Drei Schweizer Väter, drei Länder mit langem Vaterschafts-Urlaub
Punkto Vaterschaftsurlaub liegt die Schweiz im internationalen Vergleich abgeschlagen hinten. Dagegen setzen Norwegen, Schweden oder Südkorea den Benchmark. Wir haben bei Auslandschweizer Vätern in den drei Ländern nachgefragt.
«Mein 15-monatiger Bub macht gerade seinen Mittagsschlaf», sagt Flurin Kasper. Der gebürtige Berner lebt seit 2013 in Norwegen, genauer in Kristiansand, einer Stadt im Süden des Landes. Dort arbeitet er im Bereich Erwachsenenbildung für eine christliche Organisation. Der 28-Jährige hat sich auf unseren Aufruf gemeldet, in dem wir Väter gesucht haben, die in einem Land leben, das besonders grosszügig ist mit seinen Eltern.
Norwegen ist eines davon. «Ich bin froh, dass wir hier in Norwegen waren, als unser Sohn geboren wurde», sagt der junge Vater. Er konnte so von einem Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen profitieren, die es während der ersten 60 Tage nach der Geburt zu beziehen galt.
Nach zwei Wochen ist es das aber nicht gewesen für frischgebackene Väter in Norwegen. Nein, das skandinavische Land bietet seinen Eltern insgesamt fast ein Jahr Elternzeit. Nach den gemeinsamen zwei Wochen folgen 15 Wochen für die Mutter, danach 15 Wochen für den Vater. Weitere 16 Wochen können nach Belieben aufgeteilt werden. Der Vater muss jedoch seinen Anteil beziehen, ansonsten verfällt er.
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Im Fall von der Familie Kasper hat sich das Paar die Elternzeit aufgeteilt. Sie hat nach der Geburt fünf Monate genommen, er vier Monate. «Hier kann man das als Paar abmachen und meist sehr wenig Rücksicht nehmen auf den Arbeitgeber», sagt der gelernte Automatiker. In Norwegen herrsche ein allgemeines Verständnis, dass auch der Vaterschaftsurlaub unabdingbar ist. «Alle respektieren das und es ist in der Gesellschaft sehr angesehen.»
Für Kasper war klar, dass er vom Vaterschaftsurlaub Gebrauch macht. «Die erste Zeit ist sehr intensiv, ich wollte meiner Frau beistehen und auch das Kind kennenlernen. Und ihm auch ermöglichen, mich kennenzulernen .» Wer gegen einen Vaterschaftsurlaub sei, der habe keine Ahnung was man verpasse und was man sich selbst nehme. «Es ist eine unglaublich wertvolle Zeit.»
In Norwegen falle man als Vater mit einem Kleinkind nicht auf, erzählt Flurin Kasper. Viele Männer gingen in Gruppen mit ihren Kindern auf den Spielplatz – ein Bild, das man in der Schweiz eher selten sieht, da mehrheitlich Mütter auf den Spielplätzen sind.
«Ein Tag Vaterschaftsurlaub ist ein Seich», sagt Kasper.
480 Tage in Schweden
In Schweden kommt der 33-jährige Auslandschweizer Roger Weilenmann gerade aus dem Büro seines Arbeitgebers. Er arbeitet im nordschwedischen Umeå als Lastwagenchauffeur. 2019 ist er mit seiner fünfköpfigen Familie ausgewandert. Mittlerweile zählt die Familie sechs Personen, im April ist ein kleines Mädchen dazugekommen.
Die Auswanderung wagten sie aus einem ganz bestimmten Grund: wegen der Familienpolitik. «Wir hatten das Gefühl, dass in der Schweiz die Akzeptanz für Familien mit mehr als zwei Kindern eher klein ist.» Schweden kannte Weilenmanns schon von zahlreichen Ferienreisen, bei welchen sie auch schon einen Bekanntenkreis aufgebaut haben.
Hier können sie mehr Zeit für die Familie investieren. «Die Familie steht in Schweden an erster Stelle», sagt Weilenmann, der vorher in Zürich lebte. Wenn die Familie nicht Priorität habe, sei man in der schwedischen Gesellschaft unten durch, erzählt er.
