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Was eine Schweizer Vertretung in Eritrea bringt

Die Schweiz soll mit diplomatischer Präsenz in Eritrea abklären, ob Asylsuchende aus dem Land an Leib und Leben gefährdet sind. So will es das Parlament. Exil-Eritreer bezweifeln, ob dadurch Klarheit über die Menschenrechtssituation vor Ort entsteht.

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Protestierende Eritreer vor dem UNO-Hauptsitz in Genf.
In der Schweiz lebende Eritreer protestieren vor dem europäischen UNO-Hauptsitz in Genf gegen eine Annäherung der Schweiz an das Regime Eritreas. Keystone

«Wer das Gleiche oder viel Schlimmeres wie ich erlebt hat, weiss, wie willkürlich das eritreische Regime mit seinen Bürgern umgeht», sagt Okbaab Tesfamariam gegenüber swissinfo.ch. Der 34-jährige Eritreer flüchtete vor zehn Jahren in die Schweiz. «Ich war in Eritrea im Militärcamp. Nach dem militärischen Training mussten wir auf den Feldern Baumwolle pflücken.» Eines Tages habe man ihm unterstellt, flüchten zu wollen. «Ich wurde drei Monate ins Gefängnis und vier Monate in ein Arbeitslager gesteckt», erzählt er. «Das Gefängnis bestand aus einem Blechcontainer, in dem mehrere Personen zusammengepfercht wurden. Die sanitären Anlagen waren miserabel. Die Benutzung der Toilette war nur zu bestimmten Zeiten möglich. Wer nachts Notdurft hatte, musste sich dort erleichtern, wo er war. Wer nicht zur Zufriedenheit der Aufseher arbeitete, bekam Stockhiebe.»

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Tesfamariam hat inzwischen in der Schweiz eine Berufslehre abschliessen können, arbeitet heute als Logistiker im Kulturgüter-Archiv der Stadt Zürich und engagiert sich beim eritreischen Medienbund Schweiz. Sein Erfahrungsbericht ist kein Einzelfall. Laut einem Bericht der UNO-UntersuchungskommissionExterner Link für Menschenrechtsverletzungen in Eritrea von 2016 wurden insbesondere in Gefängnissen und militärischen Trainingscamps systematisch Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt. Auch im Eritrea-Report 2017Externer Link von Amnesty International ist von «schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen» die Rede. Das UN-Flüchtlingskommissariat registriert jedes Jahr Tausende Eritreer, die ins Ausland flüchten. In der Schweiz haben rund 32’000 Personen – die Hälfte davon Frauen und Kinder – aus dem Land am Horn von Afrika einen Flüchtlingsstatus oder wurden vorläufig aufgenommen.

Hierzulande bezweifeln vor allem Rechtskonservative, ob die Situation in Eritrea so dramatisch sei. «Zuerst waren es ja Militärdienstverweigerer, die abhauen mussten, um zuhause nicht ins Gefängnis gesteckt zu werden. Inzwischen gelten bei uns Militärdienstverweigerer nicht mehr als Flüchtlinge, deshalb machen sie nun andere Gründe geltend», sagt Nationalrat Maximilian Reimann, Sprecher der SVP-Fraktion. «Wir wollen wissen, ob Eritrea wirklich Flüchtlinge produziert, also Menschen, die an Leib und Leben gefährdet sind, oder ob es Wirtschaftsflüchtlinge sind, also Menschen, die einfach in anderen Ländern höhere Einkommen generieren wollen.» 

«Wir werden kontrolliert»

Dies soll die Schweiz nun vor Ort klären mit dem Ziel, abgewiesene Asylsuchende nach Eritrea zurückschicken zu können. Der Bundesrat soll aber nicht eine eigene Botschaft eröffnen, wie es die Motion der SVP-FraktionExterner Link forderte, sondern indem sie die «diplomatische Präsenz in Eritrea stärkt».

Die Schweiz werde dabei schrittweise vorgehen, sagte Aussenminister Ignazio Cassis in der grossen Parlamentskammer. Erste Kontakte mit dem Präsidenten in Asmara seien geknüpft worden, neue Entwicklungsprogramme der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZAExterner Link aufgegleist worden. «Jetzt ist es an Eritrea, der Schweiz entgegenzukommen. Die Eröffnung einer Botschaft sollte der letzte, nicht der erste Schritt sein.»

Die Regierung werde alles unternehmen, um das Migrationsproblem zu entschärfen, antwortete Aussenminister Ignazio Cassis auf Fragen von SVP-Nationalräten. Das Problem sei aber, dass die Schweiz in Eritrea nichts unternehmen könne, womit das Regime nicht einverstanden sei. «Wir dürfen uns dort nicht frei bewegen. Wir werden begleitet und kontrolliert.»

Reist der Aussenminister nach Eritrea?

Im Dezember hatte sich der neue Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis im Parlament zum Thema geäussert. Er werde sich bei den Fachleuten in seinem Departement (EDA) erkundigen, ob er selbst nach Eritrea reisen solle, um Beziehungen aufzubauen. Sein Vorgänger hatte dies stets mit der Begründung abgelehnt, Eritrea sei nicht gesprächsbereit.

Das EDA erklärt auf Anfrage von swissinfo.ch, dass eine Reise des Aussenministers «noch nicht vorgesehen oder eingeplant ist».

