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«Aufstand gegen Putin»: Prigoschins Meuterei in der Schweizer Presse

Wladimir Putin bei seiner Fernsehransprache, nachdem Wagner-Truppen nach Moskau marschierten.
Der russische Präsident Wladimir Putin bei seiner Fernsehansprache nach dem bewaffneten Aufstand der Wagner-Truppen. Keystone / Sergei Ilnitsky

Die Geschehnisse rund um die paramilitärische Organisation Wagner und ihren Chef Jewgeni Prigoschin haben auch in Schweizer Medien viele Fragezeichen hinterlassen. Unsere Presseschau zum bewaffneten Aufstand in Russland.

Dieses Wochenende hat in Russland nur Verlierer produziert: zu dieser Einsicht gelangt man nach der Presselektüre zum bewaffneten Aufstand der Wagner-Truppen. Der russische Präsident steht dabei ganz besonders im Fokus – und die Schlagzeilen der Sonntagspresse waren eindeutig: «Aufstand gegen Putin» (NZZ am Sonntag), «Die Zeiten sind hart für Putin-Versteher» (SonntagsBlick), «Der unvollendete Putsch» (SonntagsZeitung), «Putins Gesichtsverlust» (SRF).

Unter dem Titel «Der Aufstand zeigt die Verrottung von Putins Regime» kommentiertExterner Link die NZZ am Sonntag den Aufstand von Prigoschin als eine Konsequenz der langjährigen Herrschaft Putins: Inkompetenz und Korruption in Armee und Verwaltung, sowie die fehlgeleitete Entscheidung die Ukraine anzugreifen hätten erst die Bedingungen geschafften, die den Angriff vom vergangenen Wochenende ermöglichten. «Der russische Diktator erscheint nicht als der schlaue Stratege, nicht einmal als der gewiefte Taktiker, der die Ambitionen der Führungselite stets auszubalancieren weiss.»

In die gleiche Kerbe schlug das öffentlich-rechtliche SRFExterner Link: «Wladimir Putin durchlebte an diesem Wochenende die schwersten Stunden seit Amtsbeginn. Nie zuvor wurde seine Macht so ins Wanken gebracht, nie zuvor hat er vor seinem heimischen Publikum so das Gesicht verloren.» Putin wirkte vom Aufstand überfordert und in die Enge getrieben, dabei erschien sein Sicherheitsapparat so schwach wie nie – der vom ehemaligen Geheimdienstler stark ausgebaute Inlandgeheimdienst habe die Bedrohung weder kommen sehen noch aufhalten können. Die Aussichten seien düster: » Dem Land stehen chaotische Jahre bevor. Der Aufstand hat gezeigt, dass Putins Autokratie nicht zu Stabilität führt, sondern in Machtkämpfen unter Kriminellen enden wird.»

Der SonntagsBlick wendet sich der Aussenwirkung Putins zu: «Wie auch immer dieser Putschversuch ausgehen wird – er vernichtet eine Legende, die Putin-Versteher, Neutralitätsdogmatiker und «Pazifisten» aller Couleur so gerne verbreiten: die Erzählung, dass der Kreml-Chef die geopolitische Machtbalance festige, ein verlässlicher Bündnispartner sei und die Oligarchen in Schach halte, kurz: dass Wladimir Putin für Stabilität stehe.» Der Ex-KGB-Mann habe diesen Nimbus inzwischen verspielt. Das System Putin sei damit zwar noch nicht zugrunde gerichtet – «die Argumente seiner Verteidiger hingegen schon».

Ob das auch «Putins Dämmerung» war, wie Le Temps fragt? Auf jeden Fall habe «Moskau vor der Wagner-Gruppe» gezittert, als sich Prigoschin gegen seinen Meister Putin gewendet habe. Für die paramilitärische Organisation könne das jedenfalls das Ende bedeuten, schreibt die Tribune de GenèveExterner Link. Denn auch wenn der Wagner-Chef durchaus auf Sympathien unter frustrierten Bürgern:innen zählen könne, sei sein Rückhalt unter den Eliten nicht gefestigt.

Prigoschin sei «kein ideologischer Gegner Putins» erinnert die NZZExterner Link. Seine Straffreiheit und angebliche Ausreise nach Belarus – obwohl er vom Präsidenten als Verräter betitelt wurde – sorgt in den Medien dennoch für weitere Fragezeichen. «Wie die Zukunft Prigoschins aussieht, ist unklar», kommentiert WatsonExterner Link.

«Welches Russland bleibt nach diesem bizarren Wochenende übrig?» fragt der Tages-AnzeigerExterner Link in der Montagsausgabe. Der russische Staat habe die grösste Erschütterung seit 30 Jahren erlebt, ausgerechnet der schwer angeschlagene weissrussische Diktator Alexander Lukaschenko habe Putin aus der Not geholfen. Nach den Tagen der Anspannung müssen nun auch in Russland gewisse Fragen beantwortet werden: «Offen ist, wer Prigoschin womöglich Hoffnungen auf einen Triumph in Moskau gemacht und dann im Stich gelassen hat. Diese jüngste Forschungsaufgabe für Kremlologen dürfte entscheidend sein, um zu begreifen, welches Russland aus diesem Wochenende hervorgegangen ist.»

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