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Wie die Schweiz darum kämpft, die Renten zu sichern

Altersversicherung: Seit 1948 im Marathon-Modus durch die Demokratie Schweiz

Einreichung einer Volksinitiative vor der Bundeskanzlei
Die AHV ist seit Jahrzehnten wiederkehrend Thema in der Schweizer Politik. Auf diesem Foto ist eine ihrer jüngsten Episoden zu sehen: Am 28. Mai 2021 wird eine Initiative eingereicht, die die Zahlung einer 13. Monatsrente pro Jahr fordert. Keystone / Anthony Anex

Am 25. September werden die Schweizer:innen an die Urne gerufen, um über die x-te Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung abzustimmen. Die AHV ist seit der Einführung im Jahr 1948 regelmässig Gegenstand von Volksabstimmungen, weil an ihrer Ausgestaltung Grundsatzfragen zu Solidarität, Gleichstellung von Mann und Frau, Armut oder auch die Finanzierung der Sozialversicherung verhandelt werden.

Die Schweizer Stimmberechtigten stimmen am 25. September über eine neue ReformExterner Link der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ab, die unter anderem eine Anhebung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre vorsieht und es damit auf jenes der Männer anhebt. Die Abstimmung ist bereits die 24. schweizweite Abstimmung über die AHV seit ihrer Einführung vor über 70 Jahren.

  • 1952: Der Bundesbeschluss, die Steuern der Tabakindustrie zugunsten der AHV zu senken, überzeugt 68% der Stimmberechtigten.
  • 1972: Das Drei-Säulen-Prinzip (AHV, Pensionskasse und individuelle Vorsorge), vorgeschlagen von Regierung und Parlament, überzeugt eine Mehrheit von 74% und geht in die Verfassung ein.
  • 1972: Die Initiative der Partei der Arbeit «zur Einführung einer Volkspension», die eine Ausweitung und Stärkung der AHV vorschlägt, wird mit 78% abgelehnt.
  • 1978: Die 9. AHV-Revision, die Rentenhöhe an die Lohn- und Preisentwicklung bindet, wird mit 65% angenommen.
  • 1978: Die Initiative der Poch (Progressive Organisationen der Schweiz, studentische Linke) für eine Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre für die Männer und auf 58 für die Frauen wird mit 79% abgelehnt.
  • 1988: Die neue Initiative der Poch will das Rentenalter für Männer auf 62 und für Frauen auf 60 setzen. 64% stimmen dagegen.
  • 1995: Die 10. AHV-Revision, die eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 62 auf 64 Jahre und die Möglichkeit einer Frühpensionierung beinhaltet, wird mit 60% angenommen.
  • 1995: Die vom Gewerkschaftsbund lancierte Initiative zur Stärkung der AHV und für ein Rentenalter 62 für alle wird mit 72% abgelehnt.
  • 1998: Diese Initiative des Gewerkschaftsbunds forderte die Rücknahme des höheren Frauenrentenalters. 58% der Abstimmenden waren dagegen.
  • 2000: Die Initiative des Kaufmännischen Verbands Schweiz gegen die Erhöhung des Rentenalters von Frauen lehnen 60% ab.
  • 2000: Die Initiative der Grünen Partei für ein flexibles Rentenalter für alle ab 62 Jahren lehnen 54% ab.
  • 2001: 77% lehnen diese Initiative der Grünen Partei ab, welche die AHV und andere Sozialversicherungen durch eine Steuer auf nicht erneuerbare Energien und Wasserkraft finanzieren will.
  • 2002: Die Initiative der rechtskonservativen SVP zur Stützung des AHV-Fonds mit «überschüssigen Goldreserven» der Schweizer Nationalbank wird von 51% abgelehnt.
  • 2002: Der Gegenvorschlag zur Goldinitiative der SVP wird von der Mehrzahl der Stimmberechtigten abgelehnt, aber erlangt das Ständemehr.
  • 2004: Die 11. AHV-Revision, die das Rentenalter der Frauen auf 65 heben will, wird mit 67% verworfen.
  • 2004: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV lehnen 68% ab.
  • 2006: Die linke Initiative, die die Nationalbankgewinne zugunsten der AHV einsetzen will, wird mit 58% abgelehnt.
  • 2008: Diese Initiative des Gewerkschaftsbunds, die ein flexibles Rentenalter für alle ab 62 fordert, wird mit 59% verworfen.
  • 2015: 71% lehnen die Initiative der Linken für eine neue Erbschaftssteuer zur AHV-Finanzierung ab.
  • 2016: Diese Initiative des Gewerkschaftsbunds für höhere AHV-Renten wird mit 59% verworfen.
  • 2017: Die Vorlage Altersvorsorge 2020, die eine Reform der AHV und der zweiten Säule (berufliche Vorsorge) mit einer Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre beinhaltete, wird mit 52% abgelehnt.
  • 2017: Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV wird knapp abgelehnt.
  • 2019: Die Unternehmenssteuerreform (STAF), die ebenfalls eine Erhöhung der AHV-Beiträge und eine stärkere Beteiligung des Bundes vorsieht, wird mit 66% angenommen.

