«Warum sollte man Angst vor E-Commerce haben?»
Luxus pur – und dennoch ein Haus für alle. Der Berner André Maeder leitet seit 2014 das Berliner KaDeWe, eines der berühmtesten und grössten Edel-Kaufhäuser der Welt. swissinfo.ch traf ihn zum Gespräch.
swissinfo.ch: Die Vorweihnachtszeit beginnt – die Corona-Beschränkungen dauern an. Wie hart trifft es das KaDeWe?
André Maeder: Das ist ganz klar eine schwierige Situation für den gesamten Handel. Rund 50 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit internationalen Gästen und deutschen Städtereisenden. Die fehlen uns derzeit spürbar, auch wenn die Berliner selbst jetzt etwas häufiger kommen, weil sie ja auch nicht reisen.
Aber ich halte die Massnahmen und Einschränkungen für richtig. Sicherheit geht über alles, und wir dürfen glücklicherweise offen bleiben. Härter trifft es die Restaurants und Bars in unserer berühmten Feinkostetage, der «Sechsten», die über den November erneut schliessen müssen. Die Gastronomie ist eines unserer Herzstücke. Das schmerzt schon.
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Kaufhäuser befanden sich bereits vor Corona in der Krise. Ihre Eigentümer investieren hingegen derzeit 400 Millionen Euro in das KaDeWe und die zwei weiteren Standorte der Gruppe in Hamburg und München, dem Alsterhaus und Oberpollinger. Sie glauben offensichtlich an die Zukunft des grossen Warenhauses.
Absolut, sonst würden unsere Eigentümer und die am Umbau beteiligten Marken nicht so viel Geld investieren. Sie alle sind vom Erfolg und der Zukunft unseres Konzepts überzeugt und daher planen wir neue Department Stores in Wien und Düsseldorf.
Die drei Häuser der KaDeWe-Gruppe gehören zum Luxussegment. Gilt Ihr Optimismus auch für die traditionellen Kaufhäuser?
Ja. Häuser mit Ideen und Kreativität können im günstigen und mittleren Preisniveau ebenso wie im Premiumsektor überleben. Das KaDeWe gibt es seit 113 Jahren und es wird es in 113 Jahren noch geben. Davon bin ich überzeugt.
Das KaDeWe (Kaufhaus des Westens) wurde bereits 1907 gegründet, es ist eines der grössten Kaufhäuser der Welt und ein Magnet für Einheimische und Touristen gleichermassen. Auf 60’000 Quadratmeter führt das Luxuskaufhaus am Tauentzien nahe dem Kurfürstendamm auf sieben Etagen eine Million Artikel.
Die KaDeWe-Group gehört einem Joint Venture der Signa-Gruppe des österreichischen Investors René Benko und der thailändischen Central Group, die ein Reihe von Luxuskaufhäusern in Europa betreibt, unter ihnen auch La Rinascente in Italien und Illum in Dänemark.
Im Februar 2020 stiegen Signa und Central auch in der Schweiz ins Geschäft ein und kauften vom Migros-Genossenschafts-Bund die Globus AG sowie acht dazu gehörende Immobilien.
Was sind Ihre Vorbilder auf internationaler Ebene?
Der Begriff ist mir zu statisch, ich würde eher von Inspiration sprechen. Ich habe das Harrods in London sieben Jahre lang geleitet, dennoch gefällt mir Selfridges in London noch besser, es ist sehr modern, zeitgemäss und frisch. Wir liegen in der Positionierung irgendwo dazwischen. In Paris liebe ich die elegante Schönheit des Le Bon Marché.
Was macht einen Luxus-Department-Store wie das KaDeWe aus?
Das KaDeWe ist eine Erlebniswelt auf 60’000 Quadratmetern. Wir verkaufen nichts, was Sie wirklich brauchen. Hier kann man verweilen und wird unterhalten: Wir haben über 500 Shop-in-Shops, persönliche Einkaufsberater, Kunstausstellungen, Auktionen, eine Schneiderei, ein Beauty-Spa, in unserer sechsten Etage gibt es 26 verschiedene Restaurants und Spezialitäten aus aller Welt.
Solche Erlebnisse sind online schwer abzubilden. Ist das ein Grund, warum Sie Ihren Online-Shop erst vor fünf Monaten eröffnet haben?
Das war sogar früher als geplant. Eigentlich wollten wir erst im nächsten Jahr online verkaufen. Die Planung und die ersten Umsetzungen des Umbaus unserer drei Häuser hatte für uns Vorrang. Dann haben wir während des Lockdowns mit einem Testlauf gestartet, der seitdem nach und nach wächst und in den kommenden Monaten bauen wir unser E-Commerce-Angebot weiter aus.
