«Tidjane belegte überall den ersten Platz»
Tidjane Thiam und Augustin Thiam. Zwei Brüder, zwei Schicksale, der eine an der Spitze der Credit Suisse, der andere Gouverneur von Yamoussoukro, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, wo swissinfo.ch ihn treffen konnte. Augustin Thiam spricht mit viel Respekt über seinen jüngeren Bruder, der Chef der zweitgrössten Schweizer Bank geworden ist. Die beiden Brüder haben von ihren Eltern gelernt, dass sich "nur die Arbeit auszahlt".
Tidjane Thiam, Generaldirektor der Credit Suisse (CS) hält eine Rede vor der Aktionärsversammlung, im dunkelblauen Anzug, im weissen Hemd und roter Krawatte.
Augustin Thiam, Gouverneur des Distrikts Yamoussoukro (politische Hauptstadt der Elfenbeinküste) hält eine Rede vor seinen Dorfoberhäuptern, im dunkelblauen Anzug, im weissen Hemd und blauer Krawatte.
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Yamoussoukro, Hauptstadt der Elfenbeinküste
Die Ähnlichkeiten der beiden Brüder beschränken sich allerdings auf die Kleidung, die Statur, die Gesichtszüge. Ihre Lebensläufe sind grundverschieden.
swissinfo.ch hat den «anderen Thiam», den Bruder des berühmten CS-Chefs, der nicht auf den Frontseiten der Zeitungen in aller Welt erschienen ist, weit weg von der sterilen Welt der Schweizer Banken getroffen. Der Zeitpunkt des Treffens war zuvor mehrmals verschoben worden, aber schliesslich holt uns der stattliche Augustin Thiam persönlich im Hotel ab. Die stickige Hitze draussen kann uns nichts anhaben, denn der Gouverneur des autonomen Distrikts Yamoussoukro empfängt uns unter seinem klimatisierten «Apatam», eine Art Pavillon, der an sein Haus grenzt.
«Man wird nicht Chef, sondern als Chef geboren.»
Augustin Thiam
Der Werdegang eines Chefs
Augustin Thiam hat für den Anlass seine Dorfchefs einberufen, die alle in traditionellen Kleidern erscheinen. «Normalerweise spreche ich nicht. Wenn bei uns der Chef gesprochen hat, können die anderen nichts mehr sagen. Deshalb bin ich verpflichtet, einen nach dem anderen anzuhören, bevor ich mich selber äussere. Aber oft ist es nicht mehr nötig, weil schon alles gesagt worden ist», erklärt er uns einleitend.
Der Doktor der Medizin, der auch als Journalist für das panafrikanische Magazin «Jeune Afrique» tätig war, ist Chef des traditionellen Baoulé-Stamms, dem die Mehrheit der Bevölkerung im Zentrum der Elfenbeinküste angehört.
«Man wird nicht Chef, sondern als Chef geboren», sagt Augustin Thiam wiederholt. «Und hier sind es die Frauen, welche die Macht weitergeben. Mein Sohn Yohann, der soeben sein Studium als Grafikdesigner in New York abgeschlossen hat, hat kein Herrschaftsrecht. Es ist der Sohn meiner Schwester, der meine Nachfolge antreten wird.» Der Nachfolger braucht allerdings auch die Zustimmung der Familie, der Dorf-Oberhäupter, so wie der Ahnen, die er im heiligen Wald einholen muss.
Auf politischer Ebene ist Augustin Thiam 2011 von Alassane Ouattara, dem gegenwärtigen Präsidenten der Elfenbeinküste, zum Gouverneur ernannt worden. Er ist dafür belohnt worden, dass er während mehrerer Jahre eine Kampagne geführt hatte, um Ouattara an die Macht zu bringen.
Im Schatten des kleinen Bruders
Obwohl er keine politische Karriere angestrebt habe, sei er stolz auf das blaue Blut, das in seinen Adern fliesse, sagt Augustin Thiam, der auch der Grossneffe von Félix Houphouët-Boigny, des ersten Präsidenten der Elfenbeinküste, ist. «Ich habe mich nicht zuletzt politisch engagiert, um für meine ganze Familie als Schutzschirm zu dienen.»
In der Familie Thiam gibt es aber jemanden, der die Bekanntheit Augustins bei weitem überflügelt hat: Tidjane, der Mann, der sich an die Spitze der zweitgrössten Schweizer Bank gehievt hat. Sein älterer Bruder anerkennt es wohlwollend: «Früher fragte man Tidjane, ob er der kleine Bruder des Gouverneurs sei. Heute fragt man mich, ob ich der grosse Bruder von Tidjane sei.»
