Auch Skifabrikanten leiden unter der Lieferketten-Krise
Rohstoffknappheit und logistische Engpässe haben 2021 zu einem schwierigen Jahr für die Schweizer Hersteller:innen gemacht und dazu beigetragen, dass die Regierung ihre Prognose für das Wirtschafts-Wachstum im nächsten Jahr nach unten korrigiert hat.
Die Schweizer Firma StöckliExterner Link gilt als einer der besten Skiherstellerinnen der Welt. Ein Geheimnis für ihren Erfolg ist ein spezieller Klebstoff, der aus Rohstoffen besteht, die aus England und Japan importiert werden. Das japanische Pulver ist für den Produktionsprozess dermassen wichtig, dass das preisgekrönte Unternehmen darauf bedacht ist, selbst für Krisenzeiten genügend Vorräte zu haben. Als die Corona-Pandemie und die weltweite Lieferketten-Krise zusammentrafen, war das Unternehmen also gut vorbereitet.
Doch die bekannte Skimanufaktur hatte nie die Notwendigkeit in Betracht gezogen, auch Reserven an anderen benötigten Rohstoffen anzulegen – vom Holzkern bis zu den Stahlspitzen. «Wir dachten jeweils, die Probleme schnell lösen zu können, doch es dauerte immer sehr lange», sagt Christoph Fuchs, Produktionsleiter der Stöckli Swiss Sports AG.
Und fügt an: «Jedes Mal, wenn wir eine Herausforderung gelöst hatten, kam die nächste und dann die nächste.» Die Firma, die seit 1935 Skis herstellt, zählt den helvetischen Skistar Marco Odermatt zu ihren Kunden. Dieser führt momentan den alpinen Skiweltcup der Herren an.
Stöckli ist eine von etlichen Schweizer Firmen, die unter der globalen Unterbrechung der Lieferketten leiden. Ausgelöst wurden die Probleme durch die Corona-Pandemie und die Blockade des Suezkanals im März 2021 in Folge der Havarie des Containerschiffs Ever Given.
Die Regierung hat in Folge ihre Wachstumsprognose für die Schweiz im Jahr 2022 von 3,4% auf 3,0% reduziert. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) erklärt in ihrer KonjunkturprognoseExterner Link, dass sich die Binnenwirtschaft bis zur Jahresmitte 2021 zwar erholt habe: «Allerdings lasten international Liefer- und Kapazitätsengpässe auf dem Industriesektor und bewirken kräftige Preisanstiege. Zudem hat sich die Unsicherheit rund um die Pandemie zuletzt stark akzentuiert.»
Die Inflation dürfte gemäss SECO auch aufgrund gestiegener Preise für Energie und Vorleistungsgüter moderat von 0,8% auf 1,1% im Jahresdurchschnitt steigen. Im Weiteren heisst es: «Mit dämpfenden Effekten auf die Konjunkturerholung wäre auch zu rechnen, sollten die globalen Kapazitätsengpässe länger anhalten als erwartet und die Inflationsanstiege in einen anhaltenden Preisdruck mit deutlich höherem Zinsniveau münden.»
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Risikomanagement nötig
Wirtschaftsexpert:innen gehen davon aus, dass die Probleme in den Lieferketten bis weit ins Jahr 2022 und möglicherweise sogar 2023 anhalten werden. Unternehmen müssen sich daher auf eine Risikoverminderung konzentrieren, um die Schwachstellen bei den Lieferungen zu erkennen und zu bewältigen.
Stephan WagnerExterner Link, Professor für Logistik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) meint: «Covid hat nicht nur Politiker:innen dazu gebracht, über Lieferketten nachzudenken, sondern auch den Unternehmen aufgezeigt, dass sie das Management von Lieferketten ernst nehmen müssen.» Die Unternehmen müssten bereit sein, in Fallentwicklungen zu investieren, deren Eintrittswahrscheinlichkeit sehr gering sei.
Für Stöckli begannen die Lieferprobleme im Frühjahr 2021 mit einem dreiwöchigen Lieferstopp von Kunststoffen an die Fabrik in luzernischen Malters. Die Probleme weiteten sich bald auf andere Materialien aus. Bei der Lieferung von hochwertigem Paulowniaholz, das hauptsächlich aus Ostasien stammt und für den Bau von Luxus-Ski genutzt wird, kam es zu mehrwöchigen Verspätungen, weil die Lieferanten in Österreich von Lieferengpässen in China betroffen waren. Auch die Spedition von Klebstoffen, Gummi und Metallen dauerte zwei oder drei Mal länger als üblich. Das Unternehmen sah sich gezwungen, seinen Produktionsplan für fast 30 Skimodelle umzustellen und in einigen Fällen sogar Materialien und Lieferanten zu wechseln.
Die Beschaffung von Rohstoffen war aber nicht die einzige Herausforderung für den Ski-Produzenten. Die Preise für die benötigten Materialien sind laut Christoph Fuchs im Jahr 2021 um durchschnittlich 10% gestiegen. Den höchsten Anstieg – 20% – gab es beim Klebstoff.
«Wir sind ein kleiner Akteur in der Skibranche, und wenn wir die Materialien rechtzeitig bekommen wollen, müssen wir die höheren Preise akzeptieren», sagt Christoph Fuchs. Diese Kosten muss in dieser Wintersaison das Unternehmen selbst tragen, da die Preise mit den Einzelhändlern und Grosshändlern im ersten Vierteljahr 2021 festgelegt wurden und die Preiserhöhungen damals noch nicht eingetreten waren. Die Kundinnen und Kunden werden folglich nichts von den Preisanstiegen spüren.
