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Binnenland und diskreter Riese der Schifffahrt

Luca Zanetti

90% des weltweiten Warenhandels wird über den Seeweg abgefertigt. Das Binnenland Schweiz steht in diesem wenig auskunftsbereiten Wirtschaftssektor dank der in Genf ansässigen Mediterranean Shipping Company (MSC) international an zweiter Stelle.

Lautlos, ja fast auf den Zehenspitzen, wurde die Schweiz im 21. Jahrhundert zur Drehscheibe des internationalen Handels mit Rohstoffen.

Die Erklärung lautet Genf, das fähig war, «ein Netz zur Verfügung zu stellen, das gleichzeitig Handelsgesellschaften, Banken, Versicherungen, Reedereien und Qualitätskontrolle vereinigt», äussert Bernard Morard, Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Genf, gegenüber swissinfo.ch.

Auf Platz zwei

Laut der von der UNCTAD herausgegebenen Zeitschrift über Transport auf dem Seeweg 2011 verfügen Dänemark, die Schweiz und Frankreich weltweit über die grösste Betriebskapazität von Containerschiffen.

«Ein Grossteil der Schweizer Präsenz ist der Firma MSC mit Standort Genf zu verdanken», bestätigt der Vorsteher der Abteilung für Handelsförderung der UNCTAD, Jan Hoffmann.

Mit einer Flotte von 422 Schiffen beherrschte die MSC im Januar 2011 10,8% des internationalen Handels auf dem Seeweg. (Dies entspricht 1,76 Mio Teu (Twenty-foot Equivalent Unit – dem Mass für die Ladekapazität eines Containers von 20 Fuss.).

Nur die dänische Reederei Maesk Line mit einem Marktanteil von 11,2% (gefolgt von der französischen CMA CGM Group mit 6,6%) übertrifft die MSC.

Laut der UNCTAD wickeln 20 Firmen zusammen 70% des internationalen Handels auf dem Seeweg ab.

Der Riese MSC

Auskünfte wollt die MSC gegenüber swissinfo.ch keine machen:»Als Privatunternehmen veröffentlichen wir keine Finanzergebnisse», hiess es.

Die Financial Times beschrieb die MSC als Unternehmergruppe, «die nie Zahlenangaben veröffentlicht hat und deren Führungskräfte Interviews regelmässig verweigern.»


Dieselbe Zeitung bezeichnete die MSC auch als Unternehmen, das «organisches», das heisst innerhalb der Firma erreichbares Wachstum, Firmenzusammenschlüssen oder -Ankäufen vorzieht. Im auf der Webseite der Firma veröffentlichten Kurzprofil bestätigt MSC diesen Sachverhalt.

Das Vermögen des italienischen Gründers Gianluigi Aponte wird auf 2,8 Mrd. Dollar (2,747 Mrd. Franken) geschätzt. 2008 stand er auf Platz 412 der Liste von Forbes.

Eine bereits pensionierte schweizerische Führungskraft, die 30 Jahre im Shipping tätig war, zeichnet unter Wahrung der Anonymität das Profil der MSC wie folgt.

«2011 war der Slogan dieses Unternehmens: ‹Erde bedeckt einen Drittel unseres Planeten… wir bedecken den Rest.› Ich glaube, das sagt viel über die Geschäftsphilosophie der MSC aus.

Aponte begann sein Vermögen mit einem Kredit für den Kauf eines deutschen Schiffs aus zweiter Hand namens Patricia. Ein Jahr darauf erwarb er ein zweites Schiff, dem er den Namen seiner Gattin Rafaela gab. Die ersten grossen Geschäfte machte die MSC zwischen dem Mittelmeer und Somalia,» fügt er hinzu.

Ein hermetischer Clan

Emmanuel Fragnière, Professor an der Abteilung de Hautes Etudes Commerciales der Universität Genf (HEC), weist darauf hin, dass der internationale Handel für die Schweiz seit vielen Jahren wichtig sei.

