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Als die US-Mafia Bargeld in Koffern in die Schweiz schmuggelte

Meyer Lansky schaut in die Kamera
Meyer Lansky in einem Anwaltsbüro in Miami, Januar 1982. Keystone / Kathy Willens

In den 1930er-Jahren schleuste die amerikanische Mafia Millionen von Dollar durch die Schweiz und umging dabei geschickt jegliche Strafverfolgung. SWI wirft einen Blick zurück auf diesen vergessenen Kriminalfall.

In der Lower East Side von New York kreuzen sich in den 1910er-Jahren die Wege zweier Männer: Maier Suchowljansky, besser bekannt als Meyer Lansky, und Charles Luciano, ein Mafioso, der eines Tages zum unangefochtenen Boss der Cosa Nostra aufsteigen wird. Lansky ist ein Mathe-Genie, während Luciano einen grossen Ehrgeiz besitzt. Die beiden Männer werden Freunde.

Die turbulenten Zeiten der Prohibition und des aufkeimenden organisierten Verbrechens bieten ihnen ungeahnte Möglichkeiten. Doch als der amerikanische Staat beginnt, rigoroser gegen die Mafia durchzugreifen, stehen Lansky und Luciano vor einem Problem: Sie müssen ihr schmutziges Geld «waschen», um es vor dem Griff der Behörden zu schützen.

Sie gründen Casinos, unter anderem in Las Vegas, wo sie das erste überhaupt errichten – das Flamingo. Dort vermischen sie geschickt Geld aus kriminellen Quellen mit Einnahmen aus Glücksspielen. Doch sie fragen sich, wie sie Steuerbehörden umgehen und die vollgestopften Geldkoffer aus dem Casino schmuggeln können.

«Es ist das Dilemma, mit dem sich jede grosse kriminelle Organisation konfrontiert sieht, vor allem die Mafia, die damals extrem hohe Gewinne erwirtschaftete», sagt Sébastien Guex, emeritierter Professor für Geschichte an der Universität Lausanne und Experte für das Schweizer Bankgeheimnis. «Wie schaffen sie es, das Geld aus illegalen Kreisläufen zu entfernen und den Anschein zu erwecken, dass es aus legalen Quellen stammt?»

>> Hören Sie die erste Folge unseres Podcasts «Dangereux millions» über die Kofferträger der Mafia (auf Französisch):

Externer Inhalt

Lansky richtet seinen Blick auf die Schweiz, ein Land, das für seine Diskretion bekannt ist und ausser Reichweite der US-Steuerbehörden liegt. Und siehe da: Die Schweizer Banken spielen mit.

Sie erleichtern ihm die Arbeit, indem sie den Geldtransfer aus den USA über spezielle Transporteur:innen, so genannte «Pilger», organisieren. Diese Kofferträger:innen schaffen das Geld persönlich über die Grenze in die Schweiz. «Sie nahmen ihren Kunden viele Risiken ab und verschafften ihnen Anonymität», erklärt Guex.

Die Genfer Verbindung

Das Geld von Lansky und Luciano landet in den Tresoren einer Genfer Bank namens Crédit International. Diese Bank gehört Tibor Rosenbaum, einem Mann aus Ungarn, der nur knapp der Verfolgung durch den Nationalsozialismus entkam und während des Zweiten Weltkrieges in die neutrale Schweiz flüchtete.

Über die genauen Umstände ihres Kennenlernens ist wenig bekannt. Bekannt ist aber, dass in den folgenden zehn Jahren immense Mengen an grünen Scheinen in den Tresoren der Bank angehäuft wurden – und das völlig unbemerkt.

Das Bunkern und Waschen des Geldes in der Schweiz löst viele der Probleme von Lansky und Luciano. Doch bald stehen sie vor einem neuen: Wie können sie das Vermögen zurück in ihre Heimat schaffen?

Rosenbaum und Lansky tüfteln ein System aus: Das in Genf deponierte Geld wird in «Bankkredite» umgewandelt, welche an US-Unternehmen vergeben werden, die der Mafia gehören. Insbesondere Bauunternehmen erhalten diese Kredite, um Luxusimmobilien in Florida oder Casinos in Las Vegas zu errichten. Zusätzlich profitieren diese Firmen von Steuervorteilen, da sie die Zinsen für die Kredite absetzen können. Ein scheinbar perfektes System.

Das Leck und seine Folgen

Doch ein Leck bringt es zum Einsturz. Am 1. September 1967 prangert das Life-Magazin das System Rosenbaum-Lansky an. Auf elf Seiten enthüllt die US-Wochenzeitschrift das kriminelle Imperium, inklusive bebilderten Einblicken in die Casinos, in denen Milliarden von Dollar umgesetzt werden. Es beschreibt die raffinierten Manöver der Kofferträger:innen und die Hinterzimmergeschäfte in der Genfer Bank von Rosenbaum.