Globale Engpässe
Was aber ist die Ursache für die weltweiten Lieferkettenprobleme? Christoph Wolleb,Externer Link Leiter des Bereichs für Lieferketten-Management bei KPMG Schweiz, nennt drei Hauptfaktoren: Eine Knappheit an wichtigen Rohstoffen, logistische Probleme beim Warentransport in Folge fehlender Schiffe und Container, sowie pandemiebedingte Fabrikschliessungen in Asien.
«Wenn eine Fabrik für eine Woche geschlossen bleibt, bedeutet das nicht nur, dass die Unternehmen eine Woche länger auf ihre Produkte warten müssen, sondern auch eine Instabilität, die sich auf die gesamte Lieferkette auswirkt», gibt Wolleb zu Bedenken. Die Wiederherstellung einer Lieferkette dauere dann zehnmal länger als die Unterbrechung.
Wie die meisten europäischen Länder leidet auch die Schweiz noch immer unter den Auswirkungen der Schliessung von Häfen auf der ganzen Welt. Diese wurden erlassen, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Die Häfen im asiatisch-pazifischen Raum und in den USA haben weiterhin mit Rückstaus und Überlastung zu kämpfen, was zu einem weltweiten Mangel an Schiffscontainern geführt sowie den maritimen Warentransport von Asien nach Europa erschwert und verteuert hat.
Laut Wolleb gab es für gewisse Engpässe noch andere Gründe. Als Beispiel nennt er Bauholz: «Die Nachfrage war schon vor Covid hoch, und als Covid ausbrach, gab es Panikkäufe, ähnlich wie bei Toilettenpapier.» Holzparasiten in Ost- und Mitteleuropa sowie ein Anstieg der Bestellungen aus den USA hätten die Situation weiter verschärft.
Grösste Herausforderung
Die Probleme bei den Lieferketten stellen laut dem Wirtschaftsbarometer von SwissmechanicExterner Link, dem Arbeitgeberverband für kleine und mittlere Unternehmen in der MEM-Branche (Maschinen, Elektro und Metall), zurzeit die grösste Herausforderung für die Mitgliedsunternehmen dar. In einer QuartalbefragungExterner Link (Drittes Quartal 2021) nannten 54% von 174 Unternehmen Probleme in der Lieferkette «als grösste Herausforderung», weit vor anderen Problemen wie dem Arbeitskräftemangel (34%) oder Auftragsmangel (22%).
Schweizer Zulieferer von Komponenten für die weltweite Automobilindustrie leiden unter Störungen der Fahrzeugproduktion, die durch Halbleiterknappheit und andere Engpässe verursacht werden. Die Autoneum Holding AGExterner Link in Winterthur stellt Teile für Akustik- und Hitzeschutzsysteme her und ist an 55 Standorten in der ganzen Welt mit eigenen Fabriken tätig, darunter in China und Südkorea.
«Autoneum ist von der aktuellen Marktentwicklung durch die Chip-Knappheit und andere Engpässe in der Lieferkette der Fahrzeughersteller indirekt betroffen», erklärt Claudia Güntert, Leiterin der Unternehmenskommunikation, gegenüber swissinfo.ch in einer E-Mail.
Die Werke von Autoneum mussten in Abstimmung mit den veränderten Lieferplänen ihrer Kunden die eigene Produktion anpassen. Als Folge hat das Unternehmen temporäre Arbeitskräfte entlassen und Kurzarbeit eingeführt, so Güntert. Das Unternehmen gehe jedoch davon aus, dass sich die Situation ab 2022 aufgrund der starken Verbrauchernachfrage verbessern werde. Es wird damit gerechnet, dass die Produktion 2023 auf Grund des Nachholbedarfs von Kundenseite wieder das Niveau der Vor-Corona-Jahre erreichen werde.
Auch ABBExterner Link, eines der grössten Schweizer Unternehmen, das Energie- und Automatisierungsanlagen herstellt, ist von den Lieferengpässen betroffen. Anlässlich der Telefonkonferenz zu den Geschäftsergebnissen des dritten Quartals im Oktober 2021 sagte CEO Björn RosengrenExterner Link, das grösste Problem für das Unternehmen sei die Beschaffung von Halbleitern gewesen. «Die Engpässe in der Lieferkette werden uns noch mehrere Quartale lang begleiten», erklärte Rosengren gemäss einem Bericht der Agentur AWP.
Covid bleibt Bedrohung
Zurück zur Schweizer Skiherstellerin Stöckli: Trotz der Herausforderungen durch die Pandemie und die Probleme bei den Lieferketten werden Stöckli-Fans, darunter auch Skirennläufer Odermatt, der im Februar an die Olympischen Winterspiele in Peking teilnehmen wird, weiterhin Skis dieser Marke erwerben können.
Christoph Fuchs ist jedenfalls der Ansicht, dass das Unternehmen genug getan hat, um die Risiken in der Lieferkette zu minimieren. Die Bestellungen bei den Lieferanten wurden rechtzeitig aufgegeben, die Regale im Stöckli-Lager sind gefüllt und die Maschinen laufen, mit denen die Arbeiter:innen die Skis schleifen und polieren. Im besten Fall könnte die Produktion bald wieder das frühere Niveau von 60’000 Skis erreichen. Dieses Jahr konnten nur 40’000 Paar gefertigt werden.
Doch angesichts der weltweit wieder ansteigenden Covid-Fälle und der neuen Omikron-Variante und möglicher neuer Lockdowns bleibt die Pandemie die grösste Bedrohung. «Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie wir da durchkommen können», sagt Fuchs.
(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)
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