Bahnen und Touristiker weibeln für Schneesportwoche
Auf den Schweizer Skipisten tummeln sich immer weniger Kinder und Jugendliche. Schuld daran ist unter anderem der markante Rückgang der Schul-Skilager. Fachleute wollen diese aufgegebene Tradition neu beleben - und so den Wintertourismus langfristig sichern.
«Du musst von 6 Uhr morgens bis 11 Uhr abends zu 100% präsent sein, um die Disziplin aufrecht zu erhalten und für die Kinder da zu sein, die krank sind oder Heimweh haben», erzählt Primarlehrer Urs Weibel. Sein Job als Leiter des Skilagers seiner Schule ist ein steter Kampf, wie aus seinen Äusserungen gegenüber swissinfo.ch klar wird.
Zur Beaufsichtigung der Kinder kommt laut Weibel das Organisieren einer guten Unterkunft, die Suche nach geeigneten Begleitpersonen sowie das Zusammenstellen eines attraktiven Programms inklusive Menüplan.
Lange war das Schul-Skilager, meist im Februar abgehalten, obligatorischer Teil des Lehrplans. Aber schwindende Begeisterung von Schülern, die oder deren Eltern mit Skifahren nichts am Hut hatten sowie die stark gestiegene Verantwortung sägten an der Rolle der Lehrer als inoffizielle Advokaten des Skisports.
Urs Weibel findet die Herausforderung immer noch spannend und erfüllend. Aber seine Schule, die jedes Jahr Lager für mehrere Klassen anbot, führt heute nur noch ein Lager für eine bestimmte Klasse an. Jedes Kind solle einmal die Chance erhalten, Schneesport kennenlernen zu können, lautet das bescheidene Ziel.
Verlorene Generation?
Jüngste Zahlen des Bundesamtes für Sport (Baspo) zeigen, dass die Zahl der Jugendskilager zwischen 2005 und 2011 um 20% zurückging. Dabei stützt sich das Baspo auf Zahlen seines Förderinstruments Jugend & Sport, dem die meisten Lager angeschlossen sind.
Im Kanton Obwalden beispielsweise machte nur noch ein Viertel aller Schüler an einem Skilager mit.
Schweiz Tourismus schätzt, dass von den so genannnten Secondos, also Kindern von zugewanderten Eltern, 85% nicht Ski fahren. Dies sind 170’000 potenzielle Schneesportler zwischen 5 und 24 Jahren, die auf den Pisten fehlen. Und dies nicht nur in diesem Jahr, sondern für die nächsten Jahrzehnte.
Arosa Tourismus spannte deshalb für eine Werbekampagne den kosovarisch-stämmigen Schweizer Fussballer Xherdan Shaqiri ein. Der Star vom FC Bayern München soll mehr Kinder aus Einwandererfamilien dazu motivieren, einen Teil ihrer Freizeit in den Bergen zu verbringen. Dazu versuchten sich das Vorbild und sein Bruder in der Langlaufloipe, auf dem Schlitten und auf dem Curling-Eis.
Der Wintertourismus, der zur Hälfte von Gästen aus dem Inland getragen wird, sieht sich durchwegs mit Einbussen konfrontiert, sowohl was Anzahl Skitage, Umsätze und Übernachtungen angeht (siehe Extra). Parallel dazu geht der Anteil der 20 bis 29 Jährigen im Wintergeschäft markant zurück.
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«Setzt sich dieser Trend fort, sieht die Zukunft düster aus. Bergbahnen erzielen 80% ihres Umsatzes im Winter und sie sind der Motor der Wirtschaft in Bergregionen», sagt Andreas Keller von der Dachorganisation Seilbahnen Schweiz. Es sei aber nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern es gehe auch um einen kulturellen Wert, den es zu erhalten gelte.
Aktionsplan
Wirtschaft und Politik haben die Probleme erkannt. Erste Massnahmen sind eingeleitet, um die Richtung zu ändern. Letzten Herbst hat der Nationalrat Ja gesagt zur Einführung eines obligatorischen Schneesporttages für alle Sekundarschüler. Die Motion kommt nun in den Ständerat.
Zudem wird für Ende Januar über die Machbarkeit eines nationalen Schneesport-Zentrums informiert, das Jugendskilager fördern und durchführen soll.
