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Afghanistan: Die Kranken vor den Sanktionen retten

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Illustration: Helen James / SWI swissinfo.ch

Aus Angst, etwas Widerrechtliches zu machen, zögern Banken, Gelder an sanktionierte Regime zu überweisen – was oft dramatische Folgen für die lokale Bevölkerung hat. Die Schweiz hat versucht, das Problem in Iran und Afghanistan zu lösen, allerdings mit begrenztem Erfolg.

«Ich bin fassungslos», schriebExterner Link Dominik Stillhart im Herbst 2021 nach einem Besuch in Afghanistan in seiner Funktion als Einsatzleiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).

«Bilder von knochendürren Kindern rufen zu Recht Entsetzen hervor, auch aus der Ferne», schrieb er in einer persönlichen Erklärung, die er nach einem sechstägigen Besuch in dem Land auf der IKRK-Website veröffentlichte. «Wenn man in der Kinderstation des grössten Krankenhauses in Kandahar steht und in die leeren Augen hungriger Kinder und in die schmerzgeplagten Gesichter verzweifelter Eltern blickt, ist die Situation absolut empörend.»

Dominik Stillhart bei einer Pressekonferenz
Dominik Stillhart, Einsatzleiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), beklagte den Mangel an humanitärer Hilfe, die nach Afghanistan fliesst. Keystone / Martial Trezzini

Das Problem? Geldmangel. Monate zuvor waren die Taliban in Kabul einmarschiert und hatten die Kontrolle über die staatlichen Einrichtungen übernommen. Die extremistische Gruppe steht seit den 1990er-Jahren unter UNO-Sanktionen und wurde von den USA nach den Selbstmordattentaten in New York am 11. September 2001 als terroristische Organisation eingestuftExterner Link.

Im August 2021 fror US-Präsident Joe Biden zudem Guthaben der afghanischen Zentralbank in Höhe von sieben Milliarden Dollar in New York ein.

Angesichts der globalen Verhängung von Sanktionen und ihrer oft katastrophalen Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung rücken diese zunehmend in den Blickpunkt. Im Jahr 2020 startete die Schweizer Regierung eine Initiative, um die Lieferung von Medikamenten in den Iran zu erleichtern.

Die Schweiz beherbergt auch einen Fonds mit eingefrorenen Vermögenswerten, die zur Unterstützung der kranken Bevölkerung in Afghanistan verwendet werden könnten. Doch Lösungen für das jahrzehntealte Problem der Sanktionen und Medikamente sind nach wie vor schwer zu finden.

«Die Sanktionen gegen den Bankensektor stürzen die Wirtschaft in den freien Fall und behindern die bilaterale Hilfe», schreibt Stillhart und weist darauf hin, dass das IKRK eingegriffen hat, um den völligen Zusammenbruch des afghanischen Gesundheitssystems zu verhindern. «Es ist so ärgerlich, weil dieses Leid menschengemacht ist. Wirtschaftssanktionen, die dazu gedacht sind, die Machthaber in Kabul zu bestrafen, führen dazu, dass Millionen von Menschen in ganz Afghanistan nicht mehr das Nötige zum Überleben haben.»

Ein Mann mit einer Beinprothese wird von zwei Helfern betreut
Reha-Zentrum des Roten Kreuzes in Kabul. Afp Or Licensors

Lange Kontroversen über Sanktionen

Die Auswirkungen von Sanktionen auf das Gesundheitswesen gerieten erstmals in die Schlagzeilen, als die UNO den Irak während des Golfkriegs 1991 mit einem Embargo belegte. Ein 1999 vom UNO-Kinderhilfswerk Unicef veröffentlichter Bericht schätzte, dass sich die Kindersterblichkeit in den vom Regime kontrollierten Teilen des Landes seit Kriegsbeginn verdoppelt hatte.

