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Es gibt keine richtigen Geschäfte im falschen Krieg

Thomas Beschorner

Westliche Unternehmen sollten ihre Geschäftsbeziehungen mit Russland beenden. Denn es ist ihre moralische Pflicht, durch ihr Handeln friedensstiftend zu wirken, schreiben renommierte Wirtschaftsethiker aus der Schweiz und Österreich.

Es gibt Konzerne, die brechen ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland ab, nehmen russische Produkte aus ihren Sortimenten und schliessen Produktionsstätten oder Filialen vor Ort. Dazu zählen Ikea, Apple, alle grossen Kreditkartenunternehmen oder Coca-Cola.

Andere hingegen, der Lebensmittelkonzern Nestlé oder die grösste ausländische Bank in Russland, die Raiffeisen Bank International setzen ihre Geschäftstätigkeiten in und mit Russland fort.

Moralisches Gesäusel war verpönt

Diese Unternehmen argumentieren nicht mit einem vordergründigen Eigeninteresse, sondern sehen sich in einer sozialen Verantwortung: für die eigenen Mitarbeitenden in Russland einerseits, für die russische Bevölkerung andererseits. Und es gibt noch eine dritte Gruppe von Unternehmen, nämlich die, die keinen Piep zur Unternehmensverantwortung macht.

Was ist nun richtig? Was wäre von Unternehmen aus ethischer Sicht zu fordern?

Der Ökonom Milton Friedman rief vor gut 50 Jahren aus, es sei die soziale Verantwortung von Unternehmen, ihre Gewinne zu maximieren, von anderem moralischen Gesäusel möge man sich fernhalten. Die Diskussion heute ist viel weiter – sowohl wissenschaftlich als auch in der unternehmerischen Praxis.

So hat sich zum einen die Einsicht durchgesetzt, dass es sich bei Unternehmensverantwortung nicht um eine Art Spendenethik handelt, die Friedman vor allem im Sinn hatte, sondern um eine Aufgabe am Kerngeschäft des Unternehmens. Es geht nicht um die Frage, wie Unternehmen ihre Gewinne ausgeben, sondern wie sie ihre Gewinne erwirtschaften.

Man mag zwar eine Zeit lang in kaputten Gesellschaften Gewinn machen können, aber moralisch sauber bleibt man dabei kaum.

Und: Firmen werden heute auch als politische Akteure gesehen. Westliche Unternehmen operierten lange Zeit in mehr oder weniger gut funktionierenden demokratischen Kontexten, in denen die Politik moralisch fragwürdiges Verhalten kontrolliert und bestraft.

Erst mit der Globalisierung von Wertschöpfung nach dem Fall der Berliner Mauer geriet das Argument der moralisch neutralen Unternehmensentscheidungen in die Schieflage. Plötzlich gerieten Managerinnen und Manager unter den Druck, ihre Entscheidungen vor einer Weltöffentlichkeit begründen zu müssen.

Ende der Neutralität

Als 1995 das Abacha-Regime in Nigeria den Dichter Ken Saro-Wiwa unter anderem für seine Protestaktionen gegen den Shell-Konzern hinrichten liess, reagierte Shell auf Hilferufe von Menschenrechtsaktivisten mit einem Schulterzucken und verwies auf seine politische Neutralität.

Seit den Neunzigerjahren hat sich allerdings langsam das Bewusstsein durchgesetzt, dass Unternehmen nicht mehr nur in wohlregulierten demokratischen Kontexten agieren, sondern ihre Geschäfte mitunter auch unter repressiven Regimen machen. Oder sie sind in Ländern präsent, wo politische Verantwortliche zu schwach oder zu unmotiviert sind, geltendes Recht durchzusetzen.

Nur noch wenige multinationale Unternehmen wagen es heute, in solchen Situationen wie Shell damals in Nigeria gleichgültig auf die eigene Neutralität zu verweisen.

Man mag zwar eine Zeit lang in kaputten Gesellschaften Gewinn machen können, aber moralisch sauber bleibt man dabei kaum.

Firmen sind mittendrin

Wir können diese Phänomene derzeit sehr eindrücklich beobachten. Die Gesellschaft fordert angesichts des Angriffskriegs Russlands von Unternehmen deutlich ein Engagement. Und diese Forderung beschränkt sich nicht nur und nicht massgeblich auf Spenden.

Sie betrifft vielmehr die Unternehmenstätigkeit an sich. Sie appelliert an die Relevanz der Unternehmen als wichtige gesellschaftspolitische Akteure. Firmen, die jetzt nicht aus Russland rausgehen, drohen ihre soziale Akzeptanz zu verlieren.

