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Aufwind für Schweizer «Health Valley»

Ernesto Bertarelli und Hansjörg Wyss machens möglich: Aus Merck Serono wird Campus Biotech. Keystone

Am verlassenen Sitz von Merck Serono in Genf wird bald wieder neues Leben Einzug halten: Dank den Milliardären Ernesto Bertarelli und Hansjörg Wyss entsteht in Genf der Campus Biotech – eine gute Nachricht für die Region und ihren Status als "Health Valley".

In der grossen, gläsernen Eingangshalle könnte man einen Wasserhahn tropfen hören. Wir stehen im verlassenen Hauptsitz des Biotech-Unternehmens in Genf. «Die letzten Angestellten sind vorige Woche gegangen», sagt der Mann vom Empfang, der als einziger noch die Stellung hält.

Vor einem Jahr liess der deutsche Pharmariese die Bombe platzen, dass Merck Serono den Standort Genf aufgibt. Mit der Umsiedelung nach Darmstadt wurden in der Rhonestadt 1250 Arbeitsplätze vernichtet.

Ende Mai dieses Jahres liessen Ernesto Bertarelli und Hansjörg Wyss die Katze aus dem Sack: Die Unternehmer kauften die Anlage mit 40’000 Quadratmetern Geschossfläche zurück. Ein Preis wurde nicht genannt.

Beide, Bertarelli und Wyss, wurden durch den Verkauf ihrer Unternehmen zu Milliardären: Bertarelli 2007, als er die von seinem Grossvater gegründete Serono an Merck verkaufte. Wyss veräusserte 2011 seine Synthes, Herstellerin von künstlichen Gelenken und anderen Implantaten, für über 21 Mrd. Franken an Johnson & Johnson.

Die beiden Geschäftsmänner gründeten ein Konsortium, an dem die ETH Lausanne (EPFL) und die Universität Genf beteiligt sind. Ziel ist der Aufbau und Betrieb eines neuen Instituts für Biotech- und Neurowissenschaften. Dazu stellt Wyss via seine Stiftung ein Startkapital von 100 Mio. Franken zur Verfügung.

Bereits Ende Juni sollen die ersten Räume bezogen werden. Einmal voll in Betrieb, werden die Büros und Labore für die 300 Forscher einen Drittel der Fläche einnehmen. Der Campus Biotech soll Basis einerseits von Start-Ups sein, andererseits aber auch von etablierten Firmen aus dem Bereich Life Sciences.

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Potenzial noch unklar 

Branche und Politik, bis hinauf zu Bundesrat und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, haben erfreut und erleichtert auf die Ankündigung reagiert. Jean-Dominique Vassalli, Rektor der Uni Genf, sagte begeistert, dass man nun Forschung betreiben könne, die «wir zuvor nie für möglich gehalten haben».

Etwas vorsichtiger äussert sich Jürg Zürcher, Biotech-Spezialist beim Beratungs-Unternehmen Ernst & Young. «Die Schliessung von Merck Serono im letzten Jahr war ein schwerer Schlag für die Schweizer Biotech-Industrie. Der neue Campus wird die Stellenverluste nicht über Nacht kompensieren können.» Es werde einige Zeit dauern, bis das Vertrauen zurückgewonnen sei und Klarheit über die Ziele herrsche, so Zürcher gegenüber swissinfo.ch.

Dennoch sei der Campus «ein guter Ausgangspunkt mit hervorragender Infrastruktur», der zur Talentschmiede und zum Biotech-Brennpunkt werden könne. «Dies wird mittel- bis langfristig positive Auswirkungen auf Genf, den Genfersee-Bogen und die ganze Schweiz haben», glaubt er.

Biotechnologie befasst sich mit der Herstellung und Einbindung lebender Organismen für die Aufwertung von Medikamenten, Nahrungsmitteln, Treibstoffen und anderen Produkten.

Die meisten Firmen befinden sich im Raum Basel, Genf, Zürich und Tessin.

Der Biotech-Sektor mit 13’700 Beschäftigten erzielte 2012 einen Umsatz von 4,7 Mrd. Franken. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung betrugen 1,3 Mrd. Franken.

(Quelle: Swiss Biotech Report 2013)

Zusammengewachsen

Die Westschweiz hat seit 2000 eine Konvergenz von Medizinal- und Biotechnologie erlebt. Dank Förderern wie EPFL-Präsident Patrick Aebischer wurde die Region, in Anlehnung an das kalifornische Silicon Valley, zum «Health Valley».