Weithin zirkulierte die Angabe, dass die Sanktionen zum Tod von einer halben Million Kindern in Irak geführt hätten. Madeleine Albright, die damalige US-Botschafterin bei der UNO, gab zu Protokoll, dass die Sanktionen eine harte Entscheidung gewesen seien, die es aber wert war. Fast zwei Jahrzehnte später widerlegte eine im British Medical Journal on Global Health veröffentlichte Studie die Zahlen zur Kindersterblichkeit und behaupteteExterner Link, sie seien vom Regime Saddam Husseins manipuliert worden, um die Aufhebung der Sanktionen zu erreichen.

Die Episode zeigt, wie politisch aufgeladen der Versuch ist, die Auswirkungen von Sanktionen auf das Gesundheitswesen zu quantifizieren – denn Machthaber in sanktionierten Ländern haben einen Anreiz, andere für das Leiden der Zivilbevölkerung verantwortlich zu machen und vom eigenen Missmanagement abzulenken.

Die humanitäre Krise in Irak löste eine Abkehr von umfassenden Sanktionen aus. Heute belegt die UNO gezielt Einzelpersonen oder Organisationen mit Massnahmen, die das Einfrieren von Vermögenswerten, Reiseverbote oder Waffenembargos umfassen.

Dennoch hat dies die Zivilbevölkerung nicht vor Schaden bewahrt – was teilweise daran liegt, dass einige westliche Staaten ab Mitte der 2000er-Jahre begannen, unilaterale Sanktionen anzuwenden, unabhängig von den UNO-Sanktionen. Kritische Sektoren wie die Ölindustrie sind ebenso betroffen wie die am Handel beteiligten Reedereien und Banken.

Ein Kind sitzt auf einem Sack mit Nahrungsmitteln
Eine Rationierungsstelle in Baghdad, Irak, 1998. Ap / Peter Dejong

«In allen sanktionierten Ländern tragen Misswirtschaft und Korruption der lokalen Regierungen zur Verschlechterung der humanitären Bedingungen bei», stellten Forschende des Geneva Graduate Institute in einem BerichtExterner Link von 2020 fest. Aber: «Die Beweise deuten eindeutig auf eine stetige Verschlechterung der humanitären Lage durch die Ausweitung der Sanktionen hin, also auf das Szenario, das durch gezielte Sanktionen gerade verhindert werden sollte.»

Trotz Ausnahmeregelungen für kritische Güter haben die Forschenden festgestellt, dass der Kauf von Medikamenten für stark sanktionierte Länder schwierig geworden ist, da die meisten internationalen Banken, die die Finanzierungen abwickeln, dies zunehmend als Geschäftsrisiko   taxiert haben. Im Fall der Sanktionen gegen den Iran «hat die demonstrierte Abneigung der Banken, Zahlungen abzuwickeln, […] zu einem Engpass im Handel mit lebenswichtigen Gütern geführt, der die Versorgungskette von ausländischen Herstellern zu den Patienten unterbrochen hat, insbesondere bei den modernsten Medikamenten», heisst es im Bericht.

Die Schweizer Regierung hat versucht, den Medikamenten-Engpass zu beheben, indem sie einen speziellen Zahlungskanal für medizinische Lieferungen in den Iran geschaffen hat. Im Rahmen des 2020 eingerichteten Mechanismus informieren Exporteure und Banken das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) über ihre geplanten Geschäftstätigkeiten und Partner:innen im Iran.

Das Seco prüft die Informationen und gibt sie an das US-Finanzministerium weiter, das dann zusichert, dass eine Transaktion im Einklang mit den US-Rechtsvorschriften abgewickelt werden kann.

Der Kanal startete mit einer PilotzahlungExterner Link von 2,3 Millionen Euro für den Transport von Krebsmedikamenten aus der Schweiz in den Iran. Seither wurden jedoch nur fünf weitere Transaktionen durchgeführt, so dass sich der Gesamtwert auf 5,1 Millionen Euro beläuft, wie das Seco gegenüber SWI swissinfo.ch angibt.

