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Bern und Peking vereint gegen den Protektionismus

Am 6. Juli unterzeichnen China und die Schweiz das Abkommen. Keystone

Stellen wir uns vor, David und Goliath arbeiten zusammen, statt sich zu bekämpfen: Genau das wollen die Schweiz und China mit einem Freihandelsabkommen tun. Und das in einer Zeit, in der die Handelsbeziehungen zwischen China und den USA und der EU angespannt sind.

Am 17. Januar 1950 war die Schweiz eines der ersten westlichen Länder, welche die Volksrepublik China offiziell anerkannt haben. Doch Bern hatte darauf gewartet, dass London eine Woche zuvor dasselbe tat.

Nun jedoch hat die Schweiz einen Vorsprung. Sie ist das erste westliche Industrieland, das daran ist, mit China ein Freihandelsabkommen abzuschliessen. Das Abkommen soll am 6. Juli in China offiziell unterzeichnet werden.

Der Inhalt des Abkommens ist bisher lediglich in Umrissen bekannt. Experten erklären gegenüber swissinfo.ch das Interesse Chinas und dasjenige der Schweiz an einem gemeinsamen Freihandelsabkommen.

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Von der Schweiz lernen

«Die Schweiz ist ein kleiner Riese, ökonomisch und politisch. Sie ist punkto Handel ein sehr professioneller, globaler Akteur», sagt Lu Xiankun, Berater der chinesischen Mission bei der WTO,

Gérald Béroud, ein Schweizer Spezialist für China, teilt diese Einschätzung. «Die Schweiz gehört zu den 20 grössten Volkswirtschaften der Welt. In Sachen Wirtschaftsentwicklung ist China weniger weit, auch wenn das Land in der verarbeitenden Industrie an erster Stelle steht.»

Lu Xiankun präzisiert: «China kann von der Schweiz viel lernen, sei es im Bereich der Hochtechnologien, der Pharma-, der Maschinenindustrie, aber auch bei der Unternehmensführung, dem Bankenwesen oder der Verhandlungskunst.»

Die China-Plattform, ein Zusammenschluss von verschiedenen Nichtregierungs-Organisationen, kritisiert den den intransparenten Verhandlungsprozess und mangelnde Information zum Inhalt des Abkommens.

Der konkrete Vertragstext sei noch nicht publiziert. Hinweise liessen aber den Schluss zu, dass es im vereinbarten Freihandelsabkommen der Schweiz mit China kein Nachhaltigkeitskapitel geben werde, das griffige Bestimmungen zur Berücksichtigung der Menschen- und Arbeitsrechte sowie zum Schutz der Umwelt festschreibe, kritisiert die Plattform.

Nach wie vor würden in China Millionen von Menschen in Zwangsarbeitslagern ausgebeutet, und unabhängige Gewerkschaften seien nicht zugelassen. 

Deshalb müssten im Freihandelsabkommen die Menschen- und Arbeitsrechte verankert sowie ein Kontroll- und Sanktionsmechanismus für Verstösse etabliert werden, so die Plattform.

Die China Plattform fordert den Bundesrat noch einmal auf, kein Freihandelsabkommen mit China zu unterzeichnen, das die Arbeits- und Menschenrechte nicht wirksam schützt.

Da das Abkommen noch vors Parlament komme, werde sich die China-Plattform mit weiteren Partnerorganisationen dafür einsetzen, dass die Schweiz nur ein Freihandelsabkommen abschliesse, das die Arbeits- und Menschenrechte berücksichtige.

Vom Plagiat zur Forschung

Der ehemalige Schweizer Botschafter in China, Blaise Godet, unterstreicht eine andere Dimension des Abkommens mit Peking: «Mit der Schweiz verhandeln und ein Abkommen abschliessen, das heisst auch, dem Rest der Welt – im Speziellen den USA und der EU – zeigen, dass es möglich ist, mit Peking Abkommen abzuschliessen.»

