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Autoexperte Stefan Bratzel: «Für den Genfer Autosalon dürfte 2024 das Ende sein»

Portrait von Stefan Bratzel
Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, sieht ausserhalb Chinas nur noch eine Automesse von globaler Bedeutung. zVg

Nach drei Absagen und einem Abstecher nach Katar kehrt der Genfer Autosalon dieses Jahr in die Stadt zurück, die er im Namen trägt. Das Interesse aber ist gering. Autoexperte Stefan Bratzel über den Versuch einer Wiederbelebung und die neue automobile Weltordnung.

1947 war der Genfer Automobilsalon die weltweit erste Veranstaltung der Automobilindustrie, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stattfand. Dieses Jahr ist sie die letzte der grossen Messen, die nach der Pandemie-bedingten Pause an alter Stätte ein Comeback gibt.

In den Jahren 2020 bis 2023 wurde die Geneva International Motor ShowExterner Link (Gims) abgesagt, 2023 fand sie in Katar statt – im Oktober statt wie gewohnt im März, im Anschluss an den dortigen F1-Grand-Prix. 180’000 Besucher:innen zählte die Gims im Wüstenstaat. 200’000 werden nun vom 27. Februar bis 3. März in Genf erwartet.

Der Eingang zum Salon de l Automobile in Genf, Schwarzweissbild
Ein Bild aus besseren Zeiten: 1947 gab der Autosalon in Genf ein Comeback nach der Kriegspause und entwickelte sich rasch zu einem Publikumsmagneten. Keystone / Str

Es sind bescheidene Zahlen, wenn man in die fast 120-jährige Geschichte blickt. 2005 fanden fast 750’000 Menschen den Weg nach Genf.

Selbst 2019, als der Stern der Messen bereits zu sinken begonnen hatte und einige Hersteller durch Abwesenheit glänzten, waren es noch über 600’000.

Für die Ausgabe 2024 haben fast alle etablierten Hersteller abgesagt. Was bedeutet das für die Zukunft der Messe? Und wohin steuert diese durchgeschüttelte Branche, von der auch viele Zulieferer in der Schweiz abhängen?

Wir haben mit Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach und einer der führenden Auto-Experten in Europa über den Umbruch gesprochen.

SWI swissinfo.ch: Automessen wurden schon vor ein paar Jahren totgesagt; dann kam die Pandemie. Und trotzdem melden sich viele Messen jetzt zurück. Gibt es für sie noch eine Zukunft oder sind das die letzten Zuckungen eines überholten Formats?

Stefan Bratzel: Ich glaube, dass es nur noch wenige relevante Leitmessen gibt. Shanghai und Peking sind relevant. Die IAA in Deutschland alle zwei Jahre würde ich noch dazu zählen.

Dann wird es schon schwierig, weil das Format der Automessen immer weniger in die Zeit passt.

Die Hersteller suchen heute andere Kanäle, um ihre Fahrzeuge zu bewerben. Sie kommen immer mehr zum Publikum, und nicht mehr umgekehrt, mit Pop-Up-Stores in Innenstädten, via Social Media.

Und die Messelandschaft hat sich transformiert: Elektronikmessen spielen eine Rolle, weil das Auto sich zum digitalen Produkt gewandelt hat.

Der Autosalon in Genf war einmal ein Pflichttermin der Branche. Nun haben fast alle etablierten Hersteller abgesagt, auch die deutschen Autokonzerne. Wie muss man das interpretieren?

Die hohen Kosten und der Nutzen stehen in keinem guten Verhältnis mehr. Die Hersteller überlegen sich genau, wo sie Geld ausgeben. Ich persönlich bin immer gerne nach Genf gereist, weil die Messe sehr kompakt war. Die dünne Ausstellerzahl dieses Jahr wird aber wahrscheinlich das Ende bedeuten. Es könnte auch anders kommen, aber ich sehe im Moment nicht wie.

Blick in die Messehalle: Es wimmelt von Autos und Besuchenden
Vereinzelte Hersteller nahmen 2019 bereits nicht mehr Teil, trotzdem hatte die Ausstellung in Genf eine grosse Show zu bieten und zog über 600’000 Besucher:innen an. © Keystone / Laurent Gillieron

Letztes Jahr kooperierte die Genfer Messe mit Katar, richtete – finanziert vom Öl-Staat – einen spektakulären Event vor dem dortigen F1-Grand-Prix aus. Dieses Jahr findet sie in Genf statt, im Stile eines zukunftsorientierten Branchenkongresses. Ist da noch ein Konzept sichtbar?

Ich erkenne keine Strategie darin. Das letzte Jahr, der Event in Katar, das kann so machen mit Geld der Golfstaaten. Auch die Messe mit einem Kongress zu verbinden, kann Sinn machen; aber ob das tragfähig ist, weiss ich nicht. Vor allem, ob dann genügend Besucher kommen.

Der Erlebnischarakter ist heute wichtig, und der spielt sich eher draussen ab, dafür ist aber die Jahreszeit nicht optimal. Die Münchner IAA, mit Ausstellungen in der Innenstadt, war diesbezüglich ein Schritt in die richtige Richtung.

Genf war in guten Zeiten so etwas wie der neutrale Boden der Branche, hier fanden die Hersteller aus den Nachbarländern, aus Japan und den USA zusammen. Rächt sich jetzt, dass die Schweiz als Land ohne Automarke keine Hausmacht hat?

