Lichterlöschen in der Bankfiliale
Wann waren Sie zuletzt in einer Bank? Verglichen mit anderen Ländern hat die Schweiz noch immer erstaunlich viele davon. Der internationale Trend gibt aber auch dem Bankenland Schweiz den Takt vor - und Corona beschleunigt ihn.
Wer in ländlichen Regionen der Schweiz unterwegs ist, staunt manchmal, wo es noch überall Bankfilialen gibt. Dass ein 1000-Seelen-Ort mit einer Bank gesegnet ist, ist zwar nicht gerade die Regel, aber auch keine Seltenheit. Dabei haben die meisten Banken in der Schweiz – wie in praktisch jedem Industriestaat der Welt – ihr Filialnetz massiv ausgedünnt.
Die Beratungsfirma Deloitte schätzt, dass während der Pandemie in der Schweiz rund 40 Prozent aller physischen Kontakte zwischen Kunden und Bank wegfallen. Stattdessen kommt es vermehrt zu digitalen und telefonischen Interaktionen.
Eine ErhebungExterner Link der Hochschule Luzern und des Beratungsunternehmens ZEB hat ergeben, dass die Banker im Lockdown doppelt so oft mit ihren Kunden telefoniert haben wie im Frühling davor. Und die Nutzungszahlen beim E-Banking stiegen im Jahresvergleich immerhin um rund 25 Prozent.
Ein interessantes Experiment
Viele Banken haben wegen Corona Filialen geschlossen oder die Öffnungszeiten eingeschränkt. Temporär, wie es anfänglich hiess. Doch nicht jede Filiale wird wieder öffnen. Von der Grossbank Credit Suisse ist bekannt, dass sie rund ein Viertel der Niederlassungen aufgeben will – darunter einige, die ursprünglich «vorübergehend» geschlossen wurden.
Andere Banken geben sich bedeckt. Swissinfo.ch hat bei mehreren Instituten nachgefragt, ob sie ähnliche Pläne wie die CS verfolgten. Man überprüfe das bestehende Netz permanent, so oder ähnlich lauten die Rückmeldungen.
Nicht zu leugnen ist, dass die Einschränkungen während des Lockdowns ein interessantes Experiment boten: Wie reagieren Kunden auf ein teils massiv ausgedünntes Filialnetz? UBS-Sprecher Igor Moser sagt dazu: «Die reduzierte Anzahl an geöffneten Geschäftsstellen wurde von den Kunden positiv aufgenommen.» Denn es habe sich gezeigt, dass die Bank die Anliegen der Kunden trotzdem vollumfänglich habe bedienen können.
Auf den Punkt bringt es Reiner Brüggestrat, Bankchef der Hamburger Volksbank: «Die Folgen der Corona-Pandemie haben uns die Möglichkeit gegeben zu testen, ob unser Geschäft auf einen Schlag mit weniger Filialen funktioniert. Und wir sind zum Schluss gekommen, dass es funktioniert», zitiert ihn das deutsche Handelsblatt. Die Bank hat deshalb beschlossen, die 13 eigentlich nur temporär geschlossenen Ableger nicht wieder zu öffnen.
Bis zu 90 Prozent der Filialen verschwinden
Die Volksbank ist dabei keine Ausnahme. Auch die Commerzbank, Deutschlands zweitgrösste Privatbank, wird das Filialnetz stärker ausdünnen als vor Corona geplant. Unternehmensberater Oliver Mihm schätzt, dass sich die Zahl der Bankfilialen in Deutschland in den nächsten Jahren halbieren wird.
Noch düsterer sind die Prognosen für das Vereinigte Königreich: Das Beratungsunternehmen Accenture prognostiziert, dass im Extremfall zwischen 2019 und 2025 fast 90 Prozent der Bankfilialen schliessen werden. In der Hochrechnung vor Corona überlebte noch rund die Hälfte der Filialen.