Während des Zweiten Weltkriegs nutzte die Regierung ihre Sonderbefugnisse, um die Sozialversicherungen auszubauen. Sie führte insbesondere die Lohn- und Verdienstausfallentschädigung für Militärangehörige ein. Die Organisation und die Finanzierung dieser Leistungen dienen als Modell für die neue Altersversicherung, die 1947 80% der stimmberechtigten Männer in der Schweiz annehmen.

Das erste AHV-Gesetz sah bereits eine Umlagefinanzierung vor: Die Beiträge, die zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlt wurden, gingen direkt an die Rentner:innen. Die Erwerbstätigen finanzieren also die Pensionierten. Es handelt sich um eine Versicherung mit Solidaritätsgedanken, weil Spitzenverdiener:innen hohe Beiträge zahlen, aber die höchsten Monatsrenten gedeckelt sind.

Das gesetzliche Rentenalter lag damals für alle bei 65 Jahren. Eine Ehepaarrente war aber bereits ab dem Zeitpunkt vorgesehen, an dem der Ehemann 65 und seine Frau 60 Jahre alt wird.

Im Zuge der verschiedenen AHV-Reformen, die vor allem darauf zielten, die Renten und Beiträge an das höhere Lohnniveau und die Lebenshaltungskosten anzupassen, wurde das Rentenalter für Frauen schrittweise gesenkt: 1957 auf 63 Jahre und 1964 auf 62 Jahre. Das Recht zu wählen und gewählt zu werden, erhielten Frauen erst 1971.

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Zu tiefe Renten

In den 1960er-Jahren machten sich die Behörden Sorgen über die prekäre Lage älterer Menschen: Die AHV konnte den Verfassungsauftrag, den Lebensunterhalt zu decken, nicht erfüllen. Ein grosser Teil der Rentner:innen lebte unter der Armutsgrenze. In der Folge beschloss das Parlament die Einführung von Ergänzungsleistungen EL, um die sozial schwächsten Rentner:innen zu unterstützen.

Diese Lösung war damals als Übergangslösung gedacht, bis AHV und berufliche Vorsorge jedem und jeder ein Leben mindestens auf dem Existenzminimum ermöglichen würde. Dieses Ziel wurde jedoch nie erreicht und so sind die EL-Ergänzungsleistungen bis heute Bestandteil des Schweizer Wohlfahrtstaats.

Das Jahr 1972 markiert im Schweizer Rentensystem einen wichtigen Wendepunkt: Das Drei-Säulen-Prinzip wird in einer Volksabstimmung angenommen und in der Verfassung verankert. Die AHV soll weiterhin das Existenzminimum sichern, wird aber durch die berufliche Vorsorge, die für alle Arbeitnehmer obligatorisch ist, sowie durch die freiwillige individuelle Vorsorge ergänzt.

Die Partei der Arbeit und der linke Flügel der sozialdemokratischen Partei wollten die AHV hingegen stärken und ausbauen. Die Mehrheit der Stimmberechtigten sah das anders: Das Volk lehnte die Initiative «zur Einführung einer Volkspension» ab und zog den Gegenvorschlag des Bundesrats vor, der die private Vorsorge stärker gewichtet.

Jahre des Streits

Die Stimmberechtigten lehnen 1978 eine Initiative der studentischen Linken für ein tieferes Rentenalter. Das markiert den Anfang eines langen Ringens um das Rentenalter. 1988 versuchen es die studentischen Kreise erneut mit einem ähnlichen Vorhaben, das wieder keine Mehrheit überzeugt.

