Banken ringen mit «Schuldfrage» bei US-Steuerflucht
Schweizer Banken sind in eine Art Katz-und-Maus-Spiel verwickelt. Sie versuchen, sich im US-Programm zur Beilegung des Steuerstreits in eine möglichst vorteilhafte Position zu bringen, um im Austausch für ein Schuldbekenntnis den Verzicht der US-Behörden auf Strafverfolgung zu erhalten.
Während einige Banken sich schon ein klares Bild davon gemacht haben, wo sie sich im Rahmen des Programms positionieren, wägen andere die Kosten einer Registrierung noch gegen das Risiko ab, vom US-JustizministeriumExterner Link mit heruntergelassenen Hosen erwischt zu werden.
Die Liechtensteiner VP Bank war vergangene Woche die neuste Institution, die sich ganz aus dem Programm zurückzog, nachdem sie sich ursprünglich in Kategorie 2 eingereiht hatte – womit sie effektiv den Verdacht, US-Kunden potenziell bei der Steuerflucht geholfen zu haben, auf sich selbst gelenkt hatte.
Die NZZ am Sonntag berichtete, dass mindestens zehn Banken solche Kehrtwendungen gemacht hätten, ohne aber Namen zu nennen. Die britische Bank Barclay’s, die in der Schweiz ein Vermögensverwaltungs-Geschäft betreibt, zog sich im Sommer aus dem Programm zurück, während die Freiburger Kantonalbank zwar aus Kategorie 2 ausgestiegen ist, sich aber noch nicht entschieden hat, ob sie allenfalls in eine andere Kategorie wechseln wird (siehe Kasten).
Nachforschungen von swissinfo.ch bei 30 Finanzinstitutionen ergaben, dass zwei weitere Schweizer Privatbanken, die sich derzeit in Kategorie 2 eingeordnet haben (und nicht genannt werden wollten), nicht wissen, ob sie letztlich dabei bleiben, oder ihren Entscheid noch ändern werden. Drei Institutionen gaben keinen Kommentar ab, die restlichen erklärten, sie hätten keine Pläne, etwas zu ändern.
«Opfer»
Warum also sollte eine Bank sich zuerst praktisch selber der Beihilfe zur Steuerflucht anklagen und dann von einem Abkommen zurücktreten, das sie vor einer potenziell ruinösen Strafanklage beschützen würde?
Die Gründe können teilweise auf das Zustandekommen der Vereinbarung zur Beilegung des Steuerstreits zwischen den USA und der Schweiz im August 2013 zurückgeführt werden, eine Zeit grosser Unsicherheit und Gefahren für den ganzen Schweizer Bankensektor.
Im Januar 2013 hatte sich die Bank Wegelin vor einem US-Gericht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig bekannt. Das Verfahren in den USA führte dazu, dass die Bank Wegelin nach 273 Jahren ihren Betrieb einstellte.
Im Sommer 2013 lehnte das Schweizer Parlament die «Lex USA» ab, einen Vorschlag der Regierung, den langwierigen Steuerstreit mit der Übergabe von Kundendaten an die USA beizulegen.
Es machte damals den Anschein, als ob es im Steuerstreit noch mehr «Opfer» im Stil Wegelins geben könnte. Es waren düstere Aussichten, die noch stärker ins Zentrum rückten, als im Oktober desselben Jahres die Bank Frey ihre Geschäfte einstellte, weil sie sich einen Kampf mit den US-Behörden nicht leisten konnte.
Die Regulierungsbehörde, die Schweizer Finanzmarktaufsicht (FINMA)Externer Link drängte die Banken, beim Programm zur Beilegung des Steuerstreits mitzumachen; trotz Protesten, dass die Details zu vage seien und die Banken mehr Zeit brauchen würden, um ihre Konten auf allfällige US-Steuerbetrüger zu durchkämmen.
Verschiedene Sündengrade
Banken, die am Programm zur Beilegung des Steuerstreits teilnehmen, auf das sich die Schweiz und die USA im August 2013 geeinigt haben, werden in vier Kategorien eingeteilt, was ihre mögliche Schuld betrifft.