Der Gouverneur von Yamousskro spricht mit Respekt und Bewunderung über seinen illustren jüngeren Bruder. «Tidjane weiss nicht, was es heisst, nur den zweiten Rang zu belegen. Er war überall immer die Nummer 1, auch im Sport, im Zeichnen oder in der Musik», erinnert er sich. Die Geschichte hat sich fortgesetzt, denn Tidjane wurde auch der erste Ingenieur der Elfenbeinküste mit einem Diplom des Pariser Polytechnikums, der erste Schwarze, der in London einen Weltkonzern – das Versicherungsunternehmen Prudential – leitete und schliesslich der erste Afrikaner an der Spitze eines Finanzunternehmens von der Grösse der Credit Suisse.
Präsident Tidjane Thiam?
Die Idee, dass es sein jüngerer Bruder eines Tages auch an die Spitze des Elfenbeinstaats schaffen könnte, scheint Augustin Thiam zu gefallen. Über eine mögliche Kandidatur Tidjanes für die Präsidentschaftswahlen von 2020 will er sich zwar nicht äussern, denkt aber, dass «die Zukunft Kaderleuten seines Alters und seines Ausbildungsniveaus gehört».
Wird Yamoussoukro eine digitale Stadt
Augustin Thiam möchte die Stadt Yamoussoukro mit einer drahtlosen Internetverbindung ausstatten, die für alle gratis zugänglich ist. 2015 lancierte er das Projekt «Yamoussoukro, eine digitale Stadt». Wie er ein Gratis-Wifi für alle umsetzen und finanzieren will, präzisiert er aber nicht. «Ich muss kreativ sein, um meine Politik zu finanzieren», meint er.
Tidjane Thiam war 1998 Minister für Planung und Entwicklung, aber nur für kurze Dauer, weil der damalige Präsident Henri Konan Bédié durch einen Staatsstreich geputscht wurde. Diese schlechte Erfahrung dürfte seinen Bruder, den er als «positiv denkenden Menschen bezeichnet», aber nicht endgültig von der Politik abgebracht haben, vermutet Augustin Thiam.
Derzeit ist der Chef der Credit Suisse allerdings weit von der Politik der Elfenbeinküste entfernt. Er kämpft mit den schlechten Ergebnissen der zweitgrössten Schweizer Bank, deren Aktien anfangs Juli unter die Marke von 10 Franken sanken, auf den tiefsten Wert seit 1989. Er hat so viel zu tun, dass er nicht in die Elfenbeinküste kommen kann. «Wir kommunizieren oft per E-Mail oder Telefon, aber ich habe ihn seit rund drei Jahren nicht mehr gesehen.»
Das Erfolgsrezept der Familie
In der Familie Thiam ist der Erfolg nicht nur das Privileg des Jüngsten. Die beiden Töchter und die fünf Söhne haben alle einen Universitätsabschluss. Drei der Söhne belegen einen Ministerposten.
Weder persönliche Verdienste noch Magie seien für die herausragenden Karrieren verantwortlich. Der Erfolg sei das Resultat der Arbeitsdisziplin, welche die Eltern allen Kindern eingeimpft hätten. «Man hat uns gelehrt, dass sich im Leben nur die Arbeit auszahlt.»
Der Gouverneur erinnert sich an den strikten Tagesablauf seiner Kindheit: Frühstück, Schule, Mittagessen, Pause, Schule, Abendessen, Lernen. «Wenn du gute Noten hattest, durftest du ins Kino gehen, wenn du schlechte Noten bekamst, gingen die anderen ohne dich.»
In der Familie gebe es zwei wichtige Tugenden: Bescheidenheit und Diskretion.
Nachdem der Gouverneur seine Erzählungen beendet hatte, näherte sich ihm sein Sprecher, kauert sich nieder, legt ihm die Hand aufs Knie und spricht mit leiser Stimme. So gehört es sich, mit dem Chef zu reden.
Einflussreiche Familie
Augustin Thiam ist 1952 geboren und das dritte von sieben Geschwistern, fünf Knaben und zwei Mädchen. Augustin und seine Geschwister sind Grossneffen und Grossnichten des ersten Präsidenten der Elfenbeinküste, Félix Houphouët-Boigny. Ihre Mutter Marietou Sow war die Nichte von Houphouët-Boigny. Ihr Vater hatte Radio Elfenbeinküste geleitet, bevor er zum Informationsminister und danach zum Botschafter in Marokko ernannt wurde.
Drei der fünf Knaben der Familie Thiam sind Minister geworden: Tidjane (Planung und Entwicklung), Daouda (Minen und Energie), Aziz (Verkehr).
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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