäfte getrennt hatte, sind diese nicht vom Referendum betroffen.

Für zwei Milliarden sollen die Boden-Luft-Raketen grösserer Reichweite über den regulären Weg der Rüstungsbeschaffung bezogen werden. Laut dem Verteidigungsdepartement sind ein amerikanischer und ein französischer Hersteller im Evaluationsverfahren. Das Geschäft läuft parallel zur Beschaffung der Flugzeuge, der Bundesrat wird am Ende die Typenwahl treffen.

«Grundsätzlich sind die heutigen Mittel alt und müssen abgelöst werden», sagt Maurice Mattle. «Stand heute besteht keine starke Vernetzung. Das muss sich in Zukunft ändern.» Das Ziel ist laut Mattle, dass die Luftverteidigung vom Boden aus und in der Luft in einem Verbund zusammenwirken kann. «Lenkwaffen alleine reichen nicht, um den Himmel zu kontrollieren. Es braucht auch die Augen und den Verstand des Piloten, um eine Situation richtig einschätzen zu können.»

Warum ausgerechnet Militärpilot?

Bei mir stand immer das technische im Vordergrund. Man kann es nicht mit der zivilen Fliegerei vergleichen: Ich sitze halt allein im Cockpit und muss mit meinen Team-Mitgliedern in anderen Flugzeugen und am Boden taktische Probleme lösen – und nicht Leute möglichst speditiv von A nach B bringen.

Hätte ich es nicht in die Luftwaffe geschafft, wäre auch die zivile Luftfahrt eine Alternative gewesen. Jeder Militärpilot macht die Zivilpilotenlizenz bei der Flugschule der Swiss, die Lufthansa Aviation Training. Einerseits weil die Schweizer Luftwaffe zu klein ist, um das gesamte Know-How anbieten zu können. Zum anderen ist es von der Luftwaffe explizit gewollt, dass ihre Piloten zivil anerkannte Lizenzen haben.

Weshalb?

Um den Beruf attraktiver zu gestalten: In der ganzen Schweizer Luftfahrtszene haben wir zu wenig Piloten. Sie sollen darum die Möglichkeit haben, zivil oder militärisch arbeiten zu können.

Dazu muss man anmerken: Wir sind eine relativ kleine Luftwaffe, deswegen hat jeder Pilot noch «Nebenjobs». Je nach Interesse und Fähigkeiten ist man dann Spezialist für beispielsweise elektronische Kriegsführung, technische Fachbereiche etc. Das ist eine Frage des Alters, als junger Pilot fliegt man hauptsächlich, um Erfahrung zu sammeln.

Ein Pilot, der in einem Jet ein Luftduell ausführt oder Bodenziele angreift – das ist noch heute das gängige Bild des Luftkriegs.

Mit dem Fortschreiten der Drohnentechnologie hat sich in den letzten Jahren allerdings viel geändert: Die unbemannten Fluggeräte werden immer häufiger in Konflikten eingesetzt.

Elon Musk geht davon ausExterner Link, dass die «Ära der Kampfjets vorbei ist». Selbst der damalige Verteidigungsminister Ueli Maurer sagte im Zusammenhang mit der Gripen-Abstimmung 2014Externer Link, dass ein Teil der F/A-18 dereinst durch Drohnen und ein Raketenabwehrsystem ersetzt werden könnte.

Ist ein Luftkampf zwischen Drohnen und Flugzeuge in nächster Zeit absehbar?

Die Technologie macht zwar grosse Sprünge, aber ich denke in den nächsten Dekaden noch nicht. Drohnen kann man Stand heute für Aufklärung und Bodenbekämpfung einsetzen – vorausgesetzt, dass man den Luftraum beherrscht. Für Luftpolizei- und Luftverteidigungsaufgaben wird es auf absehbare Zeit keine Drohnen geben.

Kann die Schweizer Luftwaffe Drohnen runterholen?

Prinzipiell schon, es kommt auf Grösse und Situation an. Die gängigen Kleindrohnen fallen in der Schweiz in die Zuständigkeit der Polizei. Grössere Drohnen würden mittels Flugzeuge oder den bodengestützten Luftverteidigungs-Systemen bekämpft werden.