Kategorie 1: Die 14 Banken, gegen die wegen mutmasslicher Steuerflucht-Delikte bereits Ermittlungen der US-Justiz im Gange sind. Dazu gehören Julius Bär, Pictet, die Kantonalbanken von Zürich und Basel sowie einige Schweizer Niederlassungen ausländischer Banken.
Diese Banken haben bereits ein Schreiben des US-Justizministeriums erhalten, dass gegen sie strafrechtliche Ermittlungen laufen (Target Letter). Sie müssen ausserhalb des Programms eine Lösung mit den US-Behörden finden.
Kategorie 2: Jene Banken, die wissen oder vermuten, dass sie US-Steuerrecht verletzt haben. Diesen Banken drohen Bussen in Höhe von 20-50% der akkumulierten, nicht deklarierten Vermögenswerte, je nachdem, wie lange diese bei der Bank deponiert waren.
Die Frist für die Registrierung in Kategorie 2 wurde vom 30. Juni dieses Jahres auf Ende Juli erstreckt. Die Banken haben aber bis zum 15. September Zeit, den US-Behörden Unterlagen zukommen zu lassen, die aufzeigen, welche ihrer Kunden im Rahmen der US-Programme zur freiwilligen Offenlegung ihre Steuerdelikte zugegeben haben, was sich mildernd auf das Strafmass auswirken kann.
Ziel der Banken der Kategorie 2 ist, im Gegenzug für die Informationen über ihre grenzüberschreitenden Beziehungen und die erwähnte Busse mit den US-Behörden ein «Non Prosecution Agreement» (Verzicht auf Strafverfolgung) abschliessen zu können.
Kategorie 3: Banken, die US-Kunden haben, aber davon ausgehen, dass weder sie noch ihre Kunden US-Steuergesetze verletzt haben. Sie müssen ihre Unschuld gegenüber den USA beweisen. Ein unabhängiger Gutachter muss den Entlastungsbeweis bestätigen.
Kategorie 4: Lokale Banken, die nur sehr begrenzt ausländische Kunden haben – der Anteil der nicht-lokalen Kundschaft darf nicht mehr als 2% betragen.
Institutionen der Kategorie 3 und 4 erhoffen sich von ihrer Teilnahme am Programm einen «Non-Target-Letter» (Bescheinigung, dass sie nicht Ziel von Ermittlungen sind).
Die Frist zur Registrierung in den Kategorien 3 und 4 läuft noch bis zum 31. Dezember 2014.
Bis Ende 2013 hatten sich nach Angaben des US-Justizministeriums (DoJ) 106 Banken für das Programm angemeldet, seither sind noch weitere dazugekommen. PricewaterhouseCoopers (PwC) kalkulierte, dass sich bisher mehr als 100 Banken allein in Kategorie 2 eingeordnet haben. Für die Kategorien 3 und 4 läuft die Registrierungsfrist erst Ende 2014 ab.
Gefährliches Spiel
Gegenwärtig sind einige der Banken, die sich – um sicher zu gehen – in Kategorie 2 einordneten, noch immer mit den zeitaufwändigen, teuren Überprüfungen ihrer Geschäfte mit US-Kunden beschäftigt. Und einige haben ihren Due-Diligence-Prozess abgeschlossen und glauben, dass sie nun letzten Endes doch nicht so viel Schuld trügen.
«Ich habe gehört, dass einige Banken, die sich Ende letzten Jahres in der Kategorie 2 registrierten, jetzt, nach Konsultationen mit Beratern in der Schweiz und den USA, zum Schluss kamen, dass sie keinen Grund hätten, zu glauben, gegen US-Steuergesetze verstossen zu haben», erklärte Alexander Troller, Anwalt in der internationalen Anwaltskanzlei Lalive, die Banken berät, die am US-Programm teilnehmen.
