Inside Philip Morris: Auf Mission, um Skeptiker zu überzeugen
Philip Morris erfindet sich gerade neu. Der weltgrösste Tabakkonzern will, dass Sie mit dem Rauchen aufhören – sagt er. Wie ist es, für diesen Konzern zu arbeiten? Kurz gesagt: nie langweilig.
Das Innere des operativen Hauptsitzes von Philip Morris International (PMI) in Lausanne ähnelt eher dem Hauptsitz eines Technologieunternehmens im Silicon Valley als einem alten Zigarettenunternehmen. Im Gegensatz zur geradlinigen Fassade ist der Innenraum hell, geschäftig und fast verspielt. Menschen sind zwischen lilafarbenen Arbeitsinseln und Glaskabinen zum Telefonieren unterwegs.
Vielleicht ist das ein Symbol für den grossen Wandel, der bei PMI im Gange ist. Oder von dem wenigstens die Rede ist. Tinat Chowdhry, Managerin des Market Support for Global Communications, sagt es so: «Die Leute denken, dass wir der Marlboro-Macher sind. Es wird Zeit brauchen, um sie davon zu überzeugen, dass wir es ernst meinen mit unserem Engagement für eine rauchfreie Zukunft.»
Inside multinationaler Firmen
Dieser Artikel ist Teil einer Serie zum Thema arbeiten für ein multinationales Unternehmen in der Schweiz. Multinationale Unternehmen spielen eine wichtige Rolle in der Schweizer Wirtschaft. Wie ist es, in diesen Unternehmen zu arbeiten und mit welchen Herausforderungen sind ihre Mitarbeitenden konfrontiert?
Vor etwas mehr als zwei Jahren kündigte PMI die Überarbeitung seines gesamten Geschäftsmodells an. Der Konzern will zur Lösung eines selbst geschaffenen Problems beitragen. Dabei will er nicht aus dem Tabak-Geschäft aussteigen. Doch fordert das umstrittene Unternehmen, das seit mehr als 50 Jahren stark in der Schweiz präsent ist, dazu auf, mit dem Rauchen von Zigaretten aufzuhören.
Können oder wollen die Raucher und Raucherinnen nicht aufhören, rät ihnen PMI zu den angeblich weniger schädlichen Alternativen überzugehen – vorzugsweise zu den rauchfreien Produkten aus dem eigenen Haus. Dazu gehört auch das IQOS, ein Tabakprodukt zum Erhitzen.
Eine unkonventionelle Karriere
PMI steht für ein multinationales Unternehmen. Nur selten finden sich in einem Team Menschen mit der gleichen Nationalität. Chowdhry kommt ursprünglich aus Kalkutta, Indien. Ihre Kollegin Christina Yatrakis, Supervisorin Operations Communications, ist an der Ostküste der USA aufgewachsen. Und Rui Minhos, Leiter des wissenschaftlichen Engagements, wurde in einem kleinen Dorf im Zentrum Portugals geboren.
Schweizerisch oder amerikanisch?
Die Identität von PMI ist weder richtig amerikanisch noch richtig schweizerisch.
2008 wurde das Unternehmen als eigene Gesellschaft aus der Altria Group, Inc. ausgegliedert, der Muttergesellschaft von Philip MorrisUSA. Während die beiden Unternehmen Marken wie Marlboro über Lizenzvereinbarungen teilen, verkauft PMI nur Produkte ausserhalb der USA und hat völlig andere Eigentümer als sein amerikanischer Namensgeber.
Das Unternehmen hat einen kleinen Firmensitz in New York, aber die meisten Entscheidungen werden von der Schweizer Stadt Lausanne aus getroffen, und die ersten Marlboro-Zigaretten ausserhalb der USA wurden in Neuenburg hergestellt, wo auch das wichtigste Forschungs- und Entwicklungszentrum ist. Die Produkte werden in 180 Märkten verkauft. Dabei ist Japan der am schnellsten wachsende Markt für erwärmte Tabakprodukte.
