«Rätoromanisch hat einen schönen Klang»
Die Schweizer Musikerin und Poetin Bibi Vaplan singt und schreibt auf Rätoromanisch. Porträt einer Frau, die sich radikal für ein Künstlerleben entschieden hat.
Es ist ein stürmischer Tag: Dicke Regentropfen fallen auf heissen Asphalt, dunkle Wolken verhangen den See und ein Lüftchen lässt das Windspiel bimmeln. Bibi Vaplan wohnt idyllisch: Inmitten historischer Bauten und Einfamilienhäuser, gegenüber der St. Michaels-Kirche, neben einer weiten Grünfläche, mit Blick auf den Zugersee… Wie hat es die Engadiner Musikerin, Autorin und Künstlerin an dieses Plätzchen verschlagen?
Reiner Zufall! Bei einem ihrer Konzerte wurde sie von ihren Kunden gefragt, wo sie wohne. Sie antwortete: «Ehrlich gesagt bin ich gerade auf der Suche nach einer Wohnung.» Das Ehepaar sagte: «Wir hätten da was!» Und so kommt es, dass sie in einem Studio eines Einfamilienhauses in der Stadt Zug lebt – obschon sie zum Kanton Zug keinerlei Beziehungen hatte.
Sie hat sich aber schnell eingelebt. Eine Nachbarin bringt gerade Vaplans Hund zurück, mit dem sie spazieren war. Es ist ein Zwergpudel, der nicht aussieht wie ein Pudel, weil Vaplan ihm das Fell kurz geschoren hat. Sie sagt einige zärtliche Worte auf Romanisch zu dem Tier, das ein paar Happen frisst und sich dann auf das Sofa verzieht.
Schweizerdeutsch von Touristen gelernt
«Mit dem Hund spreche ich immer Romanisch», erzählt Vaplan. Romanisch – oder besser gesagt das Idiom Vallader – ist Vaplans Muttersprache. Zwar spricht sie akzentfrei Deutsch, aber das hat sie als Fremdsprache erlernen müssen. «Ich habe als Kind zu Hause und in der Schule Rätoromanisch gesprochen, Fernsehen auf Italienisch geschaut, von den Kindern der Touristen Schweizerdeutsch gelernt und Mickey-Mouse-Hefte auf Deutsch gelesen.» Vaplan erzählt, die heutigen Kinder im Engadin würden viel häufiger Deutsch sprechen als sie damals, auch weil es als cooler gelte. «Das ist eine Entwicklung, die Rätoromanisch durchmacht, und das ist auch ok.»
Dieser Pragmatismus erstaunt – schliesslich singt Vaplan selbst ausschliesslich auf Rätoromanisch. Und dies, obwohl die Mehrheit ihres eher deutschsprachigen Publikums nicht versteht, was sie singt. Sie habe auch andere Sprachen ausprobiert, erklärt Vaplan, aber das habe sich falsch angefühlt. «Rätoromanisch hat einen schönen Klang, es erzählt eine Geschichte, auch wenn man es nicht versteht.» Und dann sagt sie, fast schon trotzig: «Es ist meine Muttersprache, warum sollte ich in einer anderen Sprache singen – bloss weil man dann die Chance hat, gross herauszukommen?»
Ein radikales Künstlerdasein
Apropos gross herauskommen: Von Musik, Lyrik oder Kunst zu leben, ist in der Schweiz nicht einfach. Bibi Vaplan tut es: «Ich bin eine fleissige Sekretärin und sehr kreativ im Umgang mit Finanzen.» Ihr Auto ist mit Sponsorennamen zugeklebt. Sie hat die Pensionskasse aufgelöst und lebt in einer Einzimmerwohnung. «Wenn ich mir meine Wohnung so anschaue, habe ich aber mehr, als ich mir wünschen könnte», sagt sie und deutet auf den Raum, in dem ein schwarzer Flügel steht und ein Paravent den Schlafbereich abtrennt.
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Wie klingt Rätoromanisch?
«Es ist kein Leben in Sicherheit, sondern im Vertrauen, dass immer etwas im richtigen Moment vom Himmel fällt», sagt Vaplan. Dass sie zum Beispiel im richtigen Moment einen Preis gewinnt oder ein gutes Engagement erhält. Vaplan hat sich radikal für ein Künstlerdasein entschieden und kann sich ein anderes Leben nicht mehr vorstellen. Nie wieder möchte sie als Angestellte arbeiten. «Ausser Soft-Eis verkaufen oder eine Autowasch-Anlage betreiben», sagt sie und scheint es trotz einem Lachen ernst zu meinen.
Von der Filmmusik über Gesang zur Lyrik
Musik, Sprache und Poesie spielten schon in Vaplans Kindheit eine grosse Rolle. Mit sieben Jahren begann sie Klavier zu spielen und schrieb ihre ersten Verslein – auf Deutsch, weil die Mutter fand, so würde sie die Fremdsprache lernen. Mit acht Jahren begann sie mit Saxophon, später probierte sie diverse Instrumente aus und studierte schliesslich klassisch Klavier am Konservatorium in Zürich.