Mitten in der Gesellschaft: Demonstration gegen den Ukraine-Krieg vor dem Schweizer Bundeshaus. © Keystone / Peter Klaunzer

Es mag Unternehmen passen oder nicht, aber sie sind immer schon im Mittendrin der Gesellschaft und mischen mit. Sie sind damit zum Handeln aufgefordert – und natürlich ist auch ein Zu- oder Wegsehen ein Handeln in «stiller Komplizenschaft» mit einem die Völkerrechte verletzenden Staat.

Wir haben es in diesem Krieg mit nicht irgendeiner normativen Position zu tun, die offenlässt, was richtiges Handeln ist. Über diese Frage hat die Gesellschaft bereits entschieden – auch für Unternehmen: völkerrechtlich, politisch und moralphilosophisch. Wirtschaftliche Sanktionen wurden als wirkungsvolles Instrument gegenüber Russland bestimmt.

Unternehmen sind als Citoyens ein verantwortlicher Teil der Gesellschaft.

Daraus leitet sich ab: Es ist für Unternehmen ethisch geboten, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um im Geiste der gesellschaftspolitischen Vorgaben, diesen Krieg baldmöglichst zu beenden und Frieden zu ermöglichen.

Dies sollte für Unternehmen nicht nur eine Frage gesellschaftlicher Akzeptanz sein. Es geht nicht nur um ein erweitertes Kosten-Nutzen-Denken und um die Sorge der Reputation. Es ist die Verantwortung und die moralische Pflicht von Unternehmen, durch ihr Handeln friedensstiftend zu wirken.

Fünf Punkte moralischer Verantwortung

Das bedeutet selbstverständlich, sich an die rechtlich bestimmten Sanktionen zu halten. Doch die moralische Verantwortung von Unternehmen ist weitergehend und umfasst fünf Punkte:

  • Unternehmensverantwortung bedeutet, aktiv Massnahmen zu ergreifen, die den Aggressor Russland wirtschaftlich schwächen.
  • Der Normalfall für jedes Unternehmen sollte daher der Abbruch jeder wirtschaftlichen Beziehung in und mit Russland sein. Beispiele dafür sind: das Abstossen von Unternehmensbeteiligungen an russischen Unternehmen, Schliessungen von Produktionsstätten in Russland und der Verzicht auf russische Produkte.
  • Aus ethischer Sicht kann es nur sehr wenige Ausnahmen geben, wie Lieferungen von Medikamenten oder Dienstleistungen, die der allgemeinen Sicherheit der Bevölkerung dienen – etwa die Wartung von Atomkraftwerken. Diese Situation kann sich in der Zukunft ändern, wenn zum Beispiel die russische Bevölkerung unter massiven Versorgungsengpässen im praktischen Leben leidet. Momentan stellt sich diese Frage jedoch nicht.
  • Jede Ausnahme ist begründungsbedürftig. Mögliche Gründe wie die «Versorgungspflicht» der russischen Bevölkerung oder der Verlust von Arbeitsplätzen in russischen Filialen sind allenfalls schwache Begründungen. Sie tragen nicht als eine Art Abwägungsargumente, weil gegenüber Verletzungen von fundamentalen Moralkategorien wie dem Völkerrecht oder der Menschenwürde schlicht nicht abgewogen werden kann. Sie sind vielmehr Ausdruck einer oft zu beobachtenden «Kultur der Ausrede». Es gibt schlicht keine richtigen Geschäfte in einem falschen Krieg.
  • Unternehmensverantwortung beinhaltet nicht nur Sanktionen, sondern ebenso ein Engagement der Firmen. Dazu zählen sozial abfedernde Massnahmen für in Russland entlassene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter westlicher Unternehmen. Genau das ist die Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers. Es kann sich ferner in humanitärer Hilfe für die Ukraine widerspiegeln, aber ebenso in der Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen.

Unternehmen sind jetzt gefordert, ihre Bedeutung als gesellschaftspolitische Akteure in stärkerem Masse zu reflektieren und als Corporate Citizen auch praktisch einzulösen.

Sie sind als Citoyens ein verantwortlicher Teil der Gesellschaft und tragen zu Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme bei. Firmen sind durchaus mächtige Spieler, auch im weltpolitischen Geschehen. Gerade jetzt können sie helfen, die Zukunft aktiv mitzugestalten.

*Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen. Er verfasste diese Gastbeitrag mit folgenden Co-Autoren:  Guido Palazzo ist Professor für Unternehmensethik an der Universität Lausanne. Markus Scholz ist Professor für Business Ethics & Corporate Governance an der FHWien. Peter Seele, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität in Lugano. Der Beitrag wurde erstmals bei Zeit OnlineExterner Link publiziert.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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