Von Bern nach Florida: «Ich habe zwei Zuhause»
Vor über 10 Jahren entschied der Berner Norwin Voegeli, sich mit seiner Familie in den USA niederzulassen. Er lebt in Florida und ist als selbständiger Unternehmer in der Bahn- und Signaltechnik aktiv. swissinfo.ch traf den 53-jährigen Voegeli – in den USA wurde aus Vögeli das leichter schreibbare Voegeli - während einer Studienreise an der US-Westküste.
swissinfo.ch: Warum sind Sie in die USA gekommen?
Norwin Voegeli: Für mich war es immer ein Traum, in die Welt hinaus zu gehen. Beruflich bin ich als Maschineningenieur international viel und gerne gereist, seit ich Mitte 20 war, insbesondere in Asien. Irgendwann kam die Vorstellung, ausserhalb der Schweiz leben zu können. Wir haben das in der Familie diskutiert und kamen zum Schluss, diesen Schritt zu wagen. Bei asiatischen Orten wie Kuala Lumpur oder Bangkok hat es nicht funktioniert, doch dann kam 2005 ein Angebot für New York. Es war ein Abenteuer, auf das wir uns einlassen wollten.
swissinfo.ch: Ihre Wurzeln sind im Raum Bern. Wo genau?
N.V.: Ich bin in Münsingen – zwischen Bern und Thun – aufgewachsen. Während des Studiums an der Berner Fachhochschule in Burgdorf zog ich von zu Hause aus. Damals dachte ich, irgendwann zurückzukehren. Doch das ist nie passiert. Im Gegenteil. Ich bin immer weiter weggezogen. Zuerst nach Zürich, dann nach Braunschweig in Deutschland, wo ich für Siemens arbeitete. Dann kam ich – wie gesagt – in die USA.
swissinfo.ch: Was machen Sie beruflich?
N.V.: Ich bin seit rund 20 Jahren im Bereich Signalisierungstechnik tätig. Der Eisenbahnbereich hat mich dabei immer besonders interessiert. Und genau in dieser Sparte habe ich mich dann 2012 selbständig gemacht. Die Selbständigkeit war immer ein Traum von mir. Denn ich hatte das Gefühl, als Selbständiger leichter meine eigenen Ideen umsetzen zu können als in einer riesigen Firma. Und ich bin zufrieden: Es läuft heute super.
swissinfo.ch: Wie schwierig ist es, so einen Schritt zu wagen?
N.V.: Ich habe das Business in den USA gekannt, weil ich ja bereits hier tätig war, ohne selbständig zu sein. Ich kannte also den Markt. Aber am Anfang ist es sehr hart. Eine Weile habe ich sogar gar nichts verdient. Emotional durchläuft man Höhen und Tiefen. Es kann sogar zur Depression kommen.
swissinfo.ch: Das heisst: Es gab Momente, in denen Sie dachten, vielleicht wieder nach Europa und in die Schweiz zurückzukehren?
N.V.: Ja, solche Momente gab es. Aber mithilfe meiner Frau konnte ich durchhalten. Wir sagten uns: Wir wollen doch unseren Traum verwirklichen.
swissinfo.ch: Hat man Vorteile, wenn man als Schweizer in den USA arbeitet?
N.V.: Überhaupt nicht. Es gibt keinen Schweizer-Bonus. Niemanden interessiert hier, welche Schulen man in der Schweiz besucht hat. Hier interessiert nur Leistung. Und man muss die Konkurrenz schlagen. Das ist knallhart.
swissinfo.ch: Welchen Unterschied gibt es, in der Schweiz oder in den USA Business zu betreiben?
N.V.: Das Business ist ganz anders, als wir es in Europa und in der Schweiz kennen. Amerikaner ticken anders. Es ist wohl ein Fehler, den wir Europäer machen, indem wir denken, dass die Amerikaner unsere Art haben, nur weil sie gleich aussehen und europäische Wurzeln haben. Die Mentalitäten sind sehr unterschiedlich. Ich brauchte viel Zeit, um das zu verstehen. Und natürlich kam die Sprache dazu. Englisch ist nicht meine Muttersprache. Im Deutschen kommuniziert man sehr direkt, auf Englisch redet man eher etwas um die Sache herum, daher muss man zwischen den Zeilen lesen können, um die Nuancen zu verstehen. Das alles muss gelernt werden.
swissinfo.ch: Die Schweiz ist als Bahnland bekannt, die USA eigentlich nicht. Ist das überhaupt ein Markt?
N.V.: Der Bahnmarkt ist in den USA ein Riesenmarkt, vor allem die Personenbeförderung in den grossen Zentren ist ein Thema – «mass transit», wie wir es hier nennen. Man denke nur an die riesigen Städte wie San Francisco, Chicago, New York oder Los Angeles. Der Verkehr ist dort unerträglich geworden. Der Bedarf ist daher riesig, um Kapazitäten im Personennahverkehr auf der Schiene auszuweiten und die Technologie zu modernisieren. Auch bei Frachtbahnen gibt es Potential, aber eher in geringerem Rahmen.
swissinfo.ch: Eine Frage drängt sich auf: Hat die Wahl von US-Präsident Donald Trump das Business verändert?
