«Keine Schweizer Bank wird auf Schwarzgeld bauen»
Das Bankgeheimnis für Ausländer ist ab 2018 Geschichte. Das Parlament hat die gesetzlichen Grundlagen für die Einführung des automatischen Austauschs von Bankkundendaten gutgeheissen. Die Schweiz habe den Strategiewechsel gerade noch rechtzeitig vollzogen und bei der Ausarbeitung der internationalen Standards zum Austausch ihre Position erfolgreich eingebracht, sagt der Experte Aymo Brunetti im swissinfo.ch-Interview.
BrunettiExterner Link ist Professor für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomie an der Universität Bern. Er war Leiter von zwei Expertengruppen zur strategischen Neuausrichtung des Finanzplatzes und leitet seit März 2015 den Beirat Externer Linkder Regierung zur Zukunft des Finanzplatzes.
swissinfo.ch: Noch vor drei Jahren war bereits lautes Nachdenken über den automatischen Informationsaustausch (AIA) ein Sakrileg. Jetzt hat ihn das Parlament beschlossen, und keiner wertet das als Überraschung. Was ist passiert?
Aymo Brunetti: Das internationale Umfeld hat sich drastisch geändert. Ursprung war die Finanzkrise, die in einer zweiten Welle zu einem extremen Anstieg der Staatsausgaben und einem dramatischen Einbruch bei den Einnahmen geführt. Die Länder haben versucht, überall Geld zusammenzukratzen, um die Löcher in den Budgets zu stopfen. Früher wurde Steuerhinterziehung toleriert. Nun gab es den globalen Konsens, dass man das verhindern muss.
Die Schweiz setzte eine Zeitlang auf die Abgeltungssteuer, aber das war verlorene Liebesmühe. Das hat man spätestens Ende 2012 gemerkt, als Deutschland die Abgeltungssteuer abgelehnt hat. Das war der Todesstoss. Wir haben einen global tätigen Finanzplatz, und wenn wir den erhalten wollen, dann dürfen wir nicht dauerhaft auf schwarzen Listen auftauchen.
Niemand in der Schweiz hat sich in das Modell des AIA verliebt. Es ist klar, dass das eine Riesendaten-Ansammlung gibt und dass er wahrscheinlich äusserst ineffizient ist. Die Abgeltungssteuer war ein gutes Konzept, aber es kam zu spät.
swissinfo.ch: Der Bericht Ihrer Arbeitsgruppe vom Juni 2013 enthielt auch die Empfehlung an die Politik, innerhalb der OECD aktiv am Standard für den AIA mitzuarbeiten, also proaktiv zu Handeln und nicht «autonom» und zähneknirschend nachzuvollziehen wie bisher. Die Schweiz hat mitgearbeitet. Mit Erfolg?
Die Anliegen der Schweiz
Bei der Erarbeitung des Standards zum automatischen Informationsaustausch hat die Schweiz aktiv mitgearbeitet und ihre Anliegen erfolgreich eingebracht.
Konkret forderte die Schweiz einen einzigen und weltweit gültigen Standard, die Gegenseitigkeit des Austausches der Daten, dass diese zwischen den Steuerbehörden der betroffenen Länder ausgetauscht werden und nicht zwischen den Banken, die Einhaltung des Datenschutzes und die Offenlegung von Trusts.
(Quelle: swissinfo.ch)
A.B.: Das war sicherlich erfolgreich. Die Schweiz hatte bis zu diesem Zeitpunkt bei der internationalen Erarbeitung von Standards nicht mitgemacht, weil für sie der AIA keine Option war. Man hat gerade noch rechtzeitig den Strategiewechsel vollzogen, um bei der Ausgestaltung des AIA noch mitzumachen. Da hat die Schweiz eine Stimme gehabt und hat ziemlich erfolgreich ihre Position eingebracht.
swissinfo.ch: Klar ist, dass nicht alle Länder den AIA einführen werden. Auf Druck der Banken hat das Parlament die vom Bundesrat angestrebten zusätzlichen Sorgfaltspflichten für Finanzinstitute bei Geldern aus nicht-AIA-Ländern abgelehnt. Ein kluger Entscheid?
