Film bringt Licht in die Dunkelkammer Schwarzarbeit
Dem Schweizer Arbeitsmarkt eilt zwar ein sauberes Image voraus, aber dennoch ist Schwarzarbeit verbreitet. Viele Arbeitnehmende, darunter zahlreiche Ausländer:innen, arbeiten unter schlechten Bedingungen. Ein Film des Schweizer Regisseurs Ulrich Grossenbacher bringt Licht ins Dunkel.
«Wie viele hast du?» – «Mir fehlt ein Tamile. Einer ist abgehauen.» Zwei Arbeitsinspektoren kontrollieren ein Restaurant in der Schweiz. Einer geht mit einer kleinen Taschenlampe in den Keller hinunter, um den verschwundenen Mann zu suchen. Er beleuchtet ein Zimmer mit seiner Taschenlampe. Nichts. Ein anderes Zimmer. Eine Spielhölle. Und noch eins, da ist er. «Guten Tag. Kommen Sie mit. Ganz ruhig.»
Trotz der freundlichen Worte wurde der entdeckte Man aus Sri Lanka von der Polizei mitgenommen. Beim Verhör wurde festgestellt, dass er ein illegaler Einwanderer ist. Dies ist eine Szene, die sich bei einer der Inspektion abspielte, die Regisseur Ulrich Grossenbacher für seinen Film «Schwarzarbeit» begleitete.
Für den Dokumentarfilm hat er dutzende Inspektionen im Kanton Bern begleitet und insgesamt 68 Tage gedreht. So kamen über 300 Stunden Filmmaterial zusammen. Dabei sind ihm schwer zu fassenden Arbeitsbedingungen begegnet. Die Beispiele reichen vom Lebensmittelverkäufer, der sieben Tage pro Woche arbeitet bis zu einer Pflegerin, die 24 Stunden am Stück im Einsatz ist.
Wahrscheinlich seien es solche Szenen, die einem vielleicht mal in einem Vorabend-Krimi begegnet seien, welche die Vorstellungen von Schwarzarbeiter:innen prägen würden. «Schwarzarbeit prüft diese Fiktionen dokumentarisch auf ihren Wahrheitsgehalt und nimmt sich eines Themas an, mit dem ein Grossteil des Publikums sicher glaubt, keine Berührungspunkte zu haben», so die Filmzeitschrift «Film Bulletin» bewertet.
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Auf Baustellenkontrolle im unfertigen Fertighaus
Globalisierter Arbeitsmarkt
«Was mich am meisten überrascht hat, ist der globalisierte Arbeitsmarkt», sagt Grossenbacher. Die allermeisten der im Film gezeigten Fälle von Ausbeutung betrafen Ausländer:innen, sei es in Coiffeursalons oder Restaurants, auf Baustellen oder einer Windparkanlage.
Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) liegt der Anteil ausländischer Arbeitskräfte der Schweiz in 2020 bei 27,4% und damit deutlich höher als in anderen europäischen Ländern wie Frankreich (6,9%), Deutschland (12,7%) oder dem Vereinigten Königreich (11,3%).
Was Ausländer:innen anzieht, sind die hohen Löhne in der Schweiz. Auf der Mindestlohn-Rangliste der IAO steht die Schweiz mit 3800 US-Dollar an der Spitze von 133 Ländern, das ist mehr als das Doppelte als in den von Nachbarländern Deutschland (1743 US-Dollar) oder Frankreich (1702 US-Dollar).
Im Vergleich zu osteuropäischen Ländern wie Bulgarien (321 US-Dollar) oder Rumänien (491 US-Dollar) sind es sogar sieben- bis achtmal so viel. Zwar sind die Lebenskosten ebenfalls hoch, aber das Niveau ist attraktiv genug, damit viele ausländische Arbeitskräfte Geld in ihre Heimat senden können.
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Was ist ein guter Lohn in der Schweiz?
Der hohe Anteil ausländischer Arbeitsnehmer:innen in der Schweiz spiegelt zudem, dass es auch für die Arbeitgeber:innen attraktiv ist, Menschen aus dem Ausland anzustellen. Das kann jedoch zu Lohndumping führen, was schlussendlich die schweizerischen Arbeitskräfte selbst unter Druck setzen kann.
