Ausländische Manager beissen auf Sprachen-Granit
Integration soll auch vor ausländischen Führungskräften nicht Halt machen: Justizministerin Simonetta Sommaruga verlangt, dass die so genannten Expats eine Landessprache lernen sollen. In den meisten Fällen dürfte dies wohl frommer Wunsch bleiben.
Einwohnerinnen und Einwohner hätten sich bei ihr beschwert, dass ausländische Manager in der Schweiz eine «Parallelgesellschaft» bildeten, sagte Sommaruga kürzlich am Schweizer Radio.
Expats schickten ihre Kinder in internationale Schulen, würden Englisch sprechen und sich um die Traditionen in der Schweiz foutieren, so der Tenor.
Bei der Integration sei das Erlernen der lokalen Sprache «das Wichtigste», sagte die Bundesrätin. «Wer die Sprache des Landes nicht spricht, kommt nicht weit, kennt seine Rechte nicht, aber auch nicht seine Pflichten.»
Sie forderte die ausländischen Manager und deren Partnerinnen deshalb auf, eine der Landessprachen zu erlernen und sich mit der Schweiz auseinanderzusetzen. Sommarugas Forderung basiert auf dem Massnahmenpaket zur besseren Integration von Ausländern, welches das Schweizer Parlament im letzten November behandelt hat.
In dessen Zentrum stehen strengere Einreisebestimmungen sowie obligatorische Sprachkurse für Familien, die nicht aus EU-Ländern stammen. Wer keine solche besucht, riskiert, dass die Behörden die befristete Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängern.
Die Verbesserung der Sprachkompetenz mag für die Politik ein gutes Rezept sein. Aber in der Praxis, sprich im Alltag eines Expats, sieht es damit schon schwieriger aus. Erstens haben Führungskräfte normalerweise ziemlich lange Arbeitstage, zweitens gibt es mehrere Landessprachen, genau genommen deren vier: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rumantsch.
Universalsprache Englisch
In den meisten Fällen kommen Expats für drei Jahre in die Schweiz. Die meist hohen Saläre wollen hart verdient sein, die knapp bemessene Freizeit soll der Familie zugute kommen.
«Alle wissen, wie hart es ist, eine Fremdsprache zu beherrschen. Erwachsene müssen täglich üben, sonst wird es schwierig», sagt Sabine Baerlocher von Active Relocation, einem Unternehmen, das zugezogene Expats auch mit dem Schweizer Alltag vertraut macht.
ABB, Nestlé, Novartis und Roche empfehlen neu angekommenem Kaderpersonal das Erlernen einer Landessprache. Von einer Verpflichtung ist nirgends die Rede, wie eine kurze Umfrage bei den vier Schweizer Weltkonzernen zeigt.
«Expats brauchen die Landessprache praktisch nie. Sie arbeiten 80 Stunden in der Woche in Unternehmen, in denen alle Englisch sprechen. An den Wochenenden wollen sie mit ihren Familien zusammen sein», sagt Baerlocher.
Integration ist für sie viel mehr als das Beherrschen der Sprache. «Sie hat zwei Seiten: Wenn wir wollen, dass sich Menschen integrieren, müssen auch wir bereit sein, sie zu integrieren. Aber dies erscheint nicht sehr schweizerisch.» Vermehrte interkulturelle Kurse könnten den Schweizern laut Baerlocher helfen, «sich etwas mehr zu öffnen».
Im Vergleich zu anderen Ländern hält sie die Expats in der Schweiz für besser integriert, denn diese würden hier weniger in abgeschotteten Siedlungen leben, wie dies in anderen Ländern aus Sicherheitsgründen oft der Fall sei.
Fast alle ihrer Klienten würden Sprachkurse besuchen, sagt Sabine Baerlocher weiter. Als am sinnvollsten erachtet sie solche Kurse, die auf Situationen im Alltag zugeschnitten sind. «Das ist echte Integration durch Sprache, es kann nicht darum gehen, die Kursbesucher zu Deutschprofessoren auszubilden», sagt sie.
Eine Zeitfrage
Ist es gerechtfertigt, von Expats zu verlangen, dass sie eine Landessprache erlernen?
Diese Frage hat swissinfo.ch in den letzten Tagen in einem Leserforum auf seiner englischsprachigen Seite zur Diskussion gestellt. Die Reaktionen fielen mehrheitlich negativ aus.
«Die mehrsprachige Schweiz gehört zu den härtesten Ländern, was die Integration von vielbeschäftigten Ausländern betrifft», schrieb ein Mann, der mit einer Schweizerin verheiratet ist und sich als «früheren Grossverdiener» bezeichnete.
Ein anderer schrieb, dass vorwiegend Manager alter Schule in ihrer Wohngemeinde eine gute sprachliche Integration angestrebt hätten. «Heutige Realität aber ist, dass die Kommunikation aller multinationalen Unternehmen und Hightech-Firmen standardmässig auf Englisch stattfindet.»
Eine ungleich höhere Hürde stellen die diversen Dialekte dar. Es muss aber klargestellt werden, dass das Erlernen von Dialektsprachen nicht Teil des Massnahmenpakets des Bundes für eine bessere Integration ist.
«Es bleibt schlicht weder Zeit noch ergibt sich die Gelegenheit, fliessend einen Dialekt zu sprechen, den wir höchstens für ein Stunde pro Woche anwenden könnten», meldete sich ein weiterer Leser. «Unsere Karrieren und Familien nehmen unsere ganze Zeit in Anspruch. Und ehrlich gesagt sind unsere Hirne nicht noch für so etwas aufnahmefähig.»
Immerhin findet eine Stimme, die sich gemeldet hat, dass es zur Grundlage von Höflichkeit und Respekt gehöre, dass man die Sprache eines Landes lerne, in dem man lebt.
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Vielsprachigkeit
Kulturgewinn
Motivation sei alles, sagt Frederick Shepperd, gebürtiger US-Amerikaner, der in Zürich eine Investmentfirma führt. Shepperd spricht mittlerweile fliessend Deutsch, kann sich aber auch auf Französisch, Spanisch und etwas Italienisch unterhalten.
«Ich halte es für extrem wichtig, eine Fremdsprache zu lernen, gerade, wenn man aus den USA oder einem anderen englischsprachigen Land stammt», so Shepperd. «Man lernt nicht nur eine Sprache, sondern eine Kultur. Das ist vielleicht der grösste Spass daran.»
Mitte 2011 machten Ausländer 22,4% der Einwohner der Schweiz aus (Zahlen: Bundesamt für Statistik).
Die meisten stammten aus der EU, insbesondere Italien, Deutschland, Frankreich sowie Portugal und Spanien.
Menschen aus Serbien, der Türkei und aus Kosovo machten den grössten Anteil jener aus, die aus Nicht-EU-Ländern einwanderten.
Nordamerika mit USA, Kanada und Mexiko stellt die siebtgrösste Ausländergruppe in der Schweiz.
Der Vorschlag, den die Regierung im letzten November bei Parteien, Verbänden und Organisationen in die Konsultation schickte, sieht unter anderem obligatorische Sprachkurse für Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten vor.
Der Vorschlag umfasst ferner, dass die Behörden die Verlängerung einer beschränkten Aufenthaltsbewilligung verweigern können, wenn die Sprachkompetenz zu gering ist.
Das Gesetzespaket bedingt eine Erhöhung der Gelder für Integrationsmassnahmen von 40 Mio. Franken auf 110 Mio. Franken jährlich bis 2014.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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