A.B.: Grundsätzlich verstehe ich, dass die Banken ein Problem mit dieser Vorlage hatten. Es ist viel verlangt von einer Bank, dass sie genügend über die Steuersysteme verschiedener Länder weiss, um abschätzen zu können, ob das Geld korrekt versteuert ist.
Aber das Problem bleibt bestehen. Wir haben Länder, mit denen wir den AIA vereinbaren können, weil sie einen vergleichbar funktionierenden Rechtsstaat haben, aber wir haben viele stark wachsende Märkte, mit denen wir keinen AIA haben werden. Wir müssen extrem aufpassen, dass wir uns nicht wieder die gleichen Probleme einbrocken, die wir mit den OECD-Ländern hatten.
Wenn man sieht, wie radikal jetzt gewisse Banken hinterzogenes Geld nicht mehr wollen, dann glaube ich schon, dass bei den meisten Banken der Wille da ist, in diesem Bereich aufzupassen.
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swissinfo.ch: Können denn die Banken überhaupt noch ein Interesse daran haben, unversteuerte Gelder anzunehmen, oder ist – wenn solche Gelder entdeckt werden – das Reputationsrisiko zu hoch?
A.B.: Das ist definitiv so. Ich glaube, keine Bank, die ein längerfristiges Geschäftsmodell hat, wird auf unversteuerte Gelder bauen. Wenn sie das täte, wäre sie extrem schlecht beraten. Kurzfristig kann man damit wohl grosse Gewinne machen. Deshalb muss im strategischen Management der Bank klar verankert sein, dass man nicht kurzfristig die Gewinne maximiert, sondern das langfristige Reputationsrisiko sehr hoch gewichtet.
swissinfo.ch: Aber es gibt keine hundertprozentige Sicherheit…
Kein Bankgeheimnis mehr für Ausländer
Ausländische Bankkunden können sich nicht länger auf das Bankgeheimnis verlassen. Das Parlament hat den rechtlichen Grundlagen für den automatischen Informationsaustausch zugestimmt.
Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf brachte das Geschäft zum Ende ihrer Amtszeit mühelos durchs Parlament.
Als sie Ende 2012 angetönt hatte, dass die Zukunft den automatischen Informationsaustausch (AIA) bringen könnte, war die Aufregung gross gewesen. Drei Jahre später ist der AIA beschlossen. Mit Ausnahme der SVP sprachen sich im Parlament alle Parteien dafür aus. Auch von Seiten der Banken gab es keinen Widerstand.
Heute liefert die Schweiz anderen Staaten Informationen über Steuersünder ausschliesslich auf deren Ersuchen hin. Die Bedingungen für die Amtshilfe waren in den letzten Jahren jedoch schrittweise gelockert worden. Künftig fliessen die Informationen zwischen der Schweiz und bestimmten Partnerstaaten nun automatisch.
Lücken bleiben dennoch, denn die Schweiz wird künftig nicht mit allen Staaten automatisch Informationen austauschen. Der Bundesrat wollte deshalb neue Sorgfaltspflichten für Banken einführen. Das Parlament lehnte das jedoch ab.
Umstritten war, wie Schweizer Bürger mit Konten im Ausland identifiziert werden sollen. Die Räte beschlossen schliesslich, dass dafür die AHV-Nummer verwendet werden soll statt der vom Bundesrat vorgeschlagenen speziellen Steueridentifikationsnummer, die hohe Kosten verursacht hätte.