Auch im Januar trafen sich Vertreter von Schweiz Tourismus, dem Verband Swiss Ski, von Seilbahnen Schweiz und des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) auf Einladung des Baspo, um einen Aktionsplan zu entwerfen.
Sie waren sich einig, dass die Aufgabe für die Schulen einfacher werden soll. Dazu sollen insbesondere günstige Angebote für Ein- und Mehrtages-Aufenthalte geschaffen werden, die auf einer nationalen Koordinationsplattform abrufbar sind. Die Internetseite soll im nächsten Winter aufgeschaltet werden.
Laut Christoph Lauener vom Baspo liegt der Fokus dabei auf der lokalen Ebene. Dabei sollen Lehrer, Schulen und Gemeinden unterstützt werden, den Schneesport zurück auf die Agenda zu setzen. «Es gibt viele gute Initiativen, die nicht sehr bekannt sind, sich aber zur Nachahmung empfehlen», sagt Lauener.
Skitage pro Winter:
-12% zwischen 2004/5 und 2011/12 (von 28,1 Mio. auf 24,7 Mio.).
Umsatz Bergbahnen
-8% in derselben Periode (von 806 Mio. Fr. auf 741 Mio. Fr.)
Quelle: Seilbahnen Schweiz
Hindernisparcours
Als Herausforderung müssen praktische Wege und Mittel gefunden werden, wie die Hindernisse bei Organisation und Teilnahme von Skilagern überwunden werden können. Denn darin sind sich alle einig: Diese Lager bilden das Rückgrat der Schweizer Skikultur.
Die Widerstände sind zahlreich. Ein Faktor ist auch das Wetter. Weil im Mittelland, wo die Mehrheit der Bevölkerung lebt, weniger Schnee fällt, sinkt auch die Motivation zur Ausübung von Wintersport in den Bergen. Zudem werden die Wege länger, um dort gute Schneeverhältnisse anzutreffen.
Dazu kommt, dass die Zahl der alternativen Freizeitaktivitäten zugenommen hat. Und natürlich ist es auch eine Kostenfrage. Skifahren und Snowboarden sind nicht nur teuer, sondern erfordern auch eine teure Ausrüstung. Davon ist aber nicht nur die Schweiz, sondern jedes Wintersportland betroffen. Auch der Internationale Skiverband (FIS) hat den Rückgang der Popularität des Schneesports bei Jugendlichen erkannt und reagiert mit der Kampagne «Bringt die Kinder in den Schnee», zu der auch ein Welt-Schneetag für Kinder gehört. Die Aktion umfasst insgesamt über 600 Anlässe in 35 Ländern.
Zeiten ändern sich
Lilo Lätzsch, Präsidentin des Lehrerverbandes Zürich, erinnert sich, dass die Skilager noch vor 20 Jahren völlig ausgebucht waren. Heute führt die Sekundarschule, an der sie unterrichtet, gerade noch einen Schneetag pro Winter durch. Dabei müssen die Kinder nicht Skifahren oder Snowboarden, sondern können auch Eisskulpturen machen oder ein Iglu bauen.
«Wir dachten lange darüber nach und entschlossen uns für diesen Weg. Die Teilnahme ist für die Kinder nicht obligatorisch. Von den 20 Schülern meiner Klasse waren es vier, die nicht mitgekommen sind», sagt Lätzsch.
In ihren Augen liegen die Probleme nicht in der Organisation im Vorfeld, sondern in der anforderungsreichen und strengen Zeit während der Durchführung. «In Zürich erhalten wir punkto Organisation grosse Unterstützung. Eine Abteilung des Sportamtes kümmert sich um die Logistik, so dass die Lehrer nur noch erscheinen und übernehmen müssen.»
Auf den Pisten würde aber mehr ausgebildetes Personal benötigt, um die Kurse zu leiten und technische Unterstützung zu bieten, so Lätzsch.
Seilbahnen Schweiz hat mit Hilfe des Seco für diesen Winter ein günstiges Gesamtpaket geschnürt, das logistische Unterstützung umfasst und sich an 500 Schulgruppen richtet.
Darüber hinaus macht sich der Dachverband für die Wiedereinführung der traditionellen Sportwoche an Schulen stark.
«Wenn wir in den nächsten 20 oder 30 Jahren die Schweizerinnen und Schweizer in den Bergen sehen wollen, müssen wir heute handeln», ist Andreas Keller überzeugt.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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