Stolperstein in den Beziehungen mit der EU
Aus diesem Grund wurden 2004 – nachdem das Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU 2002 in Kraft getreten war – so genannte flankierende Massnahme eingeführt. Diese sichern den Ausländer:innen, die in der Schweiz arbeiten, die gleichen Löhne und Arbeitsbedingungen wie den Schweizer:innen zu.
Zum Schutz der Erwerbstätigen vor missbräuchlichen Unterschreitungen der Schweizer Lohn- und Arbeitsbedingungen wurden am 1. Juni 2004 sogenannte flankierende Massnahmen eingeführt. Die flankierenden Massnahmen sollen ausserdem gleiche Wettbewerbsbedingungen für inländische und ausländische Unternehmen gewährleisten.
Die flankierenden Massnahmen umfassen im Wesentlichen die folgenden Regelungen:
- Das Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmer:innen verpflichtet ausländische Arbeitgebende, die Arbeitnehmer:innen in die Schweiz entsenden, zur Einhaltung der schweizerischen minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen.
- Bei wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung können Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages (GAV), die Mindestlöhne, Arbeitszeiten, paritätischen Vollzug und Sanktionen betreffen, erleichtert allgemeinverbindlich erklärt werden. Damit wird erreicht, dass alle in dieser Branche tätigen Betriebe die erleichtert allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags einhalten müssen.
- In Branchen, in denen es keinen GAV gibt, können bei wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen erlassen werden. Alle in der betroffenen Branche tätigen Betriebe sind anschliessend verpflichtet, diesen Mindestlohn einzuhalten.
(Quelle: SECO)
Die Gewerkschaften schätzen, dass «die flankierenden Massnahmen ein sehr wirksames Instrument gegen Lohn- und Sozialdumping sind, wie es sich in den letzten Jahren eindeutig gezeigt hat», schreibt der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB).
Andererseits haben die flankierenden Massnahmen Spannungen in die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU gebracht. Mitten in den Dreharbeiten zum Film «Schwarzarbeit» diskutierte der Nationalrat eine Motion, die forderte, dass der Bundesrat bei der Verhandlung des Rahmenabkommens mit der EU verpflichtet ist, den Lohnschutz auf dem aktuellen Stand sicherzustellen und nach Bedarf weiterzuentwickeln. Trotz der Ablehnung des Bundesrates wurde der Vorstoss mit deutlichem Mehr angenommen.
Der Regisseur Ulrich Grossenbacher erinnert sich, dass diese Abstimmung zum Lohnschutz ein «Wendepunkt» in den Verhandlungen mit der EU war, der dazu beitrug, dass der Bundesrat die Verhandlungen zum Rahmenabkommen im Mai 2021 gestoppt hat. «Aber das Anliegen der EU hat sich nicht geändert. Der Schweizer Lohnschutz ist für die EU diskriminierend», erklärt Grossenbacher.
Kleinste Schattenwirtschaft?
Trotz der im Film genannten Beispiele ist Schwarzarbeit in der Schweiz ein weniger grosses Problem als in anderen Ländern. Laut einer Schätzung von Friedrich Schneider von der Universität Linz macht die Schattenwirtschaft (von der Öffentlichkeit verborgene Wirtschaftstätigkeit) der Schweiz knapp 6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, der niedrigste Wert unter den 36 analysierten Länder.
Der geringere Anteil der Schattenwirtschaft in der Schweiz wird von Friedrich Schneider, dem Verfasser der Studie, mit der niedrigeren Steuerbelastung und der geringeren Regulierungsdichte als in den meisten europäischen Ländern begründet. Zudem spiele das politische System eine grosse Rolle: «Der starke Föderalismus und die direkte Demokratie geben den Stimmbürger:innen oder Steuerzahler:innen viel mehr Möglichkeiten, die staatlichen Ausgaben aber auch die Steuern (bzw. die Sätze) zu ändern, so dass der Anreiz schwarz zu arbeiten wesentlich geringer ist als beispielsweise in Österreich oder Deutschland.», so Schneider.
Der Filmemacher Grossenbacher stimmt zu: «Dass man die Leute nicht hängen lässt, ist ein Konsens in der Schweiz.» Die Schweiz habe gute Sozialversicherungen wie zum Beispiel Renten oder Arbeits- oder Unfallversicherung.
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