N.V.: Kurzfristig gab es schon Veränderungen, weil einige Budgets für Projekte gestoppt wurden. Doch viele Budgets sind nun wieder gesprochen worden. Ich kann feststellen: Für mich persönlich und mein Business hat die Wahl von Trump keinen signifikanten Einfluss.
swissinfo.ch: Sie sind mit der ganzen Familie in die USA gezogen. Ging das problemlos mit den Kindern?
N.V.: Wir haben als Familie zweieinhalb Jahre in Braunschweig gelebt, bevor wir in die USA kamen. Damals war meine Tochter sechs Jahre alt, mein Sohn dreieinhalb. In New York kam meine Tochter gleich in die erste Klasse. Sie hatte Probleme. Aber schon nach drei Monaten ging es gut. Sie erhielt sogar einen eigenen Stützunterricht. Nach einem Jahr waren beide voll integriert. Heute sind sie eher junge Amerikaner als Europäer.
swissinfo.ch: Aber sprechen Sie zu Hause nicht Deutsch?
N.V.: Doch. Aber die Kinder antworten stets auf Englisch. Deutsch benutzen sie eigentlich nur, wenn wir auf Familienbesuch in der Schweiz oder in Deutschland sind.
swissinfo.ch: Und wie steht es um das Verhältnis zur Schweiz?
N.V.: Die Schweiz ist meine Heimat. Da bin ich aufgewachsen. Wenn ich in der Schweiz bin, fühle ich mich sofort zu Hause. Wenn ich beispielsweise einen Mietwagen in Zürich nehme, habe ich das Gefühl, nie weg gewesen zu sein. Und wenn ich dann wieder in Florida bin, habe ich das gleiche Gefühl. Für mich kann ich sagen: Ich habe zwei Zuhause. Die Schweiz und die USA.
swissinfo.ch: Berndeutsch haben Sie nicht verlernt, wie man hören kann…
N.V.: …natürlich nicht. Ich denke, dass man die Sprache, die man bis zum 20. Lebensjahr gesprochen hat, nie verlernt. Andererseits werde ich wohl nie ganz perfekt Englisch können. Meinen Akzent werde ich vermutlich behalten, auch wenn ich Englisch beherrsche und selbst in dieser Sprache denke.
swissinfo.ch: Wird man als Schweizer wahrgenommen?
N.V.: Man wird als Europäer wahrgenommen, nicht als Schweizer. Viele Amerikaner verwechseln ja die Schweiz sowieso mit Schweden. Meine Frau ist Deutsche. Das ist etwas leichter. Germany ist natürlich ein Begriff.
swissinfo.ch: Aber Sie fühlen sich integriert?
N.V.: Absolut. Im Quartier von Ponte Vedra Beach bei Jacksonville, wo wir leben, haben wir ein fantastisches Verhältnis mit den Nachbarn. Es ist alles viel offener, als wir das in Europa gewohnt sind. Es gibt Partys und Feste. Und überall wird man eingeladen.
swissinfo.ch: Pflegen Sie auch Beziehungen zu anderen Schweizern?
N.V.: Im Konsulat von Atlanta, das für uns zuständig ist, kenne ich einige Leute. Und in Saint Augustin in Florida gibt es einen Swiss-Club. Am Anfang habe ich da intensiv mitgemacht, inzwischen weniger. Der Grund ist, dass die meisten Clubmitglieder Rentner sind, die einen anderen Zeitplan haben als ich. Dazu kommt, dass viele Schweizer mit Amerikanerinnen verheiratet sind. Bei den Treffen wird daher fast immer Englisch geredet. Doch wenn ich in einen Schweizer Club gehe, möchte ich eben meine Muttersprache sprechen. Sonst brauche ich ja diesen Club nicht unbedingt.
swissinfo.ch: Florida steht für Meer, Palmen, Sandstrände und ewige Sonne. Gibt es Schweizer Dinge, die Sie vermissen?
N.V.: Als begeisterter Kite Surfer liebe ich es, am Meer zu leben. Auch bin ich eher der Beach Typ als der «Bergler» und damit ist Florida einfach perfekt. Natürlich vermisse ich ab und zu die Berge, Snowboarden, Skifahren, Mountainbiken und Wandern. Aber das kann man auch in den USA kompensieren. Da meine Frau ebenfalls aus Europa kommt, pflegen wir zu Hause eher eine europäische Küche und finden sozusagen alle Zutaten lokal. Selbst Fondue und Raclette ist hier möglich.
swissinfo.ch: Wir wollen am Schluss noch etwas neugierig sein. Ihren Namen Norwin haben wir noch nie gehört. Woher stammt dieser Name?
N.V.: Meinen Eltern hat dieser Name gefallen. Er stammt aus dem Althochdeutschen, eine Verbindung von «nord» – Norden – und «wini» – Freund. Es bedeutet also: Freund aus dem Norden, nordischer Freund.
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