Ausweg dringend gesucht
Die in Bern anstehende Umsetzung der Zuwanderungsinitiative lastet auch auf dem deutsch-schweizerischen Verhältnis. Da tut Beziehungspflege Not. In Berlin trafen sich Parlamentarier beider Länder zum traditionellen Austausch. Es blieb nicht bei höflichen Worten.
Politische Fortschritte waren von dem Treffen nicht zu erwarten. Für Verhandlungen besass die aus Bern angereiste «Delegation für die Beziehungen zum Deutschen BundestagExterner Link» auch gar kein Mandat. In der scheinbar so verfahrenen Situation gilt es jedoch zumindest, gute Stimmung zu schaffen. «Wir sind hier, um den Dialog zu pflegen», machte Kathy Riklin, CVP-Nationalrätin und Präsidentin der Delegation aus National- und Ständeräten der SP, CVP, SVP und FDP deutlich.
«Deutschland hat ein grosses Interesse, dass die Schweiz den eingeschlagenen Weg der bilateralen Abkommen nicht verlässt», bekräftigte Thomas Dörflinger, der die deutsch-schweizerische Parlamentariergruppe des Bundestags Externer Linkleitet. «Der Gesprächsfaden darf nicht abreissen.» Falls es einen Lösungsansatz gebe, sei Deutschland bereit, die Gespräche der Schweiz mit der Europäischen Kommission konstruktiv zu begleiten.
Offene Worte an die Gäste
Eine Einschränkung der Zuwanderung in die Schweiz ist jedoch mit der EU und ihren Mitgliedstaaten nicht verhandelbar – dieses bekannte Mantra hörten die eidgenössischen Parlamentarier in Berlin immer wieder. Auch Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestags, machte bei einem gemeinsamen Mittagessen den Gästen sehr deutlich, dass der Zugang zu den Märkten an das Prinzip der Personenfreizügigkeit gekoppelt sei: «Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.» Da könne es für die Schweiz kein «individuelles Wunschkonzert geben», betonte Lammert nach dem Treffen gegenüber dem Schweizer Fernsehen.
Wie aber kann unter diesen Vorzeichen die Einwanderungsinitiative umgesetzt und zugleich an den bilateralen Verträge mit der Europäischen Union festgehalten werden? Für diese «Quadratur des Kreises», sei keine Lösung in Sicht, bekannte Kathy Riklin. Sie lobte in Berlin die gute Atmosphäre und den offenen Dialog mit den deutschen Parlamentarier-Kollegen. Man kennt sich, und man schätzt sich, doch beide Seiten verhehlten nicht, dass die Zeiten für einen freundschaftlich nachbarschaftlichen Austausch schon einmal besser waren.
«Wir sind uns selber nicht einig»
Der Riss, den die Masseneinwanderungs-Initiative herbeigeführt hat, führt nicht nur entlang der deutsch-schweizerischen Grenze, sondern auch mitten durch die eidgenössische Parteienlandschaft. Soll die Zuwanderung wie abgestimmt kontingentiert werden, oder müssen mit Rücksicht auf die bilateralen Verträge Änderungen oder gar eine neuerliche Abstimmung diskutiert werden? «Wir sind uns ja selber nicht ganz einig und ein bisschen ratlos», bekannte Kathy Riklin mit Blick auf die nach Berlin gereiste Schweizer Parlamentariergruppe.
Parlamentariergruppen
Im Jahr 2003 begann der institutionalisierte Kontakt zwischen der Schweizer Bundesversammlung und dem Deutschen Bundestag. Seither gibt es regelmässige gegenseitige Besuche der Parlamentarier und einen regen Austausch auf beiden Seiten. Ziel ist in erster Linie, ein Beziehungsnetz zu schaffen und Verständnis für politische Themen und Prozesse herzustellen.
