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Schweizer Startup entwickelt KI für mehr Nachhaltigkeit und Effizienz in der Landwirtschaft

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"Die Technologie kann zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktivität beitragen, die angesichts des Wachstums der Weltbevölkerung notwendig ist", sagt Yosef Akhtman am Hauptsitz des Unternehmens in Morges. swissinfo.ch

Eine junge Schweizer Firma will die Landwirtschaft auf der ganzen Welt revolutionieren. Gamaya entwickelt intelligente Systeme, die mit speziellen Kameras und Drohnen arbeiten, die es Landwirten ermöglichen, "chirurgische" Eingriffe an Pflanzen durchzuführen. Die wichtigsten Zuckerrohr- und Tabakproduzenten in Brasilien sind die ersten Abnehmer.

Die «Front» ist eine grosse Farm im Südosten Brasiliens. «Feindliche Truppen» landen auf der Zuckerrohrplantage, ohne dass es jemand merkt. Es ist ein kleiner Schmetterling der Art Diatraea saccharalis. Er legt Eier auf die Blätter, und innerhalb weniger Tage dringen die Raupen in die Halme ein, bauen Galerien in den Stengeln und töten die Pflanzen allmählich.

Der Landwirt reagiert mit einer grossen Menge an Pestiziden. Doch er merkt nicht, dass andere unnachgiebige Feinde das Land bereits in Beschlag genommen haben: Unkraut – NussgrasExterner Link, Guineagras und Rizinus.

Diese Pflanzen sind widerstandsfähig, wachsen überall und konkurrieren um Nährstoffe des Zuckerrohrs. Der Todesstoss kommt von der Dürre; das Zuckerrohr wird verdursten, weil es seit Wochen nicht geregnet hat.

Dieses Szenario, das an eine biblische Plage erinnert, ist für viele Produzenten Teil des Alltags. Auch heute wird der Kampf gegen Krankheiten noch nach dem Zufallsprinzip geführt: Pestizide und Düngemittel werden grossflächig verteilt, in der Hoffnung, Probleme zu lösen.

Doch diese Massnahmen verhindern nicht, dass erhebliche Ernteverluste entstehen, und sie führen zu Umweltverschmutzung. Nun soll die Technik den Landwirten das Leben leichter machen: Die Informationen kommen jetzt per Handy und lösen Alarm aus.

Mit Big Data gegen Schädlinge

«Ihre Plantage ist in Gefahr», warnt die App. Der Bildschirm des Mobiltelefons zeigt mehrfarbige Bilder, die von Drohnen und Satelliten aufgenommen wurden. Jede Farbe stellt ein anderes Problem dar.

«In diesem Teil der Anbaufläche stellen wir fest, dass der Zuckerrohrstock von einem Insekt angegriffen wird, das den Saft aufsaugt und Giftstoffe überträgt. Die Blätter sind gelb, und der Halm beginnt zu welken», erklärt Yosef Akhtman und zeigt das Bild auf dem Computer.

Bilder von Hyperspektralkameras
Bilder, die von Hyperspektralkameras erzeugt werden, zeigen unterschiedliche Farben, die durch die Reflexion von Pflanzen oder des Bodens erzeugt werden. Die Datenanalyse ermöglicht es, die genaue Situation in Zentimeterskalen zu kennen. cortesia

Der Ukrainer lebt seit 2011 in der Schweiz. Der diplomierte Physiker und Mathematiker und Doktor der Elektrotechnik forschte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule LausanneExterner Link (EFPL), als er entdeckte, dass ein neues System zur Analyse von Daten, die von Drohnen mit Hyperspektralkameras aufgenommen wurden, die Landwirtschaft revolutionieren könnte.

Vier Jahre später gründete er mit anderen Kollegen GamayaExterner Link, ein Unternehmen, das sich auf agronomische Intelligenzsysteme spezialisiert.

Wie Hyperspektralkameras funktionieren

HyperspektralkamerasExterner Link erfassen Bilder mit Hilfe von unterschiedlichen Wellenlängen. Sie erweitern das Spektrum der Farben, die erkannt werden können, indem sie Lichtwellenlängen von sichtbar bis infrarot erfassen.

Leidet eine Pflanze an Wasser- oder Nährstoffmangel oder wird sie von Parasiten angegriffen, sind die Blätter betroffen und beginnen, ein anderes Licht zu reflektieren.

Es erweckt einen Eindruck von Science Fiction. Computergesteuerte Drohnen fliegen über die Plantagen und erzeugen mit ihren Hyperspektralkameras Bilder. Diese Bilder, die an surrealistische Gemälde erinnern, zeigen ein detailliertes und buntes Gelände. Jede Farbe wird von einer Software analysiert, die in der Lage ist, grosse Datenmengen zu verarbeiten.