In meinem Verständnis von unserem Staat wird es im Bereich Luftpolizei und visueller Identifikation immer einen Piloten geben, der aus der Nähe eine Evaluation durchführt. Ich kann viel schneller die Situation analysieren und selbst über die nächsten Schritte entscheiden. Die Luftwaffe hat übrigens eigene, unbewaffnete Aufklärungsdrohnen, die hier in Emmen stationiert sind.

Nach Emmen kämen auch die neuen Flugzeuge. Haben Sie eine persönliche Vorliebe?

Ganz ehrlich: Nein. Ich bin ja diese Flugzeuge auch nicht geflogen. Sicherlich sind es alles moderne Maschinen, die sich prinzipiell für die Aufgaben eignen, wofür wir sie brauchen. Danach ist es eine Kosten-Nutzen-Frage, und natürlich können beim Typenentscheid politische Überlegungen des Bundesrates eine Rolle spielen.

Hunter J-4070
Auf dem Militärflugplatz Emmen befindet sich auch eine alte Hawker Hunter, die bis 1994 in der Schweizer Luftwaffe eingesetzt wurden. swissinfo.ch

Flugzeuge sind technisch bedingt Flugstundenlimitiert: Beispielsweise müssen F/A-18-Jets nach 5000 Stunden aus Sicherheitsgründen aus dem Verkehr gezogen werden.

Da es aufgrund der abgelehnten Gripen-Entscheidung zu Verzögerungen kam, wurden die Schweizer F/A-18 für 450 Millionen Franken überholt, bis ein neuer Beschaffungsprozess durchgeführt werden konnte.

Ab 2025 sollen die neuen Flugzeuge ausgeliefert werden, etwa 5 Jahre Überlappungszeit sind vorgesehen.

Werden Sie dann noch dabei sein als Pilot?

Es gibt eine Limite Anfangs 40, ab dann ist man nicht mehr aktiv in der Frontstaffel eingeteilt. Danach kann man je nach Funktion als Stabspilot weiterfliegen, als Fluglehrer beispielsweise – die Erfahrung nimmt mit jeder Flugstunde zu, dieses Know-How will man natürlich halten. Aber man braucht die Piloten mit ihrem spezifischen Wissen auch in der Führung, deswegen ist es wichtig, dass man als Wissensträger auch in anderen Fachbereichen eingesetzt wird.

PC-7
Die Kunstflugstaffel PC-7 an einer Vorführung am Züri Fäscht 2019. Keystone / Ennio Leanza

Sie sind auch Mitglied der Kunstflugstaffel PC-7 TEAM. Wieso?

Für mich ist es spannend, da es eine andere Art des Fliegens ist. Im Jet habe ich einen klaren Auftrag, den ich erledigen muss. Bei der Staffel ist es eine Teamarbeit, die viel Präzision verlangt – und natürlich auch Vertrauen. Deswegen ist auch unser Teamgeist sehr ausgeprägt, wir unternehmen auch privat viel zusammen.

Das PC-7-Team ist eine Kunstflugstaffel der Schweizer Luftwaffe und wurde 1989 zu ihrem 75. Jubiläum gegründet. Die Piloten sind Militärpiloten des Berufsfliegerkorps, die auf der F/A-18 Hornet fliegen.

Das Team hat im Ausland zahlreiche Auszeichnungen für seine Vorführungen erhalten. Die PC-7 sind zweisitzige propellerturbinengetriebene Flugzeuge des Schweizer Herstellers Pilatus.

Was ist Ihre Rolle in der Staffel?

Als der sogenannte Quattro, der in der Mitte fliegt, muss ich möglichst perfekt die Position halten – die anderen orientieren sich an mir. Formationsflug mit neun Flugzeugen und einem Abstand von drei bis fünf Metern erfordert viel Konzentration und ist sehr anstrengend.

Mit den technisch weniger fortgeschrittenen PC-7 lerne ich zudem viel in Sachen Navigation und Orientierung in unbekanntem Gelände. Und im Formationsflug ist Disziplin sehr wichtig: Ich muss die Leistung auf die Sekunde genau erbringen, da jeder Fehler sofort fürs Publikum sichtbar ist. Letztlich ist es eine andere Annäherungsweise an ähnliche Herausforderungen, die ich auch mit einer F/A-18 habe.

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