Kein Geld für Medikamente

Als die Sanktionen gegen Afghanistan verhängt wurden, stellten viele der humanitären Organisationen, die das Gesundheitswesen des Landes finanzierten, ihre Hilfe ein, so dass die Spitäler kein Geld für den Kauf von Medikamenten hatten. Bis Ende 2021 hatte sich das Land zum grössten humanitären Hotspot der Welt entwickelt.

Die UNO genehmigteExterner Link im Dezember 2021 Ausnahmen von den Sanktionen gegen Afghanistan, um das Leiden der Zivilbevölkerung zu lindern und den internationalen Gebern die Möglichkeit zu geben, wieder einzugreifen. Die USA öffnetenExterner Link eine Reihe von Kanälen, um humanitäre Aktivitäten, Geldüberweisungen und Medikamentenexporte zuzulassen.

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Damit die Hilfsorganisationen inmitten einer akuten LiquiditätskriseExterner Link arbeiten konnten, begann die UNO, Bargeld in das Land zu fliegenExterner Link – 1,8 Milliarden Dollar im Jahr 2022 und weitere 880 Millionen Dollar in der ersten Hälfte 2023.

Ein von der Norwegischen Flüchtlingshilfe in diesem Jahr veröffentlichter BerichtExterner Link kommt jedoch zu dem Schluss, dass der Zugang zu Medikamenten nach wie vor durch die mangelnde Bereitschaft der Banken, Zahlungen abzuwickeln, behindert wird. Weitverbreitete Missverständnisse darüber, was Unternehmen aufgrund der Sanktionen gegen die Taliban tun können und was nicht, halten Unternehmen davon ab, sich in Afghanistan zu engagieren – und behindern die Erholung des Privatsektors vom wirtschaftlichen Zusammenbruch, so der Bericht.

Mehr als zwei Jahre nach seinem emotionalen Ausbruch sieht Dominik Stillhart wenig Raum für Optimismus. Der heutige Leiter des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe erklärte kürzlich gegenüber SWI swissinfo.ch: «Der Gesundheitssektor in Afghanistan ist nach wie vor in schlechtem Zustand. In den ländlichen Gebieten ist der Zugang zu medizinischer Behandlung besonders stark eingeschränkt.»

Zwar sei es den dortigen De-facto-Behörden gelungen, die öffentlichen Dienstleistungen auf niedrigem Niveau zu stabilisieren, aber «es ist nach wie vor ein Riesenproblem, dass es in der Wirtschaft zu wenig Cash hat», so Stillhart. Die Krankenhäuser sind weiterhin vollständig von internationaler Hilfe abhängig. «Eigentlich ist es nicht die Idee, dass humanitäre Organisationen langfristig ein System aufrechterhalten. Aber keine Regierung wird den Taliban Geld geben.»

Die Schweiz spielt eine entscheidende Rolle bei der Erholung der afghanischen Wirtschaft und dem Zugang zu Medikamenten. Die Hälfte der von den USA nach der Machtübernahme durch die Taliban eingefrorenen afghanischen Vermögenswerte – 3,5 Milliarden Dollar – wurde auf ein Bankkonto in Basel überwiesen und wird von einer in Genf ansässigen Stiftung namens Fund for the Afghan PeopleExterner Link verwaltet.

Der Fonds könnte langfristig zur Stabilisierung des afghanischen Gesundheitssystems beitragen, doch kurzfristig stehen Sanktionen und Risikoabwägungen weiterhin im Vordergrund.

An einer SitzungExterner Link im Juni erörterte der Stiftungsrat «die Auswahl eines Anbieters von Compliance-Dienstleistungen zur Unterstützung bei der Sorgfaltsprüfung und den Kontrollverfahren im Zusammenhang mit Auszahlungen». Im Oktober war der Fonds noch nicht in der Lage, «ein genaues Datum für die Auszahlung zu nennen», so Andrea Dall’Olio, Geschäftsführer des Fonds, gegenüber SWI swissinfo.ch.

Editiert von Nerys Avery. Übertragung aus dem Englischen: Giannis Mavris

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