Die Informationen werden mit künstlicher Intelligenz interpretiert und auf einem Bildschirm dargestellt. Der Landwirt hat dann Zugang zu einer Vielzahl von Informationen wie Pflanzentyp, Wachstumsphase, Hydratationsgrad, Schädlinge und Krankheiten. Er kann sogar auf den Zentimeter genau sehen, wo er Dünger ausbringen sollte.

Das von Akhtman entwickelte System kann heute für Soja-, Mais- und Zuckerrohrplantagen eingesetzt werden. Und als Markt für die Produkteeinführung war Brasilien eine logische Entscheidung.

«In der Schweiz ist die Landwirtschaft handwerklich und familiär, in Brasilien sind es oft grosse Produzenten, die in der digitalen Landwirtschaft bereits sehr weit fortgeschritten sind. Dies ist ein potenzieller Markt von Hunderten von Millionen Dollar», sagt Akhtman.

Mann mit Kamera und drohne
Yosef Akhtman mit einer Hyperspektralkamera, die zur Kartierung von Anbaugebieten an eine Drohne angebracht wird. swissinfo.ch

Wissen ausbauen

Der Einsatz von grossen Datenmengen und künstlicher Intelligenz beim Zuckerrohranbau löst jedoch nicht alle Probleme. Ist es möglich, die Technologie auch bei anderen landwirtschaftlichen Kulturen einzusetzen?

«Das Problem ist, dass jede einzelne Kultur eine Menge spezifisches Wissen erfordert. Unsere Informatiker mussten gute Zuckerrohr- oder Soja-Agronomen werden. Das muss auch geschehen, wenn wir Lösungen für Orangen oder andere Früchte finden wollen», sagt Akhtman. Das junge Unternehmen baut daher sein Wissen weiter aus.

Ende 2018 kündigte Gamaya die Einführung des Systems «TobaccoFit» an, das für grosse Tabakplantagen entwickelt wurde. Der Zigarettenhersteller Philip Morris nutzt die Anwendung bei seinen Lieferanten in Brasilien. Ziel ist es, Parasiten wie das Tabakmosaik-Virus zu bekämpfen, dessen Infektion Flecken und Verfärbungen der Blätter verursacht und das Wachstum der Pflanze verlangsamt.

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Kampf gegen den Hunger

Heute beschäftigt das junge Unternehmen an seinem Hauptsitz in Morges im Kanton Waadt 35 Personen. Arbeitssprache ist Englisch, da die meisten Mitarbeitenden nicht aus der Schweiz kommen. «Sie stammen aus Israel, dem Iran, Belgien, Deutschland, Frankreich und sogar Brasilien», sagt Akhtman.

Der Vorteil des Standorts Schweiz sei die Nähe zu grossen Forschungszentren wie der EPFL und multinationalen Unternehmen wie Nestlé und Philip Morris, deren Hauptsitze ebenfalls im Kanton Waadt liegen.

Für den Jungunternehmer liegt die Zukunft der Landwirtschaft in der Entwicklung neuer Technologien. «Wir müssen die Effizienz der Landwirtschaft steigern, um eine Weltbevölkerung zu ernähren, die nach FAO-Prognosen im Jahr 2050 voraussichtlich neun Milliarden Menschen erreichen wird», erklärt er.

Und der Klimawandel, der die Produktionskapazität von Lebensmitteln verändert, ist nicht der einzige Faktor, der ins Spiel kommt. Die Entwicklung der ländlichen Welt erfordert neue Praktiken.

«Die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Menschen nimmt weltweit ab. Im Verlauf der nächsten 20 Jahre dürften die meisten Betriebe vollständig automatisiert sein, bewirtschaftet mit Hilfe von Robotern. Und um das zu erreichen, braucht es autonome digitale Agronomie-Systeme, die dem Traktor sagen, was er tun soll», schliesst Akhtman.

Kurzbiografie

Yosef Akhtman wurde 1976 in der Ukraine geboren. 1990 wanderte er mit seiner Familie nach Israel aus.

Im Jahr 2000 schloss er sein Studium für Physik und Mathematik an der Hebräischen Universität ab, 2007 promovierte er an der University of Southampton in Elektrotechnik. Von 2011 bis 2015 war er Forscher an der Eidgenössischen technischen Hochschule Lausanne (EPFL).

Im Januar 2015 gründete Akhtman Gamaya, ein «Spin-off» der EPFL, das heisst, ein Unternehmen, das aus einem Forschungsprojekt hervorging.

2018 führte die Handelszeitung Gamaya unter den Top-Ten der Startups in der Schweiz auf.

Zu den Investoren von Gamaya gehören Unternehmer wie der ehemalige Nestlé-Präsident Peter Brabeck und die Familienstiftung Sandoz.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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