Wegelin muss den USA 74 Mio. Dollar Strafe zahlen
Die Schweizer Privatbank Wegelin muss wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung den USA 74 Millionen Dollar bezahlen. Ungelöst sind die Fälle der anderen 10 Schweizer Banken, die ins Visier der amerikanischen Justiz geraten, aber nicht angeklagt worden sind.
Richter Jed S. Rakoff stimmte am Montag im Bundesbezirksgericht in Manhattan dem Vergleich offiziell zu und gab das Strafmass bekannt, bei dem er dem Antrag der Staatsanwaltschaft und der Bank folgte. Im Gerichtssaal sass auch Wegelin-Teilhaber Otto Bruderer.
Die US-Behörden hatten die älteste Schweizer Bank vor knapp einem Jahr verklagt. Den Gerichtsunterlagen zufolge hatte die Bank Amerikanern geholfen, Gelder in Höhe von mindestens 1,2 Mrd. Dollar vor der US-Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) zu verstecken.
Am 3. Januar 2013 hatte Wegelin sich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig bekannt und in die Zahlung einer Millionenbusse eingewilligt. Im Gegenzug wird das Strafverfahren nun eingestellt. Beide Seiten verzichten auf einen Rekurs gegen das Urteil.
Warnung an andere Banken
Es sei das erste Mal, dass eine ausländische Bank wegen eines solchen Falles in den USA verurteilt worden sei, teilte die Bundesstaatsanwaltschaft von Manhattan und das US-Justizministerium nach dem Entscheid von Rakoff mit.
«Wegelin hat wegen Beihilfe zum Steuerbetrug einen hohen Preis gezahlt», erklärte der leitende Staatsanwalt Preet Bharara. Andere Banken, Bankiers und Berater, die sich gleich verhielten, sollten dies als Warnung betrachten.
Die Anklage gegen Wegelin war Teil eines Feldzugs der USA gegen Steuerhinterziehung. Die Aktionen gegen Schweizer Banken mit Konten von US-Steuerpflichtigen begannen 2007 mit einer Untersuchung gegen die UBS. Noch stehen fast ein Dutzend weitere Banken aus der Schweiz im Visier der US-Justiz.
Die UBS war die erste Schweizer Bank, die ins Fadenkreuz der amerikanischen Steuerbehörde IRS geriet. 2009 musste sie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung eine Busse von 780 Mio. Dollar zahlen.
2010 unterzeichnete die Schweizer Regierung ein Abkommen über die Lieferung von Daten von 4500 amerikanischen Kunden der UBS an die USA. Das Abkommen wurde vom Parlament 2010 ratifiziert.
Steueramnestien der USA hatten in den letzten Jahren rund 30’000 Steuersünder veranlasst, ihre im Ausland versteckten Vermögen offen zu legen. Die US-Justiz verfügt über zahlreiche Beweise für Beihilfe einiger Schweizer Banken zur Steuerhinterziehung.
2011 eröffneten die US-Behörden wegen mutmasslichen Verstössen gegen US-Steuerrecht Untersuchungen gegen 11 Schweizer Banken, darunter die Credit Suisse.
Mehrere Bankangestellte und Anwälte wurden seither in den USA verhaftet oder angeklagt. Unter ihnen drei Manager der Privatbank Wegelin.
Ende Januar 2012 gab die Bank Wegelin den Verkauf eines grossen Teils ihres Geschäfts an die Raiffeisen-Gruppe bekannt. Einige Tage später erhob die US-Justiz Klage gegen Wegelin wegen Beihilfe und Anstiftung zur Steuerhinterziehung.
Es war das erste Mal, dass in den USA eine ausländische Bank für solche Praktiken offiziell angeklagt wurde. Und nun das erste Mal, dass es in einem solchen Fall zu einem gerichtlichen Urteil kam.
Ende 2011 hatte die US-Justiz von den Schweizer Banken Unterlagen zu ihren USA-Geschäften verlangt, inklusive der Namen von Mitarbeitern und Informationen über Zehntausende ihrer Kunden.
Nachdem sie sich zuerst dagegen ausgesprochen hatte, gab die Schweizer Regierung im April 2012 grünes Licht für die Übergabe dieser Daten, was in der Schweiz für eine Kontroverse sorgte.
Die Schweiz und die USA verhandeln schon lange über eine globale Lösung des Steuerstreits, um einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen.
Wiedergutmachung
Die vom Richter verfügte Strafsumme setzt sich zusammen aus der Wiedergutmachung für den USA mutmasslich entgangene Steuereinnahmen in Höhe von 20 Mio. Dollar und den Gewinnen von 15,8 Mio. Dollar, die Wegelin in der Zeit zwischen 2002 und 2010 mit US-Kunden erzielt hatte.
