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Medizinstudium in Deutschland, arbeiten in der Schweiz

mehrere Personen in weissen Kitteln drehen dem Fotografen den Rücken zu
Höheres Einkommen, bessere Karierremöglichkeiten und Arbeitsbedingungen in der Schweiz: Viele deutsche Ärztinnen und Ärzte kehren ihrer Heimat den Rücken zu. Keystone

In der Schweiz arbeiten besonders viele ausländische Ärztinnen und Ärzte, im deutschsprachigen Raum vor allem aus Deutschland. Sie profitieren von besseren Arbeitsbedingungen und helfen mit, die Gesundheitsversorgung hierzulande zu sichern. Das Nachsehen hat Deutschland, das die Ärzte ausbildete.

«Schon wieder ein Deutscher!» Anstatt sich darüber zu freuen, dass sie von hochqualifizierten Fachkräften mit perfekten Deutschkenntnissen betreut werden, beklagen sich manche Patienten hierzulande, dass sich kein Schweizer Arzt um sie kümmert.  

Solche Kritik bekommen deutsche Ärztinnen und Ärzte oft zu hören, weiss Susanne Federer, Geschäftsleitungsmitglied von Federer und PartnerExterner Link. Die Firma ist seit mehr als 20 Jahren auf Unternehmensberatung im Gesundheitswesen spezialisiert. «Wir hatten während 10 bis 12 Jahren einen Ansturm von deutschen Ärzten, die in der Schweiz Arbeit suchten.»

Sprachkompetenz 

Angebliche Verständigungsprobleme zwischen einheimischen Patienten und deutschen Kollegen sind der FMH keine bekannt. «Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung der deutschen Kolleginnen und Kollegen, vor allem in der Deutschschweiz, auch angesichts der kulturellen Nähe und der Sprachkompetenz», sagt FMH-Präsident Jürg Schlup.  

Sprachprobleme gibt es laut Schlup allerdings mit Ärzten aus Ländern, die nicht die jeweilige Landesprache sprechen. «Aus Gründen der Patientensicherheit fordern wir seit Jahren strengere Sprachkompetenz-Anforderungen bei der Zulassung von Ärzten. Die bestehenden entsprechen nicht europäischen Normen.»

In der Schweiz würden für Ärzte lediglich «die notwendigen Kenntnisse einer Amtssprache des Kantons» gefordert, während in den Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien das «Beherrschen der jeweiligen Landessprache» verlangt werde.

«Wir sind im eidgenössischen Parlament mit unserer Forderung nach derselben Sprachkompetenz für bei uns tätige Ärzte nicht durchgekommen», bedauert Schlup.

Nicht nur in grenznahen Regionen, sondern bis weit in die Zentralschweiz hinein, wurden laut Federer immer mehr Hausarztpraxen von deutschen Medizinern übernommen. «Viele junge Schweizer Ärztinnen und Ärzte sind nicht gewillt, ein Berufsleben lang 60 und mehr Stunden pro Woche zu arbeiten. Deutsche sind dazu noch eher bereit.» Damit hätten einige Einheimische ein Problem, zumindest anfänglich. «Aber wenn sie dann sehen, was diese Ärzte leisten, verstummt die Kritik meistens», sagt Federer.

Attraktivere Jobs in der Schweiz

An manchen Spitälern spricht sogar jede vierte Fachperson – ob Assistenzarzt, Spezialist oder in leitender Funktion – nicht Dialekt, sondern Hochdeutsch.

Auch Professor Matthias Knobe, leitender Oberarzt an der Universitätsklinik Aachen, kommt in die Schweiz. Ab dem 1. Juni 2019 wird er als neuer Chefarzt und Gesamtleiter der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Kantonsspital Luzern arbeiten. «Eine Top-Adresse, wenn man über Karriere und Berufsziele nachdenkt», preist Knobe seinen neuen Arbeitgeber.

Dass manche Schweizer gewisse Ressentiments gegenüber zugewanderten Deutschen haben sollen, wie deutsche Berufskollegen im Forum des aerzteblatt.deExterner Link berichten, macht dem jungen Chefarzt kein Kopfzerbrechen. «Einige Deutsche gehen ein bisschen mit einem Blick von oben herab in die Schweiz, und das funktioniert nicht. Wie man in den Wald hineinruft, so schalt’s zurück. Und weil ich kein lauter Rufer bin, sollte es kein Problem sein.»

Höhere Einkommen und bessere Karrieremöglichkeiten sind nicht die einzigen Gründe für die Abwanderung in die Schweiz. Manche hätten Mühe mit dem deutschen Gesundheitssystem, sagt Jürg Schlup, Präsident der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMHExterner Link. Dies insbesondere mit den sogenannten Globalbudgets, die in ihrem Land seit dreissig Jahren flächendeckend im ambulanten Bereich angewandt werden. Wird dieses Kostendach überschritten, erhalten die Ärzte weniger Geld pro Behandlung.