Dieser rasch wachsende Ballungsraum erstreckt sich vom Unterwallis über Genf und Lausanne bis nach Neuenburg und Bern. Er beheimatet rund 750 Start-Ups und multinationale Firmen aus dem Bereich Biotech und Medizinaltechnik, darunter Baxter, Debiopharm und UCB Farchim, Inkubatoren, Forschungslabors und Universitäten mit insgesamt 25’000 Beschäftigten. Das «Health Valley» zählt in Europa mit Cambridge und Oxford zu den Top 3 der Cluster in diesem Bereich.

Auch Benoit Dubuis, Präsident von BioAlps, sieht das Ganze etwas nüchterner. Der Campus Biotech sei «keine Revolution», sondern vielmehr eine Anerkennung des bisher schon Geleisteten in der Region, sagt er und betont, dass BioAlps, ein Zusammenschluss von spezialisierten Firmen, als eine Art Speerspitze des Health Valleys fungiere.

«Wyss hätte zum Aufbau des Instituts nach Singapur oder Shanghai gehen können, aber er entschied sich für Genf, weil er hier glaubwürdige Partner wie die EPFL, die Universität Genf und Bertarelli fand», sagt Dubuis.

Kein Wyss Institute à la Boston 

Es könne nicht Ziel sein, das Modell des weltweit führenden Wyss Institute in Harvard zu kopieren, schiebt er nach. An diesem Bostoner Institut wurde etwa ein «Lungen-Chip» entwickelt, ein auf menschlichen Zellen basierendes Kleinstgerät, das die komplexen Funktionen der menschlichen Lunge übernehmen kann. Oder ein bienengrosser Flugroboter, der bei Such- und Rettungsaktionen eingesetzt werden kann.

Für Jürg Zürcher hat der Campus Biotech das Potenzial, um die lokale Wirtschaft und Industrie zu stärken. Die Schweiz als Land sei aber zu klein, als dass es das «Health Valley» mit den Wirtschaftsräumen Basel und Zürich aufnehmen könne.

Schweizer Medtech-Sektor

Die rund 1600 Hersteller decken ein weites Feld von Produkten, Technologien und Verfahren ab. Viele stellen Implantate her.

Der Sektor wurzelt im Know-how aus der Uhrenherstellung und der Maschinenindustrie.

Er verzeichnete in den letzten beiden Jahren ein Wachstum von über 1,5%. Der Anteil der Medtech-Branche am Bruttoinlandprodukt der Schweiz (BIP) beträgt 2,1%, jener an der Beschäftigung 1,1% sowie jener an den Exporten 5,5%.

Diese Werte liegen weit über denjenigen in den USA, Deutschland und anderen, weltweit führenden Ländern in dieser Sparte.

Die Schweizer Firmen stecken im Schnitt 13% ihres Absatzes in Forschung und Entwicklung.

60% der Schweizer Medtech-Firmen arbeiten mit den zehn Unis und zwei Eidgenössischen Technischen Hochschulen zusammen.

(Quelle: Swiss Medtech Report 2012)

Basel in der Leaderrolle 

BioValley Basel vereint in der Nordwestschweiz rund 900 Unternehmen der Sparten Bio- und Medtech mit zusammen total 50’000 Beschäftigten. Dazu kommen 15’000 Wissenschaftler an assoziierten Universitäten, Forschungszentren und in Technologieparks. Die Ballung am Rhein mit den Riesen Novartis und Roche an der Spitze repräsentiert 40% aller Pharmabetriebe weltweit.

Zürich liegt zwar als Medtech-Standort noch hinter dem Westschweizer Health Valley zurück, aber die 21’000 Beschäftigten sorgen für immerhin 4% der gesamten Wertschöpfung des Kantons. Zusammen verkörpern die drei Regionen das dichteste Netz von Biotech-Firmen auf dem Globus.

«Die ganze Schweiz ist ein einziger Cluster. Sie ist international gut positioniert, aber sie muss sich auf ihre Stärken konzentrieren und daran arbeiten, was jede Region am besten kann», rät Branchenkenner Zürcher.

Insbesondere müsse die Konkurrenz aus dem Osten, er erwähnt Indien und China, im Auge behalten werden.

In Shanghai sei jüngst ein zweites Biotech-Innovationszentrum eröffnet worden, mit chinesischem Forschungspersonal, das an der US-Westküste abgeworben worden sei. «Die Leute gehen dorthin, wo die besten Bedingungen herrschen, was Forschung und Finanzierung betrifft. In der Schweiz haben wir beides, aber wir müssen dies auch optimal nutzen. So braucht es mehr Werbung für die Life Sciences. Es ist wie oft in der Schweiz: Hier entsteht viel Grosses, aber man spricht zu wenig darüber.»

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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