Wie sehr gefährdet der Trend zum Online-Shopping Ihr Geschäftsmodell?
Überhaupt nicht, warum sollte man Angst vor dem E-Commerce haben? Dessen Anteil liegt derzeit in Deutschland um die 20 Prozent. Selbst wenn es 35 Prozent werden, bleiben immer noch 65 Prozent für den klassischen Einkauf im Retail-Store übrig. Das ist keine Frage des Entweder-oder.
Es sind dieselben Leute, die bei Amazon und bei uns kaufen. Was ich allerdings skandalös finde, ist, dass wir im Unterschied zum Online-Handel nicht am Sonntag verkaufen dürfen. Diese Wettbewerbsverzerrung gibt es nur in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Ich würde es gerne dem mündigen Kunden überlassen, wann er einkaufen will.
Noch bis 2023 wird Ihr Haus bei laufendem Betrieb umgebaut. Worauf dürfen sich die Besucher freuen?
Das Business um Retail und Department Stores entwickelt sich ständig weiter und auch wir tun es. Das Haus wird moderner, attraktiver und offener, 24 Architekten planen in vier Quadranten auf sechs Etagen neue Erlebniswelten.
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Auch an den Konzepten gibt es Veränderungen: Wir haben zum Beispiel bereits die zentralen Kassen abgeschafft. Jeder Kunde bezahlt jetzt individuell an einer von 400 Kassen im KaDeWe. So verhindern wir auch, dass eine gute Beratungserfahrung durch einen vielleicht nicht so optimalen Abschluss an der Kasse überlagert wird. Es geht um die exzellente Qualität des ganzen Einkaufserlebnisses.
Wie positioniert man ein Luxus-Kaufhaus für den internationalen Kunden? Oder auch: Was unterscheidet Sie von anderen Premium-Häusern in der Welt?
Wir sind ein Berliner Haus und haben unser eigenes unverwechselbares Profil, wir sind keine Kette. Das KaDeWe gehört der Stadt und ihren Einwohnern. Wir führen auch standortbezogene Fashion Labels und legen im Foodbereich viel Wert auf regionale Produkte. Genau dieses Lokalkolorit suchen nationale und internationale Besucher gleichermassen.
Berlin gilt als arm aber sexy. Ist es hier nicht schwieriger, Luxus zu verkaufen als in London oder Paris?
Jede grosse Weltstadt hat ihre eigene Kaufkraft-Skala. London ist eleganter, Berlin mehr Streetstyle und cooler. Kunden wie in London gibt es hier auch, es sind vielleicht weniger. Dafür haben wir in Berlin im oberen Segment weniger Konkurrenz. Es gibt kein zweites Kaufhaus unserer Klasse in Berlin oder Deutschland.
Sie haben es ohne Studium vom Lehrling in Bern zum CEO gebracht. Das ist eine erstaunliche Karriere.
Das war nicht so geplant und die Schritte haben sich wie beim Puzzle nach und nach ergeben. Nach der Schule habe ich drei kurze Schnupperlehren absolviert: Als Elektromonteur, in einer Bank und in einem tollen Sportgeschäft in Bern. Dort habe ich gleich am ersten Samstag mehrere Paar Ski und Skibekleidung verkauft und wusste sofort, dass ich eine Verkäuferlaufbahn einschlagen will.
Mit 25 Jahren war ich dann bereits als Einkäufer in der ganzen Welt unterwegs, in Asien, London und Paris. Ich habe immer das gemacht, was ich gerne und mit Leidenschaft tue. Das ist wohl das Erfolgsrezept.
Geht der Chef des KaDeWe abends nach Feierabend noch eben in die Feinkostabteilung und kauft für das Abendessen ein?
Ich kaufe alles im KaDeWe, vom Anzug bis zum guten Stück Käse. Einfach weil es bei uns alles gibt und das in bester Qualität.
André Maeder
Mit 16 Jahren begann André Maeder seine Lehre im Einzelhandel bei Schild in Bern, mit 20 Jahren war er bereits Verkaufsleiter beim Schweizer Warenhaus ABM in Pfäffikon. Mit 25 wurde er Filialleiter bei der Modehauskette PKZ und war als deren Zentraleinkäufer auf der ganzen Welt unterwegs.
Sechs Jahre später wechselte er als Einkaufschef zur Modehauskette Charles Vögele, dann mit 35 nach London, wo er beim Luxuskaufhaus Harrods zunächst Einkaufschef für Fashion, dann Gesamtchef für Ein- und Verkauf wurde.
Es folgten Stationen bei S. Oliver, Hugo Boss und Karstadt. Seit 2014 ist er CEO der KaDeWe Group, zu der auch das Hamburger Alsterhaus und der Münchner Oberpollinger gehört.
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