Dabei stehen die beiden Länder im internationalen Vergleich schon jetzt nicht besonders gut da. Gemäss Weltbank kommen in Deutschland auf 100’000 Einwohner nur gut 11 Bankfilialen – im Vereinigten Königreich sind es 25. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es fast 40. Aber auch hier: Vor zehn Jahren waren es noch über 50 Niederlassungen pro 100’000 Einwohner.
Dass die Schweiz eine vergleichsweise dichte Bankeninfrastruktur hat, hängt nicht nur mit dem hohen Stellenwert des hiesigen Finanzplatzes zusammen. Deloitte sieht als Grund auch die Schweizer Kunden: Sie würden ihr Verhalten in Bank- und Geldfragen nur sehr langsam verändern.
Zudem müsse ein Institut in der Schweiz mit politischem Widerstand rechnen, wenn es seine Filiale in einer kleinen Gemeinde aufheben möchte. Und nicht zuletzt gehe es den Schweizer Banken wirtschaftlich noch immer gut. Sie stünden deshalb schlicht weniger unter Spardruck als ihre Pendants im Ausland.
Das mit Abstand dichteste Bankennetz der Welt hat übrigens San Marino. Auf die gut 30’000 Einwohner des von Italien umgebenen Zwergstaats kommen rund 60 Bankfilialen. Warum ausgerechnet San Marino? Jahrelang parkten vor allem Italiener ihre nicht versteuerten Gelder vorzugsweise im diskreten Nachbarland.
Zahl der Geldautomaten stabil
Corona hat nicht nur die Art verändert, wie wir Bankgeschäfte abwickeln, sondern auch unsere Zahlungsgewohnheiten: Karten und Handy ersetzen das Bargeld.
Die angefragten Banken bestätigen, dass es seit Corona weniger Bezüge an den Geldautomaten gegeben hat. Der Trend ist nicht neu: Die Credit Suisse beispielsweise verweist darauf, dass schon früher von Jahr zu Jahr rund 10 Prozent weniger Transaktionen am Automaten stattfanden. Nun habe sich die Entwicklung aber noch einmal beschleunigt.
Überraschenderweise hat sich die Zahl der Geldautomaten hierzulande in den letzten Jahren trotzdem kaum verändert. Mit rund 100 Automaten pro 100’000 Einwohner hat die Schweiz im internationalen Vergleich ein eher dichtes Netz. Noch. Man überprüfe das Geldautomatennetz laufend, teilen die Banken nämlich mit.
Wo die Reise hingehen könnte, zeigt der Blick in den Norden: Verglichen mit Finnland, Schweden und Norwegen, wo nur noch ausnahmsweise bar bezahlt wird, gibt es in der Schweiz aktuell drei Mal so viele Automaten pro Kopf.
Filialen haben trotzdem eine Zukunft
War Corona nun der Todesstoss für Filialen und Geldautomaten? Diese Schlussfolgerung wäre überstürzt, findet Jan Bellens vom Beratungsunternehmen EY. In einer Umfrage hätten zwar 43 Prozent der Bankkunden angegeben, sie würden seit Corona Bankgeschäfte anders erledigen als zuvor. Doch nur 16 Prozent gehen davon aus, dass sie ihr Verhalten deswegen dauerhaft ändern.
Die Banken sehen ihre Niederlassungen zudem als wesentlichen Vorteil gegenüber den rein digitalen Konkurrenten. Sobald es komplexer werde, erwarteten und schätzten die Kunden eine persönliche Beratung, heisst es etwa bei der UBS.
Die Filialen der Zukunft haben aber wenig gemein mit den Schalterhallen, die wir von früher kennen. Im Gegenteil: Die meisten Banken entfernen bei vielen Niederlassungen die Schalter gänzlich. Die Zürcher Kantonalbank beispielsweise hat unlängst entschieden, «die bedienten Bargeldservices bei rund der Hälfte der Standorte einzustellen».
Stattdessen steht bei den Banken künftig die Beratung im Zentrum – sei es in komplexen Finanzfragen. Oder um dem Kunden das neuste digitale Angebot näher zu bringen, damit dieser in Zukunft sein Bankgeschäft von zu Hause aus abwickeln kann.
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