In Schweden gibt es bei der Geburt des Kindes 10 Geburtsurlaubstage. Anschliessend stehen den Eltern 480 Tage zur Verfügung, wobei je 90 für den jeweiligen Elternteil reserviert sind, die anderen 300 Tage können frei aufgeteilt werden. Maximal 30 Tage können im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes zusammen bezogen werden.
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Weilenmann hat den Vergleich. Bei den ersten zwei Kindern hatte er je drei Tage frei. Beim dritten Kind habe er vom Arbeitgeber zehn Tage erhalten. «Im Vergleich waren das Welten», so der 33-Jährige. «Ich konnte zu Hause anpacken, schliesslich ist eine Frau nach der Geburt total erschöpft.» Diese zehn Tage hätten viel gebracht für die Familie.
Weilenmann glaubt nicht daran, dass der Vaterschaftsurlaub in der Schweiz eine Chance hat. Familienfreundlichkeit sei in der Schweiz nicht prioritär und Geld habe einen zu hohen Stellenwert. «Klar, wir bezahlen in Schweden verhältnismässig sehr hohe Steuern.» Dafür sei aber vieles gedeckt, so etwa die Krankenkasse.
Was man verpasst? Eine wertvolle Zeit, die nicht mehr zurückkomme und die Möglichkeit, die Frau zu unterstützen. «Zudem müssen Männer in der ersten Zeit mehr investieren, um eine Beziehung zum Kind aufzubauen», so Roger Weilenmann.
Auch für den Arbeitgeber ist es ein Vorteil, ist Weilenmann überzeugt. «Ein Vater, der am Tag nach der Geburt wieder auf der Arbeit erscheint, arbeitet keine 100 Prozent.» Der sei mit dem Kopf bei der Familie, wo er auch hingehöre.
Ein Jahr in Südkorea
Der 45-jährige Bernhard Egger sitzt am Freitagabend (Ortszeit) an seinem Schreibtisch in Seoul und nimmt sich kurz vor dem Wochenende Zeit, um mit uns über den Vaterschaftsurlaub zu sprechen. Südkorea ist laut Liste der OECD das führende Land in Sachen Vaterschaftsurlaub.
Egger ist 2003 nach Südkorea ausgewandert, wo er seit 2011 an der Seoul National University als Professor für Informatik arbeitet. Der gebürtige Langnauer ist mit einer Südkoreanerin verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren.
In seiner Wahlheimat wird den Männern nach der Geburt des Kindes 10 Tage Urlaub gewährt, den Frauen 90 Tage – der eigentliche Vaterschafts-, beziehungsweise Mutterschaftsurlaub. Danach gibt es die Möglichkeit, den sogenannten Kinderbetreuungsurlaub zu beziehen. Dieser beträgt pro Elternteil bis zu zwei Jahren, wobei ein Jahr voll bezahlt wird. Diese Zeit kann man bis zum 8. Lebensjahr des Kindes beantragen.
Zeit, die Bernhard Egger selbst nicht bezogen hat. «Im universitären Forschungsumfeld kann man es sich nicht leisten, ein Jahr wegzubleiben und keine Papers zu schreiben.» Zudem sei er für Doktoranden zuständig, die betreut sein müssen. Da er in seinem Beruf aber bei der Arbeitseinteilung viele Freiheiten geniesse, kann er seine Frau ablösen, wenn Bedarf bestehe.
Trotzdem ist er überzeugt, dass der Gesetzgeber in der Schweiz einen Vaterschaftsurlaub gewähren sollte. «Wenn man als junger Mann in der Schweiz vier Wochen pro Jahr Militärdienst leisten kann, dann sollte auch ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub möglich sein», sagt er.
Ausserhalb des universitären Umfelds hat Bernhard Egger die Erfahrung gemacht, dass die Elternzeit in Anspruch genommen wird. «Oft wird dann aber mit dem Arbeitgeber verhandelt, wie lange der Arbeitnehmer weg ist.»
Allgemein ist Südkorea mit seinen Arbeitnehmern grosszügig. So bezahle der Staat etwa die Kinderbetreuung oder gewährt den Frauen einen Freitag pro Monat, erzählt der Professor und Leiter der Forschungsgruppe «Computer Systems and Platforms». Dies solle schlussendlich auch Gegensteuer geben bei der tiefen Geburtenrate, die im asiatischen Land herrsche.
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