Als Drehscheibe für gefälschte Heilmittel attraktiv
Ein gefälschtes Krebsmedikament verunsichert Patienten in den USA. In der Handelskette der Fälschung befindet sich auch eine Schweizer Firma. Die Schweiz ist als Drehscheibe für Fälschungen beliebt, weil Swissness die Waren vertrauenswürdig macht.
Mitte Februar teilte die US-Heilmittelkontrollstelle FDA mit, dass mehrere Onkologen in Kalifornien, Texas und Illinois von ihren Lieferanten nicht das Krebsmedikament Avastin der Roche-Tochtergesellschaft Genentech erhalten hätten, sondern vermutlich eine Fälschung. Laut FDA fehlt dem gefälschten Medikament der Wirkstoff Bevacizumab. Es sei gefährlich und nicht wirksam.
Dass die betroffenen Onkologen das Krebsmedikament nicht direkt beim Hersteller bezogen, dürfte am Preis gelegen haben. 400mg des Medikaments kosten rund 2000 Franken. Je nach Krankheit bezahlt ein Patient für die Behandlung mit dem Krebsmedikament monatlich 5000 bis 10’000 Franken. Die Kosten für einen Behandlungszyklus belaufen sich auf 60’000 bis 100’000 Franken.
Der globalisierte Handel und das wachsende Geschäft mit Parallelimporten sorgen dafür, dass solche Medikamente – auch echte – manchmal billiger zu haben sind, wenn sie über wenig durchschaubare Kanäle vertrieben werden.
Lieferkette über drei Kontinente
Das gefälschte Avastin ist nur ein Beispiel dafür. Wo es hergestellt und wie es in die komplizierte Lieferkette gelangte, wird derzeit untersucht. Einer der involvierten Zwischenhändler, die in Zug domizilierte Hadicon AG, hat nach eigenen Angaben Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug eingereicht.
Hadicon hatte das Medikament in Ägypten bei einer Gesellschaft namens «SAWA for importing and exporting» bestellt, die Ware danach in einem Zürcher Zollfreilager aufbewahrt, bevor sie an die Firma Caremed aus Dänemark weitergeleitet wurde. Die dänische Zwischenhändlerin schickte die Charge nach Grossbritannien weiter, bevor sie in die USA gelangte.
Ende 2011 habe er vom dänischen Lieferanten erfahren, dass Avastin in Grossbritannien konfisziert worden sei, schreibt Hadicon-Geschäftsführer Klaus-Rainer Tödter auf die Fragen von swissinfo.ch. Ein Teil der gefälschten Krebsmedikamente konnte aber offenbar nicht mehr zurückgehalten werden und gelangte an die erwähnten Onkologen in den USA.
Hadicon habe das Medikament mit Wissen ihres dänischen Auftraggebers in Ägypten bestellt. Zur Frage, woher der ägyptische Zwischenhändler das gefälschte Medikament bezog, hat Geschäftsführer Tödter nicht Stellung genommen.
Die Hadicon AG handelt mit pharmazeutischen und medizinischen Produkten und Geräten. Die Firma, die in Zug 7 Mitarbeiter beschäftigt, hat vom Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic eine Bewilligung, bestätigt Vizedirektor Hans-Beat Jenny gegenüber swissinfo.ch.
Hadicon sei eine von 60 Firmen in der Schweiz, die eine Bewilligung hätten, im Ausland – und nur dort – mit Medikamenten zu handeln. Für den Handel mit Arzneimitteln im Inland seien die Voraussetzungen wesentlich strenger. «Jedes Land will primär die eigene Bevölkerung schützen», erklärt Hans-Beat Jenny.
Das einzige Land weltweit
Die Schweiz sei aber weltweit das einzige Land, das auch für den Medikamentenhandel im Ausland eine Bewilligung vorschreibe. Verlangt wird zum Beispiel der Nachweis, dass «im Betrieb ein funktionstüchtiges System zur Sicherung der pharmazeutischen Qualität von Arzneimitteln» betrieben wird.
«Man muss u.a. die Ein- und Ausgänge aufzeichnen und aufbewahren», sagt der Vizedirektor der Heilmittelbehörde. «Die Handelsfirma muss der Empfängerin in jedem Fall die Originalherstellerin und die Original-Chargennummer der gelieferten Ware mitteilen».