Dazu kommen eine Busse in Höhe von 22,05 Mio. Dollar sowie 16,3 Mio. Dollar, die auf dem Korrespondenzkonto der Wegelin bei der UBS lagen und welche die US-Justiz schon konfisziert hat.
Die Bank muss die noch ausstehenden Gelder nun innerhalb von drei Tagen überweisen. Um sicherzustellen, dass die Zahlungen erfolgen, legte der Richter eine Bewährungsfrist von einem Monat fest.
Rechtliche Zuständigkeit?
Als er seinen Entscheid bekannt gab, erklärte Rakoff: «Was diesen Deal – denn darum handelt es sich – rechtfertigt, ist die praktische Realität», dass es für die US-Justiz schwierig, wenn auch nicht unmöglich gewesen wäre, Wegelin zur Rechenschaft zu ziehen, wenn diese nicht kooperiert hätte. Der Bank gebühre dafür etwas Anerkennung.
Bevor er seinen Entscheid bekannt gab, hatte Rakoff beide Seiten gefragt, ob das vorgeschlagene Strafmass denn auch tatsächlich angemessen sei; auch um eine abschreckende Wirkung auf andere Finanzinstitutionen zu haben.
Das Justizministerium habe der Bank vorgeworfen, sie sei «ausserordentlich vorsätzlich» vorgegangen, habe aber nicht versucht, bei der Busse auf die Maximalforderung von 40 Mio. Dollar zu setzen. Diese scheinbare Dissonanz störe ihn etwas.
Wegelin müsse mit den 74 Mio. Dollar nur gerade etwa 12% der 560 Mio. Schweizer Franken aufgeben, die sie im letzten Jahr gelöst hatte, als sie den grössten Teil der Bank an die Raiffeisenbank verkauft hatte. «Nicht eben schmerzhaft, oder?», sagte der Richter.
Rasanter Zusammenbruch
Während Otto Bruderer nach dem Gerichtstermin vor der Presse keinen Kommentar machte, gab die Bank in einer Pressemeldung ihrer «Genugtuung» Ausdruck, dass der Richter die Busse und Wiedergutmachungszahlung innerhalb des mit der Staatsanwaltschaft vereinbarten Betrags angesetzt habe.
«Damit endet auch die 1741 begründete Tradition der Privatbank Wegelin & Co.» In Kürze werde der Bankbetrieb eingestellt, die verbleibenden Aufgaben würden von einer Zweckgesellschaft weitergeführt.
Weitere Schweizer Banken im Visier
Die Anklage gegen Wegelin war Teil eines Feldzugs der USA gegen Steuerhinterziehung. Die Aktionen gegen Schweizer Banken mit Konten von US-Steuerpflichtigen begannen 2007 mit einer Untersuchung gegen die UBS.
Nicht nur aus den USA, sondern auch von Seiten der EU und internationaler Organisationen wie der OECD ist der Druck auf das Schweizer Bankgeheimnis in den letzten Jahren immer stärker geworden.
Die Schweiz sah sich veranlasst, Schritte zu tun und über Fragen zu verhandeln, die noch vor wenigen Jahren als «unverhandelbar» betrachtet worden waren.
Mit der US-Justiz ist die Sache aber nach dem Fall Wegelin noch nicht ausgestanden. Untersuchungen gegen ein Dutzend weitere Banken, darunter die CS und die Zürcher und Basler Kantonalbanken, dauern an.
Auch das Verfahren gegen drei ebenfalls angeklagte Wegelin-Kundenberater bleibt hängig, wie ein Vertreter der Staatsanwaltschaft nach dem Entscheid Rakoffs erklärte.
Verhandlungen dauern an
Die Schweiz und die USA verhandeln schon lange über eine globale Lösung des Steuerstreits, um einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen.
Ende 2011 hatte die Schweiz damit gerechnet, 2012 eine Lösung finden zu können, doch hatte sich diese Hoffnung zerschlagen. Über den aktuellen Stand der Verhandlungen will man sich auf Schweizer Seite zurzeit nicht äussern.
Beobachter wiesen in den letzten Tagen darauf hin, das Strafmass für Wegelin könnte sich auf die Verhandlungen auswirken, indem es einen Hinweis auf den finanziellen Rahmen gebe, dem sich jene Schweizer Banken stellen müssten, die noch im Visier der US-Justiz stehen, damit die US-Seite allenfalls einer Lösung zustimmen könnte.
So erklärte zum Beispiel ein Zürcher Wirtschaftsanwalt in einem Artikel der Handelszeitung von Ende Februar: «Die Busse kann nun anderen Banken als Massstab dienen.»
Vorerst dürfte die Schweiz weiterhin im Fadenkreuz der USA bleiben, was Steuerfragen und Bankgeheimnis angeht.
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