Schweizer Stimmvolk goutiert Fair-Food-Initiative nicht
In der Schweiz müssen die Bundesbehörden nicht Produkte fördern, die umweltschonend, tierfreundlich und fair hergestellt wurden. Auch strengere Deklarationsvorschriften müssen sie nicht erlassen. Ein entsprechendes Volksbegehren der Grünen Partei (Fair-Food-Initiative) scheitert deutlich an der Urne.
Die Initiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel (Fair-Food-InitiativeExterner Link)» scheitert sowohl am Volks- wie am Ständemehr. Gemäss den provisorischen Resultaten des Instituts gfs.bern im Auftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), sagen 61,2% der Stimmenden Nein zum Volksbegehren der Grünen. Nur vier Kantone in der französischsprachigen Westschweiz nahmen die Vorlage an.
Innenminister Alain Berset begrüsste den Entscheid des Souveräns, obwohl die Sozialdemokratische Partei, der er angehört, die Ja-Parole herausgegeben hatte.
Die Regierung nehme das Resultat mit Befriedigung zur Kenntnis. «Es stärkt den Weg, den der Bundesrat und das Parlament bisher eingeschlagen haben». Die Ziele der Initiative seien zwar unbestritten, aber das Volksbegehren sei unnütz, weil die Grundlagen für eine Förderung nachhaltig produzierter Lebensmittel im In- und Ausland bereits in der Verfassung und im Landwirtschaftsgesetz verankert seien, sagte der Bundespräsident.
«Trotzdem eine Wirkung»
Lange Gesichter gab es hingegen bei den Initiantinnen: Regula Ritz, Nationalrätin und Präsidentin der Grünen Partei, zeigte sich zwar enttäuscht, will der Initiative aber trotzdem eine Wirkung zugutehalten. Schon vor der Abstimmung sei damit viel erreicht worden, sagte sie gegenüber dem Schweizer Radio SRF. So sei es gelungen, den sehr aggressiven Freihandelskurs von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Amman zu stoppen. Damit sei eines der wichtigen Ziele bereits erreicht.
Regine Sauter, Nationalrätin der Freisinnigen Partei, die sich stark gegen die Initiative engagierte, zeigte sich erfreut über das sich abzeichnende deutliche Nein der Stimmbevölkerung. Es zeige, dass ihre Argumente überzeugt hätten. «Vor allem, dass diese Initiative der Position der Schweiz im Weltfreihandel schaden würde und dies auch für den Wirtschaftsstandort Schweiz schlecht wäre.»
Röstigraben öffnet sich
Während die Kantone und Halbkantone im deutschsprachigen Raum die Initiative allesamt ablehnen, sagen die französischsprachigen Kantone Genf, Jura, Neuenburg und Waadt zum Teil deutlich Ja dazu.
«Die beiden Agrar-Initiativen hatten einen stärkeren Treiber in der Romandie», sagt Politologe Georg LutzExterner Link gegenüber swissinfo.ch. Das Volksbegehren über Ernährungssouveränität, über das gleichzeitig abgestimmt wurde, war von einem bäuerlichen Komitee lanciert worden. Dieses geniesse in der Romandie viel Unterstützung. «Ein grosser Teil der Stimmenden dürfte nicht stark zwischen den beiden Initiativen unterschieden haben», sagt Lutz.
Bei dieser anderen Agrar-Initiative geht es zwar ebenfalls um Lebensmittel, aber es gibt erhebliche Unterschiede zur Fair-Food-Initiative. Auch das Nein-Komitee hatte beide Volksbegehren in den gleichen Topf geworfen und scheint damit in der Deutschschweiz Erfolg gehabt zu haben.
Eine andere Erklärung könnte laut dem Berner Politologen sein, dass in der Westschweiz mehr Leute staatliche Interventionen akzeptierten. Anders in der Deutschschweiz: Dort scheine das Argument, dass der Staat sagen würde, was auf den Teller komme, für viele Nein-Stimmen gesorgt zu haben.
Die deutliche Zusage in der Westschweiz erstaunt umso mehr, als dass die Bevölkerung dort bisher in ökologischen Belangen weniger Sensibilität zeigte. Georg Lutz deutet das Resultat derart, dass die Initiativen weniger als umweltpolitisches, sondern als soziales Anliegen und zur Förderung regionaler Produkte betrachtet wurden.
War das Portemonnaie entscheidend?
Die Gegner warnten bei beiden Volksbegehren vor steigenden Lebensmittelpreisen. Schon heute kosteten Lebensmittel in der Schweiz deutlich mehr als im Ausland. Bei einer Annahme der Initiativen würden die Preise nochmals steigen, sagten sie.
Die Initiative hätte verhindern wollen, dass Fleisch aus sogenannten Tierfabriken (Massentierhaltung) und Gemüse und Früchte aus Plantagen auf Schweizer Tellern landen. Dazu hätte der Bund Vorgaben für die Produktion erlassen sollen, die nicht nur für inländische, sondern «grundsätzlich» auch für importierte Lebensmittel gelten würden. Laut der Grünen Partei unterlaufen heute Importe zu «Dumpingpreisen» die Anstrengungen der inländischen Bauern im Umwelt- und Tierschutz.
Produkte, die nicht den Nachhaltigkeits-Kriterien entsprechen würden, hätten mit Importzöllen belegt, bzw. nachhaltig produzierte Produkte zollmässig bevorteilt werden sollen, damit die Einfuhr von «Fair Food» hätte begünstigt werden können.
Die Initiative hätte insbesondere saisonale und regionale Lebensmittel fördern, Abfälle reduzieren und den Tierschutz verbessern sollen, so die Befürworter. Die RegierungExterner Link und das Parlament beurteilen die Verfassungsänderung als überflüssig. Der Bund setze sich heute schon für sichere und nachhaltig produzierte Lebensmittel ein. Sie gehen davon aus, dass die Umsetzung der Initiative im Widerspruch zu internationalen Abkommen gestanden hätte und ein schwerfälliges und kostspieliges Kontrollsystem erforderlich gewesen wäre.
Die meisten Initiativen scheitern
Initiativen haben es wieder deutlich schwerer an der Urne. Waren zwischen 2002 und 2014 noch zehn Volksbegehren erfolgreich, schaffte seither kein einziges mehr die Abstimmungshürde.
Im Durchschnitt werden neun von zehn Volksbegehren an der Urne bachab geschickt. Nur 22 von ihnen fanden in der bald 130-jährigen Geschichte des Initiativrechts Gnade bei den Stimmberechtigten.
Insgesamt wurden seit dem Jahr 1891 gut 460 eidgenössische Volksinitiativen lanciert. 332 davon kamen zustande, und über 213 Initiativen wurde bis heute abgestimmt. 191 dieser Vorlagen scheiterten.
Die letzte erfolgreiche Initiative war die im Mai 2014 von Volk und Ständen angenommene Pädophileninitiative. Drei Monate zuvor hatten Bundesrat und Parlament mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative eine historische Schlappe erlitten.
(sda)
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