Eine andere Erklärung liegt in den Veränderungen der chinesischen Wirtschaft: «Noch vor fünf Jahren hat China kopiert. Heute setzt es den Fokus auf die Forschung. Im letzten Jahr hat China zum ersten Mal weltweit am meisten Patente bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum deponiert», sagt Luzius Wasescha, der ehemalige Schweizer Chefunterhändler bei der WTO.

«Die chinesische Wirtschaft verändert sich auf eine ähnliche Art, wie das die japanische vor dreissig Jahren getan hat. Der grosse Unterschied sind die Investitionen der multinationalen Gesellschaften. Mit ihrer auf der Forschung basierenden Wirtschaft ist die Schweiz für China besonders interessant.»

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EU und USA haben China unterschätzt

Mit diesem Abkommen habe die Schweizer Regierung eine visionäre Strategie verfolgt, sagt Wasescha. «Sie hat mit China Kontakt aufgenommen, ohne zu denken, dass das zu Problemen führen könnte. Normalerweise sperren wir uns, beispielsweise im Bankensektor.»

Blaise Godet erinnert daran, dass die Schweiz bereits 2007 China als Marktwirtschaft anerkannt habe. «Die EU und die USA waren damals der Meinung, dass sie aufgrund politischer und nicht kommerzieller Kriterien entscheiden werden. Indem der Bundesrat China anerkannt hat, zeigte er sich als visionär und mutig.»

Luzius Wasescha sagt: «Die EU und die USA haben die Fähigkeit Chinas unterschätzt, auch im Segment der Hochtechnologien Fuss zu fassen. Heute von China zu verlangen, dass es das geistige Eigentum respektiert, ist in Ordnung. Doch wenn der Druck Erfolg hat, wird er China dazu bringen, im Hightech-Bereich noch schneller konkurrenzfähig zu werden.»

Statt China zu beherrschen zu versuchen, wäre es für die EU und die USA besser, die Zusammenarbeit zu suchen, um konkurrenzfähig zu bleiben, so der ehemalige Chefunterhändler.

Die Schweiz und China haben am 24. Mai 2013 ein Memorandum of Unterstanding für ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Ländern unterzeichnet. Das Memorandum hält fest, dass die Verhandlungen technisch abgeschlossen seien.

Das Abkommen wird am 6. Juli in Peking offiziell von beiden Staaten unterzeichnet.

Anschliessend muss das Abkommen vom National- und vom Ständerat ratifiziert werden. Bis dann muss auch dessen genauer Inhalt bekannt sein.

Konkurrenzvorteil

«Die Schweiz schliesst solche Abkommen ab, weil sie alles unternehmen muss, damit ihre wirtschaftlichen Akteure auf den grossen Märkten die besten Konditionen haben», sagt Luzius Wasescha und erinnert an die Freihandelsabkommen der Schweiz mit Japan, Südkorea, Hongkong und Singapur.

«Solange die EU kein Abkommen mit China hat, werden die Schweizer Unternehmen dank dem Schweizer Abkommen von ihrem Konkurrenzvorteil profitieren können», so Wasescha.

Das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China fällt in eine Zeit, in der zahlreiche Kommentatoren von einem weltweiten Wirtschafts- und Handelskrieg sprechen. Und in eine Zeit, da die Mitglieder der WTO die im Jahr 2001 zur Liberalisierung des Welthandels gestartete Doha-Runde noch bei weitem nicht abgeschlossen haben.

Das ist auch einer der Gründe, dass immer mehr Staaten versuchen, bilaterale Freihandelsabkommen abzuschliessen. Das werde dazu führen, so Wasescha, dass sich die Staaten dereinst wieder in Genf finden würden, um die so entstandenen komplizierten Normen und Prozeduren wieder zu entflechten.

(Übersetzt aus dem Französischen: Andreas Keiser)

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