Tabak war für Chowdhry und ihre Kollegen nicht der naheliegende Karriereweg. «Ich wollte für ein Konsumgüterunternehmen arbeiten, aber ich habe mir die typischen Unternehmen wie Unilever angesehen. Tabak stand schlicht nicht auf meiner Liste», erzählt sie. Als sie 2016 auf den Stellenausschrieb stiess, war sie «erstaunt, was das Unternehmen zu tun versucht [mit seiner rauchfreien Strategie].»
Minhos, ein Apotheker, der fast ein Jahrzehnt lang in der pharmazeutischen Industrie in regulatorischen Angelegenheiten tätig war, erhielt 2010 den Anruf eines Headhunters. «Ich erinnere mich, dass ich mich gefragt habe – warum braucht ein Tabakunternehmen einen Apotheker?»
Er erklärt, dass «wir damals noch kein IQOS hatten, aber es wurde von Produkten der nächsten Generation gesprochen, welche die Auswirkungen von Zigaretten reduzieren können».
Es wurde klar, weshalb er ein attraktiver Kandidat war: «Sie brauchten viel Wissenschaft, ein neues Produkt, das reguliert werden muss, und sie haben eine grosses Glaubwürdigkeitsproblem», so Minhos. Auch nach acht Jahren bei PMI bereue er seinen Entscheid nicht, sagt er.
«Schluss mit Nikotin-Produkten»
Die Arbeit für ein Unternehmen, das ein Produkt produziert, das wissenschaftlich erwiesenermassen Krebs verursacht, wirft einige unbequeme ethische Fragen auf. Yatrakis sagt, dass sie sich vor ihrem Stellenantritt Gedanken darüber gemacht habe, aber «ich glaube an das, was wir tun und dass wir es auf die richtige Weise tun».
Auch Chowdhry sagt, dass sie nicht wirklich Probleme damit habe. «Ich versuche, alle, die ich kenne, davon zu überzeugen, mit Nikotinprodukten aufzuhören. Und das entspricht dem, was die Firma mir sagt. Wenn du dich jedoch für das Rauchen entscheidest, dann benutze besser Alternativen.»
Rauchfreie Produkte
Es gibt zwei Hauptkategorien von rauchfreien Alternativen zu herkömmlichen Zigaretten. Die erste Kategorie, zu der auch IQOS gehört, erwärmt Tabak ohne Verbrennung oder Rauch. Die zweite Art sind E-Zigaretten, die eine nikotinhaltige Flüssigkeit verdampfen lassen.
Vielleicht ist die Geschichte aber doch nicht so einfach, wie es scheint. So sah sich das Unternehmen mit dem Vorwurf konfrontiert, versucht zu haben, die Anti-Raucher-Gesetze, insbesondere in Afrika, zu schwächen oder zu blockieren.
Anti-Tabak-Gruppen sagen auch, dass das Unternehmen laut dem Chef der US-Arzneimittelbehörde FDA zur «Epidemie des E-Zigarettenkonsums unter Teenagern» beitrage. PMI wurde zudem beschuldigt, Jugendliche, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern wie Indien, mit Werbegeschenken und bunten Anzeigen explizit anzusprechen.
Die Tatsache, dass das Design und die verschiedenfarbigen Accessoires von IQOS leicht mit einem iPhone verwechselt werden können, macht es nicht besser.
Pharmaindustrie als Inspiration
Minhos und seine Kolleginnen wissen, dass sie sich einem harten Kampf stellen müssen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen. PMI hat nicht nur ein Produkt hergestellt, das der menschlichen Gesundheit schadet, sondern auch Klagen wegen irreführender Marketingtaktiken eingefangen. Das Unternehmen wurde zudem beschuldigt, die negativen Auswirkungen von Zigaretten heruntergespielt zu haben.