Es folgten unstete Jahre: Vaplan unterrichtete Musik, begann zu singen, spielte Punk, später komponierte sie Filmmusik, zog zurück ins Bündnerland und arbeitete als Radiomoderatorin. Sie überlegte sich ernsthaft, die Musik hinzuschmeissen und nur noch für das Radio zu arbeiten. Das wäre ihrer Einschätzung nach ein bequemes Leben gewesen.
Schliesslich entschied sie sich für das Umgekehrte: Sie schmiss alles andere hin und konzentrierte sich ausschliesslich auf ihre Karriere als Sängerin mit dem Künstlernamen «Bibi Vaplan». Letztes Jahr hat sie auch einen Band mit literarischen Texten und Lyrik auf Rätoromanisch und Deutsch publiziert und wurde an die Solothurner Literaturtage geladen.
Rätoromanische Liedtexte
Bibi Vaplans Musik ist melancholisch-melodiös, Klaviertöne bilden ein stetes Hintergrundmuster zu den Popklängen. Die Texte handeln häufig von Schmerz, Angst und quälenden Gedanken, aber auch von der Leichtigkeit. Auf der Website von Bibi VaplanExterner Link sind die Texte mit deutscher und englischer Übersetzung publiziert. Ein Beispiel:
Merda Dreck
Quist es uschè da merd Das ist so dreckig
I nu vain mai plü bun Das wird nie mehr gut
I nu vain mai plü bun Das wird nie mehr gut
Eu’m chav plü chafuol aint la terra Ich vergrabe mich noch tiefer in die Erde
E sbrai da’m laschar in pos Und schreie: Lasst mich in Ruhe
E sbrai da’m laschar in pos Und schreie: Lasst mich in Ruhe
Eu less cha vo giajat davent Ich will, dass ihr weggeht
Vo eschat eir s-chifus Auch ihr stosst mich ab
Vo eschat eir s-chifus Auch ihr stosst mich ab
Be tü meis frar tü poust star Nur du, mein Bruder, kannst bleiben
Star per adüna dastrusch Du kannst für immer nahe sein
Star per adüna dastrusch Du kannst für immer nahe sein
Es gibt viele Sänger, die zuerst die Musik komponieren und dann den Text schreiben – oder umgekehrt. Nicht so Bibi Vaplan: Sie nimmt Sprachmemos auf oder macht sich Notizen, wann immer sie etwas inspiriert – und sei es mitten in der Nacht. Irgendwann sitzt sie dann ans Klavier und macht etwas daraus. «Text und Musik fliessen ineinander hinein», so drückt sie es aus. Es brauche Geduld, damit Musik und Text zueinander fänden.
In der Stille und mit dem Alleinsein komme bei ihr die Inspiration. «Wenn man sich dauernd mit Freunden und Ausgehen ablenkt, hat es keinen Platz dafür, dass etwas entsteht.» In der Stille und Langsamkeit entdeckt sie Dinge, die anderen im gehetzten Alltag verborgen bleiben. Während unseres Gesprächs ruft sie plötzlich aus und zeigt auf das Fenster. Draussen sitzt ein Vögelchen, den Schnabel so voller Zweige, dass es kaum fliegen kann. Bibi Vaplan lächelt.
Zurück in die Berge
Zurzeit arbeitet Vaplan an einem neuen Album, das im Februar herauskommen soll. Zudem schreibt sie an einem weiteren Lyrikband und einem Roman. Auf die Frage, ob es sonst noch etwas gebe, das sie im Leben unbedingt machen wolle, kramt sie aus ihrer Tasche ein Notizbuch hervor. «Ich habe alles aufgeschrieben, was ich im Leben noch machen möchte!», sagt sie und liest eine Liste vor: «Einmal Ferrari fahren. Einmal Lachen bis zum Umfallen. Zeit vergessen. Vogelhäuschen bauen. Violine spielen. Die Wüste durchqueren. Schneemann bauen – aber da steht ein Häklein, das habe ich bereits erledigt», sagt sie und lacht. «Hier, das musst du ganz grossschreiben: HEIRATEN!!!» Und dann zählt sie auch noch einen letzten Punkt auf: «Im Engadin leben.»
Es ziehe sie immer zurück in die Berge, sagt Vaplan, in die Leere und Stille. Es sei ihr Wunsch, wieder im Engadin zu leben – auch wenn es vielleicht erst in zehn, zwanzig Jahren sei. «Die Luft im Engadin flasht mich jedes Mal – ich würde sie blind erkennen!»
Bibi Vaplan
Geboren 1979 als Bianca Mayer in Scuol, wuchs im Engadin auf. Klavierstudium an der Musikhochschule Zürich (ZHdK), 2005 Lehrdiplom. Songpoetin, Komponistin für Film und Theater. 2009 Kulturförderpreis und 2014 Werkbeitrag des Kantons Graubünden. 2016 erste Buchpublikation: ‹E las culurs dals pleds / Und die Farben der Worte›.
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