Flüchtlinge dürfen nicht heimreisen

SVP-Nationalrat Reimann war selber noch nie in Eritrea, hat aber grosse Zweifel, ob «Tausende von Migranten aus diesem Land Asylrecht erhalten sollen». In der Begründung zu ihrer Motion bezeichnet es die SVP als «Tatsache, dass Tausende Eritreer unbehelligt ihr Land verlassen, hierzulande Asyl erhalten und dann ferienhalber ebenso unbehelligt wieder zurückkehren können…»

Laut Staatssekretariat für Migration (SEM) reisen tatsächlich manche in der Schweiz ansässigen Eritreer in ihr Herkunftsland. Beim grössten Teil dieser Urlaubsreisen handle es sich aber um Eritreer, die seit vielen Jahren in der Schweiz lebten und einen Aufenthaltsstatus C (Niederlassungsbewillgung) hätten oder eingebürgert seien. «Sie oder ihre Eltern flohen vor der eritreischen Unabhängigkeit 1991 vor der Verfolgung durch Äthiopien. Sie sind der [amtierenden] eritreischen Regierung gegenüber positiv eingestellt und haben meist keine Furcht vor Verfolgung», erklärt das SEM. 

Diese Heimatreisen seien auch aus Schweizer Sicht legal, weil die Betroffenen nicht als Flüchtlinge in der Schweiz lebten. Anerkannten Flüchtlingen ist dies hingegen untersagt. Und Heimatreisen von vorläufig aufgenommenen Personen (ohne Flüchtlingsstatus) würden in der Praxis nur sehr zurückhaltend und insbesondere bei schwerer Krankheit oder Tod von Familienangehörigen bewilligt. 

Tausende oder nur eine Handvoll?

Laut SEM kommt es vor, dass anerkannte Flüchtlinge nach Eritrea reisen. Wenn es Beweise dafür gebe, werde der Asyl- und Flüchtlingsstatus aberkannt.

Im letzten Jahr hat das SEM 231 Personen das Asyl widerrufen, weil diese sich unter den Schutz des Heimatstaats gestellt hatten. «Davon betrafen jedoch nur 4 Fälle Personen aus Eritrea.»  

Wie die SVP-Fraktion auf die Zahl «Tausende» kommt, erklärt Reimann so. «Wir sprechen von Tausenden von Eritreern, die unbehelligt ihr Land verlassen und ferienhalber ebenso unbehelligt wieder zurückkehren können. Wie viele effektiv von vorübergehender Rückkehr Gebrauch machen, wissen wir natürlich nicht.“

Im Unterschied zur UNO oder zu Amnesty International kamen einzelne Diplomaten aus EU-Staaten zum Schluss, dass es in Eritrea zwar keine Transparenz und kein unabhängiges Rechtssystem gebe, aber Berichte über Sklaverei, willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord nicht glaubwürdig seien.

Zeigt das Regime nur sein Sonntagsgesicht?

Eine private Delegation von Parlamentariern aus der Schweiz kehrte 2016 nach einer sechstägigen Reise mit teilweise positiven Eindrücken zurück. Ob die Delegation instrumentalisiert wurde und vor Ort nur das Sonntagsgesicht des Regimes zu sehen bekam, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Tesfamariam hat grosse Zweifel, ob Besucher auch mit regimekritischen Leuten sprechen können, geschweige denn freien Zugang zu Gefängnissen bekommen. Letzteres sei nicht einmal dem IKRK zugestanden worden. «Wenn wichtige Leute aus dem Ausland Eritrea besuchen, unternimmt das Regime alles, um sich im besten Licht zu zeigen. Begegnungen mit Einheimischen werden akribisch organisiert.» Viele Leute hätten Angst, die Wahrheit zu sagen. «Wer sich nicht positiv über die Regierung äussert, wer gegen den langjährigen obligatorischen Landesdienst aufbegehrt, wird sich nicht lange frei bewegen können», sagt der Sprecher des eritreischen Medienbund Schweiz.

Dass die Schweiz den Dialog mit dem Regime in Asmara verbessern wolle, sei nicht grundsätzlich falsch. «Aber ich verspreche mir nicht viel davon.» Das Land habe weder eine Verfassung, noch ein Rechtssystem, noch demokratische Institutionen, sondern einen Präsidenten, der seit 25 Jahren mit eiserner Faust dafür sorge, dass sich die Situation nicht verbessere, sagt Testfamariam.

Das Regime sei «vermutlich eine Diktatur», sagt zwar auch SVP-Nationalrat Reimann. «Aber auch in einer Diktatur sind nicht so viele Menschen an Leib und Leben gefährdet, dass sie im besten Mannesalter abhauen müssen. Das ist aus unserer Sicht derart suspekt, dass wir dem Bundesrat jetzt diesen Auftrag gegeben haben.»

«Willkürliche Festnahmen»

Die UNO-Sonderberichterstatterin für die Lage der Menschenrechte in Eritrea, Sheila B. Keetharuth, kritisiert die «willkürliche Festnahme und Inhaftierung von Hunderten von Menschen, die gegen die Einschränkungen der Regierung an einer Schule protestierten.» Sie ist besorgt wegen der «anhaltenden Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land». Dem Menschenrechtsrat in Genf erklärte KeetharuthExterner Link am Montag, dass Sicherheitsbeamte Hunderte von Menschen festgenommen hätten, nachdem der betagte Oppositionelle, Haji Musa Mohamednur, Anfang März in Haft gestorben sei.

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