(Quelle: sda)
A.B.: Nein, die gibt es nicht. Das kann auch niemand verlangen. Die Schweiz steht im Moment wegen der Vergangenheit extrem in Rampenlicht, aber je länger sie sich an die neuen Regeln hält, desto weniger extrem werden die Reaktionen sein, wenn einmal ein problematischer Fall auftaucht. Es wird jedem klar sein, dass man nicht jeden Einzelfall verhindern kann. Aber systematisch mit Schwarzgeld Geld verdienen, dieses Geschäftsmodell wird in der Zukunft nicht funktionieren.
swissinfo.ch: Noch vor wenigen Monaten waren die Altlasten, die unversteuerten Gelder, die in der Vergangenheit in der Schweiz parkiert worden sind, ein Thema. Wenn der AIA da ist, kommen allfällige Altlasten ans Licht. Ist dieses Problem mit dem Abzug von Geldern, Selbstanzeigen und den Amnestieprogrammen verschiedener Staaten gelöst?
A.B.: Ich kann das nicht für jedes einzelne Land im Detail beurteilen, aber bei den grossen Ländern ist dieses Problem weitgehend bereinigt. Da hat man auch keine gegenteiligen Interessen. Die Schweizer Bank hat ein Interesse, dass am Tag, an dem der AIA umgesetzt und die Konten offengelegt werden, nicht unversteuerte Gelder entdeckt werden. Der betroffene Staat hat dasselbe Interesse, denn wenn er keine Regularisierungsmöglichkeit gewährt, dann ist an diesem Tag kein unversteuertes Geld mehr auf der Bank, weil jeder weiss, dass dann alles offengelegt sei wird und er deshalb vorher das Geld abzieht. Die Bank hat ein Interesse, dass der Kunde sein Geld nicht abzieht, und der Staat hat ein Interesse, die Steuern einzuziehen. Deshalb war ich nicht überrascht, dass die meisten Länder Regularisierungsmöglichkeiten geboten haben.
swissinfo.ch: Verschiedene Länder verfügen über gestohlene Kundendaten von Steuersündern, die ihr Geld in der Schweiz parkiert haben. Der Bundesrat will – auch hier macht die OECD Druck – deshalb auch dann Amtshilfe gewähren, wenn die Daten gestohlen sind. Der Widerstand im Parlament ist programmiert. Kann sich die Schweiz in dieser Frage ein Nein überhaupt leisten?
A.B.: Es geht um ein Abwägen von verschiedenen Übeln. Dass man gestohlene Daten auf diese Art und Weise de facto legalisiert, ist extrem störend. Aber diese Fälle sind ein Übergangsproblem, und im Gesamten gesehen ist es wohl noch störender, wenn man dauerhaft auf schwarze Listen kommt. Ich kann mir vorstellen, dass es im Parlament eine Prinzipiendiskussion gibt und dass man am Schluss in einer Güterabwägung sagt, das sei ein hässlicher Übergangskompromiss, den wir eingehen müssen.
swissinfo.ch: Ist der Finanzplatz mit den nun eingeleiteten Reformen saniert?
A.B.: Wenn die Schweiz den internationalen Standard umsetzt, wird der Druck stark abnehmen. Ich sehe im Moment kein anderes Thema mit einem ähnlichen Schadenpotential. Die dringendsten Fragen ist die Schweiz jetzt angegangen. Es können neue Fragen kommen, aber die wichtigen Schritte haben wir jetzt gemacht.
swissinfo.ch: Und was ist mit dem Bankgeheimnis im Inland, das ja weiterhin besteht?
A.B.: Beim inländischen Bankgeheimnis haben wir überhaupt keinen internationalen Druck. Das können wir autonom entscheiden. Es ist eine innenpolitische Abwägungsfrage, die aus meiner Sicht nicht drängt. Deshalb haben wir uns in den Expertengruppen nie gross mit diesem Thema befasst.
Die Matter-Initiative, die das Inland-Bankgeheimnis in der Verfassung verankern will, wird diesbezüglich eine gewisse Klärung bringen. Wenn die Initiative abgelehnt wird, dann ist die Tür in diese Richtung offen. Es ist ein innenpolitisch wichtiges Thema, aber für die Funktionsfähigkeit des Finanzplatzes ist das in meinen Augen ein völlig sekundäres Problem.
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