Wenn man so will, ist das ein Vorteil der Deutschen. Wenn der Verband der Automobilindustrie die eigenen Mitglieder von der Messe überzeugt, ist schon viel erreicht. Deutschland ist zudem der grösste Automarkt in Europa.

Die Schweiz hatte eine interessante Funktion, als die Autoschauen noch eine Rolle spielten. Aber das Zeitalter ist vorbei und ich sehe es nicht zurückkommen.

Sagen wir der Autosalon wird wie erwartet lau. Wie realistisch ist es, dass GIMS als Eventmarke ins Golf-Emirat Katar verkauft wird?

Ich kenne die finanziellen Implikationen nicht. Wenn das Interesse in Genf gering ist, könnte ich mir einen Verkauf schon vorstellen – die Frage ist, ob es einen Käufer gibt.

Drei Männer in langen weissen Gewändern fotografieren eine Kühlerfigur
2023 war die Geneva International Motor Show (GIMS) zu Gast in Katar und zog 180’000, teils gut betuchte, Besucher:innen an. Shaad Fotos

Das Marketing der Branche hat sich verändert, die Ausstellungshallen produzieren keine attraktiven Bilder für TikTok und Instagram. Ist das Internet am Ende der grösste Feind der Automessen?

Das Thema Digitalisierung spielt eine zentrale Rolle in der Transformation, und in der Art und Weise, wie die Hersteller den Käufern begegnen, mit Bildern, mit interaktiven Elementen. Es geht um die grundsätzliche Frage: Wie verändert sich das Automobil? Was ist das neue Leitbild?

Früher war das Auto eng verbunden mit Status und Design, das verändert sich im Moment mit grosser Dynamik. Darauf muss das Marketing reagieren. Bei einigen Kunden geht um Basismobilität.

Und dann gibt es das höhere Segment. Man sponsert Golf-, Tennis-Turniere und Regatten, um die Marke aufzuladen. In den grossen Messen sind viele Marken richtig unter gegangen, darum haben einige schon vor Jahren ihre eigenen Plattformen gesucht.

In China scheint die klassische Messe noch eine Zukunft zu haben.

Es gibt unterschiedliche Entwicklungsstadien je nach Land. In China sprechen wir bei vielen Kunden immer noch von einer Erstmotorisierung. Die Digitalisierung ist schon sehr weit fortgeschritten. Aber die Auto-Show in Shanghai und Peking werden wir noch einige Jahre erleben.

In Europa wird sich alles auf eine Leitmesse fokussieren: die IAA. Paris spielt keine Rolle mehr. Alle anderen Messen spielen international keine Rolle mehr. Sie sind reine Regionalmessen.

Die Umwälzungen in der Automobilbranche im Zuge der Digitalisierung und der elektrischen Wende rütteln auch an den Hierarchien. Stehen wir vor einer neuen automobilen Weltordnung, in der China den Ton angibt?

Absolut. Wenn ich auf Vorträgen bin, male ich immer das neue Universum, das gerade am Entstehen ist. Mit den neuen Akteuren, die im Elektro- und Digitalzeitalter eine Rolle spielen.

Tesla hat sich etabliert. In China sind es BYD und MG, die sicher überleben werden. Auch die Big-Data-Player haben eine Rolle – Nvidia, Alphabet, Tencent –, Sony, Honda, Huawei engagieren sich. Etablierte Zulieferer wie Bosch müssen ihre Rolle überdenken.

Hummer-SUV an einer Parade
Eventisiert und «instagramable», so präsentierte sich die Geneva International Auto Show in Katar, kein Anlass forcierter Bescheidenheit. zVg

Die deutschen Hersteller haben sich spät dieser Wende gefügt, kämpfen aber mit strukturellen Problemen wie Lieferkettenunterbrüchen und schlechten Margen. Kann insbesondere VW das Lenkrad noch herumreissen?

Unter den deutschen Herstellern fällt es VW am schwersten, den Wandel voranzubringen. Bei VW spielen die Kosten eine grössere Rolle. In China ist man genau dem Fahrzeugsegment präsent, in dem eine grosse Preisschlacht stattfindet.

Chinesische Produkte werden als gleichwertig gesehen, sind in der Vernetzung teilweise besser, und dann erst noch günstiger.

Ich glaube aber, dass VW gute Chancen hat, die Transformation zu überleben. Man schliesst neue Kooperationen. Es wird noch zwei, drei Jahre schwer werden, bis man die Kosten auf ein vergleichbares Niveau bringt wie die Chinesen.

Die Ausnahme von der Regel: Mit Microlino ist ein Schweizer Kleinsthersteller in Genf präsent.

Externer Inhalt

Am Autosalon sind mit BYD und MG Motor zwei grosse chinesische Hersteller präsent. Es wird vermutet, dass sie das Vakuum in Genf für den Markteintritt in der Schweiz nutzen.

Das ist gut möglich. Beide Marken haben weltweit schon eine starke Rolle, und sie werden auch im europäischen Markt eine Bedeutung einnehmen wollen. Das geht aber nicht von heute auf morgen, sie müssen noch Erfahrungen sammeln.

Aber: Ähnlich wie bei Hyundai vor 20 Jahren sind die Chancen da, dass sie relevante Marktanteile mit eigener Wertschöpfung in Europa hinbekommen.

Editiert von Samuel Jaberg

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