Europameister in Sachen Arbeitsmarkt? – Von wegen!
Die Arbeitslosenrate in der Schweiz steigt im August nur leicht an. Grund zum Jubeln ist das allerdings nicht, wie unter anderem der Blick ins nahe Ausland zeigt.
Wer befürchtet hat, die Arbeitslosigkeit in der Schweiz werde wegen der Corona-Krise explodieren, sieht seine Sorgen bisher nicht bestätigt. Im August ist die Arbeitslosenrate nur leicht gestiegen – von 3,2 Prozent im Juli auf nun 3,3 Prozent. Im europäischen Vergleich schafft es die Schweiz damit auf das Podest der Länder mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit – allerdings nur auf den ersten Blick. Denn der Vergleich mit Europa ist nicht ganz so einfach.
Die tiefste Arbeitslosenrate innerhalb der Europäischen Union (EU) hat gemäss dem europäischen Statistikamt Eurostat Tschechien. Im Juli lag die Arbeitslosigkeit dort bei nur 2,9 Prozent. Mit ihren 3,2 Prozent im Juli käme die Schweiz hinter Polen auf Platz drei. Käme, Konjunktiv.
Denn der direkte Vergleich hinkt. In der Schweiz wird die Arbeitslosenrate nämlich anders erhoben als in der EU. Bei uns gilt als arbeitslos, wer bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) angemeldet ist. Wer ohne Job, jedoch nicht angemeldet ist, ist zwar de facto erwerbslos, gilt de jure in der Schweiz aber nicht als arbeitslos.
Im europäischen Mittelfeld
Auch die Schweiz erfasst aber eine mit dem Ausland vergleichbare Erwerbslosenrate. Die aktuellste Zahl dafür stammt aus dem Juni. Damals betrug sie 4,6 Prozent.
Damit rutscht die Schweiz im europäischen Vergleich plötzlich ins Mittelfeld ab und landete hinter Ländern wie Bulgarien, Deutschland und den Niederlanden auf Rang acht – gemeinsam mit Slowenien.
Das Schlimmste steht noch bevor
Auch sonst gibt es nur bedingt Grund für ein stolzes Klopfen auf die eidgenössische Schulter: Während die Zahl der beim RAV gemeldeten Arbeitslosen im August in der Schweiz gegenüber dem Vormonat fast konstant blieb, hat sie im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. Damals lag sie bei nur 2,1 Prozent.
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Dabei ist der Sommer, wenn fleissig gebaut und viel gereist wird, üblicherweise die Saison mit der tiefsten Arbeitslosenrate. Gastgewerbe und Baubranche sorgen normalerweise dafür, dass die Arbeitslosigkeit erst im Herbst zu steigen beginnt, ehe sie im Frühling wieder sinkt. Wenig überraschend ist das Gastgewerbe diesen Sommer allerdings kein Treiber für neue Stellen. Im Gegenteil: In der Branche sind aktuell fast doppelt so viele Personen arbeitslos wie vor einem Jahr. Und unmittelbar ist keine Besserung in Sicht.
Das Schlimmste steht uns also noch bevor. Die Experten des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) rechnen damit, dass die Arbeitslosenrate nächstes Jahr mit 4,1 Prozent ihren Höchststand erreichen wird.
Kurzarbeit halbiert
Höchstens einen zarten Hoffnungsschimmer bieten die Zahlen zur Kurzarbeit. Dieses Mittel hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Arbeitslosenrate in den letzten Monaten nicht noch stärker gestiegen ist. Laut Boris Zürcher, dem Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco, wäre die Rate im April ohne dieses Instrument auf über 20 Prozent hochgeschnellt, wie eine grobe Schätzung ergeben habe. Unter dem Regime der Kurzarbeit erhalten angemeldete Betriebe vom Staat Geld, wenn sie die Angestellten vorübergehend ganz oder teilweise freistellen aber nicht entlassen.
Die Corona-Krise – insbesondere der Lockdown – hat im Frühling zu einer Flut an Gesuchen für Kurzarbeit geführt. Im Juni waren immer noch fast eine halbe Million Angestellte in über 50’000 Betrieben in Kurzarbeit. Zum Vergleich: Im Jahr davor galt nur für 1500 Personen Kurzarbeit.
Wenigstens – und das ist immerhin eine positive Nachricht – zeigte sich bei der Kurzarbeit im Juni eine deutliche Entspannung: Gegenüber Mai hat sich die Zahl der betroffenen Angestellten und Firmen halbiert.
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