Das Leck geht auf ein Missgeschick eines Bankangestellten namens Sylvain Ferdmann zurück. Als Ferdmann eines Tages, nach erledigter «Pilgerfahrt», seinen Mietwagen zurückgibt, fällt ihm ein Zettel aus der Tasche. Darauf steht MARAL 2812. Es ist der Name eines der berüchtigten Nummernkonten der Bank of International Credit. Ein Mitarbeiter der Autovermietung findet das Papier und übergibt es dem FBI.

«Ich bin mir sicher, dass die Life-Artikel nicht von den Redaktor:innen selbst stammen, sondern vielmehr in Zusammenarbeit mit den US-Behörden entstanden», sagt Bankenexperte Guex.

Washington interveniert in Bern

Während die USA mit aller Macht versuchen, die Konten der Mafia aufzudecken, hat die Schweiz keinerlei Bedenken, ebendieses Geld zu waschen. Eine Kooperation mit den US-Behörden ist für sie undenkbar. Steuerhinterziehung wird damals in der Schweiz nicht als Vergehen betrachtet, die Alpennation ist lediglich dazu bereit, anderen Ländern bei «strafrechtlichen» Angelegenheiten behilflich zu sein.

Trotz dieser Tatsache löst die Angelegenheit grosse Aufregung aus. SWI konnte im Bundesarchiv einen Brief des Schweizer Botschafters in Washington einsehen, der wenige Tage nach der Veröffentlichung der Life-Artikel an das Aussendepartement in Bern geschickt wurde.

«Es scheint sich zu bestätigen, dass es der jüdischen und italienischen Mafia in New York gelungen ist, die Kontrolle über eine Bank in Genf zu erlangen», heisst es in dem Schreiben. Und weiter: «Dieser Fall veranschaulicht auf eindrucksvolle Weise bestimmte internationale Aspekte unseres Bankensystems und die damit verbundenen Probleme für unsere Behörden. Eine Vernachlässigung dieses Falls könnte sich negativ auf unsere guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten auswirken.»

Die Enthüllungen sind derart umfangreich, dass die Schweizer Behörden gezwungen werden, eine Untersuchung einzuleiten.

Die Affäre bereitet auch Tibor Rosenbaum grosse Sorgen, weshalb er einen Genfer Anwalt einschaltet. Die Bank verklagt das Schweizer Magazin L’Illustré wegen Verleumdung, um so die geplante Veröffentlichung einer französischen Fassung des Life-Artikels zu verhindern. Schliesslich unterbreitet Rosenbaum dem Herausgeber Ringier ein Angebot: 50’000 Franken gegen den Verzicht einer Publikation. Der Text landet im Papierkorb.

Die Schweizer Ermittlungen

Gleichzeitig nimmt die Schweizer Polizei ihre Ermittlungen auf. Inspektor Pierre Laperrouza von der Genfer Polizei wird mit dem Fall betraut. Sechs Monate später, im März 1968, veröffentlicht er einen 30 Seiten starken Bericht, zu dem SWI Zugang hatte.

Der Bericht macht deutlich, dass sich die Spitzen der Cosa Nostra jahrelang am Ufer des Genfersees niederliessen. Lansky und dutzende seiner Verwandten kamen in die Region, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Dort trafen sie Geschäftsleute, Bosse, Ehefrauen und Geliebte.

Der Bericht wird in allen Polizeidienststellen der Schweiz verbreitet. Doch es geschieht nichts. Letztendlich blockiert die Hierarchie um Inspektor Laperrouza die Ermittlungen und der Bericht verschwindet erneut in der Schublade.

«Die Schweiz wollte den Fall versenken. Das war ihre Haltung während all dieser Jahre», sagt Sébastien Guex.

Straflos davongekommen

Tibor Rosenbaum und seine Bank wie auch Sylvain Ferdmann, der die Koffer transportiert hatte, werden nicht weiter belästigt. Meyer Lansky entzieht sich den US-Steuerbehörden, indem er nach Israel flieht. Als er schliesslich krank wird, kehrt er in die USA zurück.

Während seines Prozesses behauptet die US-Steuerbehörde, dass Lansky ein Vermögen von 300 Millionen Dollar in «Steueroasen» wie der Schweiz versteckt hatte. Doch gemäss seinen eigenen Steuererklärungen besass er keinen Cent. Im Jahr 1974 wird er freigesprochen. Er zieht sich nach Florida zurück, um seinen Ruhestand zu geniessen, und verstirbt 1982 an Lungenkrebs.

SWI versuchte, Kontakt zu seinem Enkel aufzunehmen, der sich in den sozialen Netzwerken als «Meyer Lansky II» ausgibt. Doch der Nachkomme lehnte eine Interviewanfrage ab.

Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer.

Christoph Kummer

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