«Ein Ausstieg aus der Kategorie 2 nach Durchführung einer solchen Analyse ist ein logischer Schritt. Es besteht ein theoretisches Risiko, dass die US-Behörden nicht gleicher Ansicht sind wie die Bank und diese dennoch strafrechtlich verfolgen könnten. Es sei denn, eine Bank ordnet sich neu in Kategorie 3 ein und würde einen Non-Target-Letter [Bescheinigung, dass sie nicht Ziel von Ermittlungen ist] erhalten», fügte er hinzu.
«Sie müssen aber auf diesen Entscheid vertrauen können, nachdem sie zuvor das DoJ selber auf sich aufmerksam gemacht haben.»
Es bleibt auch der Verdacht, dass andere Banken ein viel gefährlicheres Spiel treiben, indem sie gar nicht am Programm teilnehmen.
«Gewisse Banken mögen entschieden haben, sich auf der Grundlage einer Kosten-Risiko-Beurteilung nicht bei dem Programm anzumelden», sagte Troller. «Ihre Begründung ist, dass, sollten sie je gerichtlich belangt werden, die Bussen oder Konsequenzen tragbarer sein würden als die Kosten, die sich aus der Beteiligung am Programm ergeben würden.»
Das US-Justizministerium machte beim Zustandekommen des Programms zur Beilegung des Steuerstreits klar, dass nicht konformen Banken ernsthafte Sanktionen drohten, falls sie ihr Fehlverhalten nicht einräumten, dann aber erwischt würden.
Druck
Die US-Behörden erhöhten ihren Druck auf Schweizer Banken im Mai dieses Jahres mit einer Busse von 2,6 Mrd. Dollar für die Grossbank Credit Suisse. Das war drei Mal mehr als die Busse von 780 Mio. Dollar, welche die UBS 2009 für ähnliche Vergehen hatte bezahlen müssen.
Andererseits könnten sich die Kosten für Anwälte und Buchhalter auf beiden Seiten des Atlantiks zum Durchforsten der Geschäftstätigkeiten auf der Suche nach allfälligen US-Steuerhinterziehern leicht auf mehrere Millionen Franken belaufen.
«Es ist mit viel administrativem Aufwand verbunden, jede Bank muss die für sie beste Strategie ausarbeiten», erklärte Martin Schilling, Leiter Unternehmensfinanzierung und Finanzdienstleistungen bei PwC Schweiz gegenüber swissinfo.ch. «Bankenvertreter reisen ziemlich oft in die USA, um diese Fragen zu erörtern, und dies nimmt viel ihrer Zeit in Anspruch.»
Die Verschleierungstaktiken enden gemäss einem jüngst veröffentlichten Bericht von PwCExterner Link damit noch nicht. Der Bericht kam zum Schluss, dass viele Banken erstaunlich kleine Geldbeträge (Rückstellungen) zur Seite gelegt haben, um mögliche Bussen decken zu können.
«Schweizer Privatbanken waren bei ihren Rückstellungen wahrscheinlich konservativ, um ein implizites Schuldbekenntnis zu vermeiden», heisst es in dem Bericht. Oder mit anderen Worten: Grössere Rückstellungen bekannt zu geben, signalisiert ein grösseres schlechtes Gewissen.
Gefangen im Kreuzfeuer all dieser Strategien sind Tausende von Bankkunden, die entweder keine Steuerflucht-Delikte begangen haben oder sich ihrer Berichtspflichten nicht bewusst waren.
Zu diesen zählen auch US-Staatsangehörige, die in der Schweiz leben und arbeiten und keine Bankkonten eröffnen oder Hypothekardarlehen aufnehmen können. In gewissen Fällen wurden sie von ihren Banken ausgeschlossen, da sie als Kunden zu viel unerwünschten Papierkram und Risiken bedeuteten.
Eine Reihe von schweizerisch-amerikanischen Doppelbürgern beklagte sich darüber, unnötig in den Streit hineingezogen worden zu sein. Sie hätten für viel Zeit und Geld Unterlagen zusammentragen müssen, um zu belegen, dass sie nie in den USA gearbeitet oder – in einigen Fällen – nicht einmal je dort gelebt hatten.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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