Bessere Gesundheit dient Angestellten und Betrieben
Gute Arbeitsbedingungen kommen den Angestellten zu Gute. Aber nicht nur: Von einer gezielten Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz können auch Betriebe profitieren, indem sie ihre Produktivität steigern und sich positiv von der Konkurrenz abheben.
Jeden Tag gehen in der Schweiz rund vier Millionen Menschen zur Arbeit. Am Arbeitsort verbringen sie durchschnittlich 8 Stunden und 20 Minuten. Das ist wesentlich mehr Zeit, als sie jeweils mit ihrer Familie oder mit Freizeitaktivitäten verbringen.
Die Arbeit nimmt in der Schweiz einen hohen Stellenwert ein. Und die Schweizer sind auch nicht für längere Ferien zu haben. Mitte März lehnten zwei Drittel der Stimmbürger eine Volksinitiative ab, welche «Sechs Wochen Ferien für alle» in der Verfassung verankern wollte. Zugleich klagen aber immer mehr Personen über Stress und Burnout.
Stress am Arbeitsplatz kann für die Beschäftigten schwerwiegende Folgen haben. Gemäss einer Studie, die zwischen 2008 und 2011 durchgeführt wurde, können die Folgen von Stress am Arbeitsplatz aber auch für die Betriebe teuer zu stehen kommen (Details siehe Kasten). Dazu kommen die Kosten für die Abwesenheit der Angestellten im Krankheitsfall.
Als Vorbeugung gegen Krankheiten, Stress und Unfälle am Arbeitsplatz hat sich eine steigende Zahl von Betrieben entschlossen, eine aktive Gesundheitsförderung zu betreiben.
Es gibt Potenzial
«In Schweizer Unternehmen hat das Bewusstsein in Bezug auf die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugenommen, aber es bleibt noch viel zu tun», sagt Thomas Mattig, Direktor der Gesundheitsförderung Schweiz.
Gemäss diesem Verband wird die Gesundheitsförderung besonders in kleineren Unternehmungen (bis 50 Angestellte) vernachlässigt. Diese Betriebe stellten 98 Prozent aller Betriebe in der Schweiz dar, welche 50 Prozent aller Arbeitnehmenden beschäftigen. Um auch kleine Unternehmungen bei der Gesundheitsförderung zu unterstützen, wurde im Raum Luzern ein Pilotprojekt lanciert.
Gegenüber anderen europäischen Ländern hinkt die Schweiz hinterher. Vor allem in Skandinavien und in Deutschland ist die betriebliche Gesundheitsförderung wesentlich weiter fortgeschritten. «In der Schweiz basiert die Gesundheitsförderung häufig noch auf Freiwilligkeit, in Deutschland findet beispielsweise eine gezielte Förderung mit öffentlichen Geldern statt. Daher gibt es mehr Möglichkeiten.»
Qualitätssiegel für gute Arbeitsplätze
Als wichtiges Instrument zur Optimierung der betrieblichen Rahmenbedingungen gibt es seit 2009 das Qualitätssiegel «Friendly Work Space». Mit diesem einzigartigen Label werden Unternehmen auszeichnet, die Massnahmen zur Gesundheitsförderung erfolgreich umsetzen und betriebliches Gesundheitsmanagement als Bestandteil des Unternehmensmanagements betrachten.
Es gehe nicht darum, aus dem Arbeitsort eine Wellness-Oase zu machen, betont Dominique Lötscher von Gesundheitsförderung Schweiz. «Es geht in erster Linie um eine Haltung der Unternehmungen.»
Bisher erhielten 31 Unternehmungen dieses Gütesiegel. Darunter befinden sich Grossunternehmungen wie Nestlé oder Die Schweizer Post, wodurch mehr als 100‘000 Personen von ausgezeichneten gesundheitsfördernden Massnahmen profitieren.
«In den Verteil- und Paketzentren wurden Massnahmen ergriffen, um das Heben von schweren Lasten zu erleichtern. Wir laden auch Physiotherapeuten zu unseren Treffen ein», sagt Post-Sprecher Mariano Masserini. «Bei Bürojobs schaut man vor allem auf die Ergonomie am Arbeitsplatz.»
Es sei aber schwierig, die Kosten der Gesundheitsförderung genau zu quantifizieren, hält Masserini fest. Die Post habe in den letzten Jahren Millionen von Franken investiert. Doch jeder Franken sei gut investiert und bringe ein Return on Investment – dank eines höheren Wohlbefindens. Das Qualitätssiegel «Friendly Work Space» bedeute die Krönung dieser Anstrengungen.
«Es ist sehr wichtig, bei diesen Prozessen die Mitarbeiter einzubeziehen und auf ihre Anliegen und Forderungen einzugehen», sagt wiederum Lötscher.
Weniger krank, mehr Ferien
Laut Lötscher gibt es eine Reihe von Beweggründen, die Unternehmen dazu bewegen, gesundheitsfördernde Massnahmen zu ergreifen. «Man will nach innen und aussen unter Beweis stellen, dass dem Betrieb die Gesundheit der Mitarbeitenden am Herzen liegt. Dies kann auch einen Pluspunkt darstellen, wenn es darum geht, neues Personal zu rekrutieren.»