Auf deutscher Seite sind Parlamentariergruppen weitgehend formlose Zusammenschlüsse von Abgeordneten aus mehreren Fraktionen. Die Mitgliedschaft ist offen und freiwillig. Die Mitglieder haben ein besonderes Interesse an den Beziehungen zu dem jeweiligen Partnerstaat und pflegen häufig auch persönliche Beziehungen. Zu Beginn jeder Wahlperiode werden die Parlamentariergruppen neu konstituiert. Derzeit sitzen in der deutsch-schweizerischen Parlamentariergruppe 51 Abgeordnete, davon 36 CDU/CSU, 9 SPD, 4 DIE LINKE und 2 BÜNDNIS 90 / GRÜNE. Vorsitzender ist seit 2003 der CDU-Abgeordnete Thomas Dörflinger.
Das Pendant auf Schweizer Seite ist die «Delegation für die Beziehungen zum Deutschen Bundestag». Sie setzt sich aus drei Mitgliedern des Nationalrates und zwei Mitgliedern des Ständerates zusammen. Als Ersatzmitglieder werden drei Mitglieder des Nationalrates und zwei Mitglieder des Ständerates bestimmt. Präsidentin ist derzeit die CVP Nationalrätin Kathy Riklin.
Der gehörte auch SVP-Nationalrat Adrian Amstutz an, Co-Präsident der Initiative gegen Masseneinwanderung. Er kritisierte vor den deutschen Kollegen die Zurückhaltung der Schweiz, den Volkswillen umzusetzen: «Die EU hat zumindest eine klare Haltung in dieser Frage, im Gegensatz zur Schweiz.» In Bern wolle man das Thema bis nach den anstehenden eidgenössischen Wahlen hinauszögern. «Das ist unanständig und entspricht nicht dem Volksauftrag.»
Auch Strommarkt betroffen
Nun bildet das Thema Freizügigkeit zwar nur einen Teil eines Netzes aus bilateralen Abkommen. Es lässt sich jedoch nicht aus diesem Geflecht lösen, ohne auch den Rest schwer zu beschädigen. Beim Thema Stromabkommen wird dieser Zusammenhang sehr deutlich. Es sei schwer zu leugnen, dass die Verhandlungen über eine Schweizer Integration in den europäischen Strommarkt neben institutionellen Fragen wie der Gerichtsbarkeit auch an der Masseneinwanderungs-Initiative gescheitert seien, so Thomas Dörflinger. «Folglich wäre es sehr vorteilhaft für andere Bereiche, wenn es beim Thema Personenfreizügigkeit Bewegung gäbe.»
Im Bereich Verkehrspolitik mahnten dann allerdings die Eidgenossen die Deutschen an: Bis zum Jahr 2020 müsse die durchgehende Schienenverbindung vom Rheintal bis nach Italien stehen, betonte Kathy Riklin. «Dafür ist es wichtig, dass Deutschland rechtzeitig fertig ist.» Das Thema Fluglärm wurde hingegen bei dem diesjährigen Zusammentreffen ausgeklammert. «Da kennen wir unsere unterschiedlichen Standpunkte und Interessen und brauchen sie nicht erneut auszutauschen», so Dörflinger. Zumal die Parlamentarier ja kein Verhandlungsmandat besässen.
Zoll könnte enger kooperieren
Trotz aller Differenzen gibt es jedoch nach wie vor Bereiche, in denen die Zusammenarbeit zwischen den Eidgenossen und den Deutschen hervorragend funktioniert. Thomas Dörflinger wies auf die positiven Erfahrungen mit der Kooperation der deutschen und schweizerischen Polizei hin. «Wir sollten darüber nachdenken, ob man eine solche Zusammenarbeit auch auf den Zollbereich ausweiten kann», regte der südbadische Abgeordnete an.
Man ist im Gespräch, und das bedeutet in der derzeitigen angespannten politischen Situation schon einiges. «Wir bereiten hier atmosphärisch den Boden», so der CDU-Abgeordnete, betont bemüht, kein weiteres Porzellan durch Forderungen oder Kritik zu zerbrechen. «Die innenpolitischen Fragen löst die Schweiz selber.» Doch eins treibe beide Seiten um: «Wir überlegen gemeinsam, wie wir aus dieser Kiste wieder heraus kommen.»
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