Etwa 27 Länder haben ein Verbot für E-Zigaretten und andere rauchfreie Tabakgeräte verhängt, darunter Australien, Hongkong und Brasilien.
Um Regierungen, Mediziner und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass solche Geräte der Weg in die Zukunft sind, bedient sich das Unternehmen mit Hilfe von Minhos einer Seite des Pharmaindustrie-Handbuchs: Fokus auf Wissenschaft.
So verbringt Minhos die meiste Zeit an wissenschaftlichen Konferenzen, führt Aufsichtsbehörden durch die Forschungseinrichtungen von PMI und gewährleistet die Qualitätskontrolle der wissenschaftlichen Studien, von denen PMI mehr als 30 über sein Tabakprodukt zum Erhitzen, IQOS, veröffentlicht hat.
PMI sagt, die Studien zeigten, dass die Raucher durch das Erwärmen statt Verbrennen von Tabak deutlich weniger Karzinogenen ausgesetzt seien. Anti-Tabak-Gruppen und andere Kritiker hinterfragen die Unabhängigkeit dieser Studien und sagen, dass sie die langfristigen Auswirkungen der Produkte nicht erfassen. Es gibt auch einige Hinweise darauf, dass E-Zigaretten-Nutzer ein höheres Risiko für Herzinfarkte haben.
Minhos glaubt, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft zu dem Schluss kommen wird, dass so genannte «schadensvermindernde Programme» in einer Welt von mehr als einer Milliarde Rauchern notwendig sind. Er sagt: «Wenn Schadensverminderungsprogramme für HIV, Sicherheitsgurte und Nadelaustauschprogramme funktionieren, warum schaut man sich dann nicht die Reduzierung von Tabakschäden an?»
Nach Angaben des Unternehmens haben bereits rund sechs Millionen Menschen auf rauchfreie Produkte umgestellt, und selbst dort, wo solche Produkte verboten sind, gewinnt PMI an Boden. Minhos sagt, dass es PMI in Brasilien «in einem Land, in dem das Produkt verboten ist, gelungen ist, an einem Sonntagnachmittag in einem Spital mit 20 bis 30 Ärzten eine wissenschaftliche Sitzung durchzuführen».
Er ist überzeugt, dass PMI auf dem richtigen Weg sei. «Wenn wir bisher Teil des Problems waren, haben wir die Möglichkeit, Teil der Lösung zu sein.»
Das Ende der Marlboro-Zigaretten?
«Ja, aber…»: Chowdhry sagt, dass PMI-Chef André Calantzopoulos «ja gesagt hat [wir werden aufhören, Zigaretten zu verkaufen]. Wir haben einen wesentlichen Teil unserer Ressourcen neu darauf ausgerichtet, die Entwicklung und Vermarktung von rauchfreien Produkten voranzutreiben. Aber eine grosse Veränderung braucht Zeit.»
Über Philip Morris International
Gegründet: Philip Morris & Co wurde 1919 in den USA gegründet. 1963 erwarb die Firma die Neuenburger Fabriques de Tabac Réunies und 1987 wurde PMI zu einer Betriebsgesellschaft von Philip Morris Companies. Im Jahr 2001 wurde das PMI-Operationszentrum von New York nach Lausanne verlegt und PMI wurde schliesslich von dem in den USA ansässigen Philip MorrisUSA getrennt.
Hauptquartier: Lausanne (operativ); New York
Mitarbeitende: weltweit 81’000, davon 3000 in der Schweiz
Betrieb: Das Unternehmen verfügt über 46 Produktionsstätten in 31 Ländern der Welt und seine Produkte werden in 180 Märkten verkauft. Die Firma verfügt über drei Standorte in der Schweiz: Lausanne, Spreitenbach und Neuenburg, wo sie ihre globale Forschung und Entwicklung sowie ihre älteste Produktionsstätte unterbringt, die derzeit sowohl Zigaretten als auch Produkte ohne Verbrennung produziert.
(Übertragung aus dem Englischen: Kathrin Ammann)
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