Es gibt aber auch wirtschaftliche Überlegungen. Wenn sich die Arbeitnehmenden wohlfühlen, können sie bessere Leistungen bringen. Und sie zeigen mehr Innovationsfreude. «Auch krankheitsbedingte Absenzen gehen zurück», sagt Lötscher.
Gesundheitsschutz und Vorbeugung bei Unfällen (zwischen 2001 und 2010 war ein Rückgang von 75 Prozent zu verzeichnen) hätten zu einer erheblichen Reduktion von krankheitsbedingten Absenzen geführt, meint Rudolf Winzenried, Generaldirektor des Biscuit-Herstellers Kambly. «Alle Angestellten erhielten daher eine Woche mehr Ferien», hält er fest.
Kultur der Sicherheit
Auch auf Seiten der Gewerkschaften ist man überzeugt, dass die Integration von Gesundheitsschutz in die Unternehmensphilosophie, wie dies beim Gütesiegel «Friendly Work Space» der Fall ist, eine richtige Strategie darstellt.
Dario Mordasini, verantwortlich bei der Gewerkschaft Unia für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, kann jedenfalls eine gestiegene Sensibilität für seine Anliegen feststellen.
In den letzten 15 Jahren sei sehr viel für die Unfallverhütung getan worden, sagt er. «Eher wenig hat man für Probleme getan, die eine Folge von schweren physischen Arbeiten oder repetitiven Bewegungen sind, oder auch für psychische Probleme, die durch die Arbeit hervorgerufen wurden.»
«Es gibt viele schöne Initiativen, aber bei der Umsetzung hapert es noch», hält Suzanne Blanc von der Gewerkschaft Travail Suisse fest. Auch Mordasini ist der Meinung, dass es noch ein besseres Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familienleben braucht, genauso wie eine Erhöhung der Sicherheit am Arbeitsplatz.
Brigitta Danuser, Direktorin des Instituts für Arbeitsgesundheit von Lausanne, ist überzeugt, dass das Problem an der Wurzel angepackt werden muss: «Die Betriebe klagen über Krankheitsabsenzen, heizen aber gleichzeitig den Konkurrenzkampf zwischen den Angestellten an.»
Man müsse an den echten Ursachen für den Stress arbeiten, das heisst den Hebel bei Personalkonflikten und in der Organisation ansetzen.
Das Projekt SWiNG (Stressmanagement, Wirkung und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung) konnte zeigen, inwiefern sich betriebliche Gesundheitsförderung lohnt – für die Mitarbeitenden und für den Betrieb selber.
Durchgeführt wurde dieses Pilotprojekt zwischen 2008 und 2011 in acht Schweizer Grossbetrieben mit insgesamt über 5000 Mitarbeitenden.
Verantwortlich zeichneten Gesundheitsförderung Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Versicherungsverband SVV.
SWiNG hat aufgezeigt, dass Mitarbeitende mit einem besseren Verhältnis von Belastungen und Ressourcen gesünder und produktiver sind (bis zu 10% mehr Leistung) und weniger Absenzen generieren (bis zu 2,6 Tage weniger pro Jahr).
Darüber hinaus zeigte sich, dass ein ungünstiges Ressourcen-Belastungs-Verhältnis mit Rückenschmerzen, Schlafproblemen und Erschöpfung sowie einem erhöhten Konsum von Medikamenten und medizinischen Leistungen einhergeht.
Erstmals konnten die Gesamtkosten der Umsetzung eines Stresspräventionsprojektes von der Grössenordnung realistisch abgebildet werden. Die Stressinterventionen kosteten insgesamt 755 Franken pro Person über zweieinhalb Jahre verteilt.
Umgekehrt konnte die Arbeitsleistung verbessert werden und durch die Reduktionen der Absenzen Produktivitätsgewinne erreicht werden. So gerechnet beträgt der finanzielle Nutzen der SWiNG-Interventionen pro Mitarbeitenden im Durchschnitt 195 Franken pro Jahr.
Bei 25% der über 5000 an der Studie beteiligten Mitarbeitenden zeigten die getesteten Interventionen nachweislich Wirkung: Sie fühlten sich eindeutig aufgrund der SWiNG-Intervention weniger gestresst.
Die Schweizer Sektion der Europäischen Vereinigung für die Förderung der Gesundheit vergibt jedes Jahr Auszeichnungen «Gesundheit im Unternehmen» (dotiert mit 25‘000 Franken) für Betriebe, welche eine Verbesserung der Arbeitsplatzbedingungen durchsetzen.
Die Preisträger 2012 sind die Genossenschaft Migros Luzern, die Résidence Bellerive in Cortaillod (Kanton Neuenburg) und der Baukonzern Implenia.
Die Genossenschaft Migros Luzern setzt ein umfassendes Programm zur Stärkung des Rückens der Mitarbeitenden um.
Die Résidence Bellerive erhielt den Preis für ihre Massnahmen für Burnout-Prävention.
Implenia hat ihre Mitarbeitenden zum Thema Alkoholkonsum sensibilisiert.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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