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Auf der Suche nach dem geheimnisvollen Herr Wilson

Chinese und Bildschirm
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Ein Schweizer Biologe greift die WHO und die USA frontal an und wird in chinesischen Medien breit zitiert. Nur: Diesen Wissenschaftler gibt es nicht.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) komme unter amerikanischen Druck, den Ursprung des Corona-Virus in China zu identifizieren – obwohl es dafür keine Beweise gebe und die «Labor-These» (wonach das Virus aus dem Institut für Virologie in Wuhan entwich) in Wissenschaftskreisen kritisiert werde.

Dieses Narrativ wird in den letzten Monaten von der chinesischen Politik bemüht und medial auf allen Kanälen verbreitet. Auch wenn die «Labor-These» tatsächlich umstritten ist: Der chinesischen Führung geht es in erster Linie darum, die Aussagen der WHO als politisch motiviert darzustellen – und die Amerikaner als die Strippenzieher im Hintergrund zu präsentieren.

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Dabei bekommt Peking Schützenhilfe von einem Schweizer Biologen. In einem Facebook-Post schreibt dieser, die USA setzten Kollegen von ihm in der WHO unter Druck, ihre Ergebnisse zu fälschen. Der Schweizer Biologe – gemäss Facebook-Profil in Bern aufgewachsen – habe Quellen in der WHO, die ihm zusicherten, dass die USA «eine Obsession» hätten «China anzugreifen». Seine Aussagen wurden in den letzten Tagen von vielen chinesischen Medien aufgenommen und auch in den sozialen Medien breit geteilt.

Dumm nur, dass der vermeintliche Biologe ein schlecht gemachter Fake-Account ist. Die Schweizerische Botschaft in Peking publizierte am 10. August auf Twitter eine Stellungnahme. Demnach gebe es erstens keinen Schweizer mit dem Namen Wilson Edwards, zweitens gebe es unter diesem Namen keine akademischen Publikationen in der Biologie und drittens sei dieses Facebook-Konto einige Tage zuvor aufgeschaltet worden, habe nur drei «Freunde» und auch nur diesen einen Post.

Externer Inhalt

Der Tweet der Schweizer Botschaft wird eifrig kommentiert und geteilt. Für einen Twitter-Account mit etwas mehr als 1100 Follower und einen bisher ziemlich bescheidenen Traffic wohl eine Neuheit. Das hat auch damit zu tun, dass Twitter und Facebook in China kaum genutzt werden – der einheimische Markt wird von chinesischen Plattformen dominiert. Offenbar hat er aber damit ein sensitives Thema aufgegriffen.

Dass der Post des vermeintlichen Biologen auf Englisch erschien, hat in dieser Hinsicht zwei Vorteile: Einerseits kann er von einem internationalen Publikum gelesen werden. Und andererseits kann er gegenüber einem einheimischen Publikum als Nachweis vorgelegt werden, dass auch im Ausland die angebliche Rolle hinter der WHO kritisch beäugt wird (was eignet sich dafür besser als ein neutraler Schweizer Wissenschaftler?). Sind erstmal genug Zweifel gesät worden, kann ein eigenes Narrativ besser etabliert werden.

Eine kleine Recherche zum Namen bringt noch etwas Interessantes zum Vorschein. Es gibt nämlich einen Biologen mit dem ähnlich klingenden Namen Edward O. Wilson. Dieser ist nicht nur real, sondern auch eine Koryphäe in seinem Metier der Myrmekologie – der Ameisenkunde.

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