Jürg Schlup, Präsident der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte
Jürg Schlup, Präsident der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. © KEYSTONE / SALVATORE DI NOLFI

«Die deutschen Kollegen beklagen, dass dies zu Wartezeiten und Leistungseinschränkungen führe», sagt Schlup.

Der FMH-Präsident weiss es zu schätzen, dass so viele deutsche Ärzte die Schweiz bevorzugen. In den 1980er-Jahren wurden die Studienplätze für Mediziner an Schweizer Universitäten stark reduziert. In der Folge sank die Zahl der hierzulande jährlich diplomierten Ärztinnen und Ärzte von über 1000 im Jahr 1978 auf rund 600 (2005) bei gleichzeitiger Zunahme der Bevölkerung um 25%.

Globalbudgets in drei Kantonen

In der Schweiz prüft die Regierung eine Einführung dieses Instruments, um den Anstieg der Gesundheitskosten zu senken. Eine seltene Allianz – Dachverbände der Ärzte, Krankenkassen, Patientenorganisationen und Spitäler – opponierte 2017 gegen diese Sparpläne.

Gemäss Bundesgesetz über die obligatorische Krankenversicherung KVGExterner Link können die Kantone im stationären Bereich mit Globalbudgets arbeiten. In den Kantonen Genf, Waadt und Tessin ist dies der Fall.

Die fehlenden Ärzte mit Schweizer Diplom wurden durch solche mit ausländischem Diplom ersetzt. Heute stammen ein gutes Drittel der 37’000 berufstätigen Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz laut FMH aus dem Ausland. Davon haben 6800 (mehr als 18%) ein deutsches Diplom.

Deutsche in der Schweiz, Polen in Deutschland

Aber in ihrem Herkunftsland, das ihre Ausbildung mit Steuergeldern finanzierte, fehlen diese Fachkräfte zunehmend. Deshalb möchte der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn die Abwanderung in andere Länder, namentlich die Schweiz, eindämmen.

«Bei uns arbeiten dann polnische Ärzte, die wiederum in Polen fehlen», sagte er kürzlich in einem Interview mit der Zeitung «SonntagsBlick». Spahn schlägt vor, das Problem der Abwerbung von Fachkräften aus anderen Ländern innerhalb der EU zu regeln.

Bei auswanderungswilligen deutschen Ärzten kommt der Vorschlag nicht gut an. Auch Professor Knobe hat Zweifel. Kein deutscher Arzt werde sich abhalten lassen, seine beruflichen Ziele zu verwirklichen.  

«Wenn Herr Spahn die Abwanderung verhindern will, muss er die Gegebenheiten im Heimatland verbessern. Zum Beispiel dafür sorgen, dass die Ärzte nicht den ganzen Tag administrative Tätigkeiten verrichten müssen, anstatt sich um Patienten kümmern zu können, oder dass sie nicht mehr ohne Ende Überstunden machen müssen, oder dass der ökonomische Druck nicht zu Entscheidungen führt, die medizinisch nicht vertretbar sind.»

Mehr

FMH-Präsident Schlup hat für beide Seiten Verständnis: «Gemäss neuesten Zahlen fehlen in den deutschen Spitälern 5000 Ärztinnen und Ärzte. Die Massnahmen, die Gesundheitsminister Spahn verlangt, sind legitim. Es ist tatsächlich ethisch fragwürdig, wenn die Schweiz von Ärzten profitiert, die in anderen Ländern mit deren Steuergeldern ausgebildet wurden.»

Die FMH fordert seit langem, dass jedes Land genügend eigene Ärzte ausbildet. «Die Schweiz hat dies 20 Jahre lang nicht ausreichend getan. Das rächt sich nun», sagt Schlup.

Seit 2008 haben die Universitäten der Schweiz die Zahl der Studienplätze an den medizinischen Fakultäten zwar verdoppelt. Aber es dauert einige Jahre, bis aus Medizinstudenten Fachärztinnen und -ärzte geworden sind. 

Aus demografischen Gründen geht der FMH-Präsident davon aus, dass der Bedarf an Ärztinnen und Ärzten mit deutschem Diplom im Schweizer Gesundheitswesen weiterhin hoch bleibt. «Die Zahl der nachrückenden Fachärzte mit Schweizer Diplom wird erst in einigen Jahren ausreichen, um die Lücken zu stopfen.»

Analog in Romandie und Tessin

In der französischsprachigen Westschweiz und insbesondere im italienischsprachigen Landesteil arbeiten zahlreiche Ärztinnen und Ärzte aus den Nachbarländern Frankreich bzw. Italien.

Im Tessin sorgen derzeit Praxen von italienischen Zahnärzten mit angeblich aggressiver Werbung für Medienberichte.Externer Link 

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