Banken blockieren Forschung zum Schweizer Finanzplatz
Das Schweizer Bankgeheimnis war früher vor allem ausländischen Behörden ein Ärgernis, die Jagd nach Steuerhinterzieher:innen machen wollten. Jetzt fordern auch Schweizer Historiker:innen eine Lockerung des Bankgeheimnisses.
Das Gesetz wurde 2015 verschärft, nachdem die Steuerbehörden anderer Länder mehrmals gestohlene Daten gekauft hatten.
Finanzhistoriker:innen beschweren sich nun, dass sich Banken bei Archivanfragen hinter den strengeren Geheimhaltungsgesetzen verstecken. Die Schweizerische Gesellschaft für Geschichte hat einen BriefExterner Link an das Eidgenössische Finanzdepartement geschickt, der eine Lockerung des Gesetzes fordert. 1700 Historiker:innen haben ihn unterschrieben.
Das Schreiben fokussiert auf das Extrembeispiel der UBS. Die Bank hat Historiker:innen den Zugang zu Dokumenten verweigert, die Aufschluss über Finanzgeschäfte mit Deutschland während des Zweiten Weltkriegs geben würden.
Kein Kompromiss
Dieselben Dokumente wurden einst der ‘Bergier-Kommission’ zur Verfügung gestellt, die die Schweizer Regierung zwischen 1996 und 2001 einsetzte, um die Beziehungen des Landes zu Nazideutschland zu untersuchen.
Die UBS steht weiterhin zur Entscheidung, ihr Privatarchiv verschlossen zu halten. Die Gesellschaft für Geschichte anerkennt, dass Firmen mögliche Rechtsprobleme vermeiden wollen und strategische Informationen geheim halten.
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Schweizer Bankgeheimnis kollidiert mit der Meinungsfreiheit
Aber der mangelnde Wille, bei jahrzehntealten Dokumenten Kompromisse einzugehen oder mit Historiker:innen zu verhandeln, welche Fakten öffentlich gemacht werden können, frustriert die Historiker:innen.
“Infolge dieser komplexen Konstellation ist die historische Forschung zum Finanzplatz Schweiz weitgehend blockiert, was in Anbetracht von dessen gesamtwirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Bedeutung für die Geschichte unseres Landes nicht hinnehmbar ist und leicht zu unsachgemässen Polemiken führen könnte“, heisst es im Brief.
Der Einspruch aus den Geschichtswissenschaften folgt auf einen Aufschrei aus dem Journalismus im letzten Jahr. In der Schweiz müssen alle, die Informationen aus zugespielten, gestohlenen Bankdaten öffentlich machen, mit Gefängnis von bis zu fünf Jahren rechnen.
Suisse Secrets
Im Februar 2022 haben sich die Schweizer Tamedia-Zeitungen nicht an der sogenannten Suisse Secrets-Recherche beteiligt. Grundlage der Suisse Secrets waren gestohlene Bankdaten, die darauf hinwiesen, dass Diktatoren und als Kriminelle Beschuldigte Konten bei der Credit Suisse hatten.
Während internationale Medien die Inhalte der sogenannten Suisse Secrets offenlegen konnten, hätten Schweizer Medien für dieselbe Berichterstattung mit Strafverfolgung rechnen müssen.
Eine Reihe von nationalen und internationalen Gremien schloss sich damals der Kritik an den Einschränkungen der Pressefreiheit in der Schweiz an.
«Die Verfolgung von Journalist:innen wegen der Veröffentlichung von Bankdaten, die von öffentlichem Interesse sind, würde gegen internationale Menschenrechtsgesetze verstossen», sagte etwa Irene Khan, UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäusserung.
Dieser Druck hat in der Schweizer Politik dazu geführt, dass das Bankgeheimnis erneut überprüft wird.
Die Wirtschaftskommission des Nationalrats hat in diesem Jahr eine Motion verabschiedet, die empfiehlt, den Medien Recherchen auf Basis gestohlener Bankdaten zu erlauben, wenn ihre Berichterstattung in «gutem Glauben» erfolgt.
Die Regierung hat die Debatte explizit begrüsst. Doch bis zu einer möglichen Gesetzesänderung dürfte es noch dauern.
Gleichgewicht der Interessen
Beide Kammern des Parlaments müssten nach einer ausführlichen Debatte zustimmen. Dieser Prozess kann sich über viele Monate hinziehen und wird abgebrochen, falls eine Mehrheit der Politiker:innen nicht zustimmt.
Das Eidgenössische Finanzdepartement erklärte, es habe die Einwände von Medien und Historiker:innen zur Kenntnis genommen, könne sich aber erst nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens äussern.
Auch die Schweizerische Bankiervereinigung erklärte, es sei Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden. «Es ist nicht Sache der Bankiervereinigung, ein abschliessendes Urteil über die Interessenabwägung zwischen dem Schutzbedürfnis des einzelnen Kunden und dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu fällen», so die Vereinigung in einer schriftlichen Stellungnahme.
Die Schweizerische Bankiervereinigung wies auch darauf hin, dass Aufsichtsbehörden wie die Meldestelle für Geldwäscherei und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht bei Verdacht auf Straftaten Zugang zu Bankinformationen erhalten können.
Schweizer Bankengesetz
Das Gesetz zum Schweizer Bankgeheimnis trat erstmals 1934 in Kraft und stellt die unerlaubte Weitergabe von Kundendaten unter Strafe.
Artikel 47 des Gesetzes wurde im Jahr 2015 verschärft.
Wer Bankdaten weitergibt oder eine andere Person zu einer solchen Tat anstiftet, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe verurteilt werden.
Das bedeutet, dass ein Medienunternehmen wegen Anstiftung verurteilt werden kann, wenn es Daten wiedergibt, die ihm von einem Whistleblower angeboten wurden.
Eine Geldstrafe von bis zu 250’000 Schweizer Franken (270’000 Dollar) kann auch gegen alle verhängt werden, die fahrlässig Daten weitergeben.
Seit 2017 wendet die Schweiz das «Multilaterale Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen» an, welches einen automatischen Austausch von Steuerinformationen mit anderen Ländern vorsieht.
Dieser internationale Kodex zwingt die Banken, Kundendaten an anerkannte Steuerbehörden weiterzugeben. In anderen Fällen bleibt das Bankgeheimnis unangetastet.
Der Diebstahl von Daten durch Whistleblower oder andere Personen ist in der Schweiz nach wie vor eine Straftat.
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