Im Jahr 1995 wird die 10. AHV-Revision von 60% der Abstimmenden unterstützt. Diese Revision hat eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters für Frauen von 62 auf 64 Jahre, sowie die Möglichkeit der vorzeitigen Pensionierung beinhaltet. Am selben Abstimmungssonntag stellen sich die Stimmbürger:innen gegen die Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes ab, welche das ordentliche Rentenalter für alle auf 62 Jahren setzen wollte.

Drei Jahre später treten die Gewerkschaften noch einmal an, um die in der 10. AHV-Revision beschlossene Erhöhung des Rentenalters für Frauen rückgängig zu machen. Auch diese Initiative wird abgelehnt – mit einem Nein-Anteil von 58%.

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Als die Regierung dann versucht, das ordentliche Rentenalter für Frauen erneut zu erhöhen, von 64 auf 65 Jahren, überzeugt sie keine Mehrheit mehr: 64% der Abstimmenden entscheiden sich 2004 gegen die 11. AHV-Revision. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund startet daraufhin wiederum eine Initiative für ein generelles Rentenalter von 62 Jahren. Dieses Vorhaben scheitert 2008 an der Urne.

Regierung und Parlament bringen eine Rente mit 65 für alle wieder in ihrer Reform «Altersvorsorge 2020» ein. Diese Reform, die AHV und die Pensionskasse umfasst, überzeugt die Stimmberechtigten nicht: 2017 lehnen 52% der Abstimmenden die Vorlage ab. In der Folge werden die Reformpläne für die erste und die zweite Säule getrennt.

Nun steht am 25. September 2022 die Abstimmung über die x-te Reform der AHV an. Wieder einmal beinhaltet die Vorlage der Regierung eine Erhöhung des Rentenalters von 64 auf 65 Jahre.

Die Frage der Finanzierung

Der Grund für die Hartnäckigkeit, mit der Regierung und die bürgerliche Mehrheit im Parlament das Rentenalter für Frauen erhöhen wollen, ist die problematische Finanzlage der AHV: Da die Bevölkerung im Schnitt immer älter wird, fehlen genügend Erwerbstätige, um die Renten der Pensionierten zu bezahlen.

Nach Prognosen des Bundes wird die Rentenversicherung ab 2029 defizitär. Die Behörden müssen daher schnell Wege finden, um die Kasse zu füllen, damit die AHV weiterhin funktionieren kann. Am 25. September geht es darum ebenfalls um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer (MwSt.) zugunsten des AHV-Fonds.

Die Kasse der AHV ist seit langem Gegenstand intensiver politischer Auseinandersetzungen: In den letzten 20 Jahren ist eine Vielzahl von Initiativen zur Erweiterung der Finanzierungsquellen eingereicht worden. Alle hat das Volk abgelehnt.

Die linke Grüne Partei wollte eine Steuer für nicht erneuerbare Energie, die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei wollte die Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank nutzen und die Sozialdemokrat:innen wollten eine neue Erbschaftssteuer einführen.

Da die letzten AHV-Revisionen und alle alternativen Finanzierungspläne an der Urne gescheitert sind, haben die Behörden eine kurzfristige Lösung ausgearbeitet, um die erste Säule der Altersvorsorge bis 2031 in den schwarzen Zahlen zu halten.

Die Regierung hofft, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die in der Vorlage «AHV21» vorgesehene Erhöhung des Rentenalters der Frauen von 64 auf 65 Jahre und die Erhöhung der Mehrwertsteuer in die richtige Richtung gehen.

Eine umfassende Reform der Funktionsweise der AHV sowie des gesamten Rentensystems ist aber unumgänglich, um angemessene Renten langfristig zu gewährleisten. So argumentieren auch die linken Parteien und Gewerkschaften, die das Referendum ergriffen haben.

Die «AHV21» sei eine sehr kurzfristige Lösung, die Frauen und Personen mit niedrigem Einkommen benachteilige. Stattdessen solle der gesamte Mechanismus der drei Säulen infrage gestellt und neue Finanzierungswege eingeführt werden. Das Volk entscheidet am 25. September.

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