Zur Frage, ob die Firma Hadicon AG beim erwähnten Handel mit dem vermeintlichen Avastin diese Sorgfaltspflicht eingehalten hatte, will sich die Heilmittelbehörde während des laufenden Verfahrens nicht äussern: «Die Firma Hadicon ist im Rahmen der Ermittlungen gefordert», sagt Hans-Beat Jenny.
Stufenweise vertrauenswürdiger
Die Schweiz nimmt im Handel mit Medikamenten weltweit einen Spitzenplatz ein. Der Umsatz der Pharma-Multis liegt bei 30 Milliarden Franken, 98 Prozent davon werden exportiert. In der Schweiz gibt es mehr als 300 Firmen, die mit pharmazeutischen Produkten handeln.
«Unser Land bietet bewusst für Handeltreibende ein günstiges Umfeld: Es herrschen wirtschafts-und steuerfreundliche Bedingungen, die Handels- und Gewerbefreiheit wird hoch gehalten; im Vergleich mit den meisten andern Ländern ist es weniger kompliziert, eine Firma zu gründen», sagt Hans-Beat Jenny.
Der gute Ruf macht die Schweiz – trotz ihrer schärferen Bewilligungspraxis – aber auch für dubiose Medikamentenhändler zu einem beliebten Pflaster. «Das ist so», bestätigt Jenny. «Bei Fälschungen stellt man oft fest, dass die wahre Herkunft der Ware verschleiert wurde.»
Ein klassisches Beispiel dafür waren Medikamente, die aus Pakistan über Israel nach Holland und letztlich durch einen deutschen Grosshändler vertrieben wurden. «Weil die vermittelnde Firma ihren Sitz in der Schweiz und die Ware aus Israel geliefert wurde, schöpften die Abnehmer keinen Verdacht. «Solche Wege schlagen Fälschungen oft ein, um von Land zu Land jeweils eine Stufe «vertrauenswürdiger» zu werden.
«Wenn man dem deutschen Grosshändler von Anfang an Waren aus Pakistan angeboten hätte, wäre er vermutlich hellhöriger geworden.»
Keinen Verdacht geschöpft?
Hätten bei der Zuger Firma Hadicon AG nicht auch die Warnlämpchen leuchten müssen, als ihr das Krebsmedikament von einem ägyptischen Zwischenhändler angeboten wurde?
«Mit den Lieferungen der Firma SAWA gab es vorher nie Probleme», schreibt Geschäftsleiter Klaus-Rainer Tödter. «Hadicon muss annehmen, Opfer eines gross angelegten internationalen Betrugs geworden zu sein. Die Urheber wussten, dass ein in die Lieferkette eingeschleustes Medikament in Originalverpackung nicht mehr geöffnet werden darf.»
In den letzten 10 Jahren sind in der Schweiz «nur» eine Handvoll Fälschungsfälle aufgeflogen, bei welchen Handelsfirmen in der Schweiz betroffen waren. Ob es sich dabei nur um die Spitze eines Eisbergs handelt, sei schwierig einzuschätzen, sagt Hans-Beat Jenny. Es gebe Länder, wie Nigeria zum Beispiel, wo 50% der Arzneimittel in den offiziellen Kanälen (Apotheken und Spitäler) gefälscht seien.
Experten schätzen, dass 5 Prozent aller weltweit verkauften Medikamente Fälschungen sind.
Im Kampf gegen Fälschungen prüft die EU ein elektronisches Instrument das die Sicherheit der Lieferkette erhöhen soll: Ein elektronischer Stammbaum (Track and Trace), soll dafür sorgen, dass sich die Medikamente und ihre Produktionsgeschichte jederzeit überprüfen lassen.
Anstelle der bisher üblichen Chargennummer soll jede einzelne Packung des Arzneimittels, vielleicht sogar jede einzelne Tablette, eine Identitätsnummer erhalten.
Der Server erfasst, wann die Packung X die Fabrik verlässt, der Grosshändler bestätigt deren Ankunft usw., bis der Apotheker sie dem Patienten übergibt und entwertet. Wenn die Identitätsnummer des Medikaments X danach noch irgendwo erscheint, würde auf dem Server Alarm ausgelöst.
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