Nach dem  Zweiten Weltkrieg beteiligte sich die Schweiz mit dem Getreidehandel voll am Handel mit Rohstoffen. «Es war jedoch der Zusammenbruch der Sowjetunion, der Genf zu einer Drehscheibe dieses Handels machte. China mit seinen riesigen Importen ist der Urheber des gegenwärtigen Booms.»

Trotz der strategischen Wichtigkeit meiden Schweizer Reedereien das Rampenlicht. Swiss Marine, Riverlake und Shipping Assets Managment (SAM) sowie andere Marktteilnehmer sind ebenso wenig zu Auskünften gegenüber swissinfo.ch bereit.

«Dies hat mit der Kultur des Kaufmanns zu tun, d.h. mit Diskretion. In früheren Zeiten durfte ein Kaufmann nie Auskunft über Preise geben, wenn er seine Wettbewerbsfähigkeit bewahren wollte», erläutert Fragnière.

Aufgrund dieses Hermetismus ist es sogar unmöglich, genau zu wissen, wie viele Firmen in Genf sich diesem Geschäft widmen, denn es gibt Unternehmen, die verschiedenste Dienstleistungen, unter anderen Shipping, anbieten,» erklärt der Genfer Professor.

«In der Schweiz gibt es dazu keine offiziellen Statistiken, obwohl dies eigentlich unentbehrlich wäre. Das HEC versucht, diese Lücke mit Forschung zu schliessen,» bemerkt er abschliessend.

Zeiten des Wandels

Bis zum Ausbruch der Krise bestätigten die verfügbaren Zahlen diesen Wirtschaftssektor weltweit als Goldgrube. Laut Angaben der UNCTAD nahm der Handel auf Containerschiffen zwischen 2001 – 2008 von 2 auf 4 Billionen Dollar zu.

Seit der Abnahme um 4% 2009 befindet sich dieser noch immer in einem Anpassungsprozess.

Bernard Morard bestätigt, dass der weltweite Handel allgemein eine geringere Aktivität verzeichnet und Finanzierungsschwierigkeiten bestehen. Gleichzeitig entstand eine geographische Verlagerung dieses Handels.

Im vergangenen Mai gab der Riese des Rohstoffhandels Trafigura bekannt, er werde einen Teil seines Genfer Betriebs nach Singapur verlegen.

Die Sprecherin der Firma Victoria Dix bestätigte diese Information gegenüber swissinf.ch und erklärte, das Unternehmen sei zu sehr auf Europa zentriert gewesen. Da sich die Verbraucherzentren nach Asien verlegt hätten, suche Trafigura eine grössere Nähe zu den Kunden.

Denselben strategischen Entscheid könnten auch andere Firmen treffen; denn die kommenden Zeiten dürften härter werden.

«Sollte sich die befürchtete Rezession in der nördlichen Hemisphäre mit Auswirkungen auf die nächsten 20 Jahre bestätigen, so könnte der Handel auf dem Seeweg beeinträchtigt werden,» präzisiert Jan Hoffmann.

Der Experte der UNCTAD glaubt aber auch, dass der Klimawandel ein Verbündeter dieses Wirtschaftssektors sein könnte, da Handel auf dem Seeweg weniger Umweltverschmutzung verursacht als Transport auf dem Land- oder Luftweg.

1915: Die Société Générale de Surveillance (SGS) lässt sich in der Schweiz nieder, einem dank seiner politischen Neutralität, grosszügigen Kreditbedingungen und unübertrefflichen Steuervergünstigungen für Firmen attraktiven Land.

1950 – 1955:
Die nordamerikanischen Getreideproduzenten Cargill und Ned Cook eröffnen Niederlassungen und verstärken ihren internationalen Handel von Genf aus.

1974 – 1975: Erdölkrise. Die Genfer Banken vergeben sogenannte Transaktions-Kredite, um inmitten des Chaos weiterhin die Finanzierung des internationalen Handelsaustausches zu garantieren.

1970: Die Mediteranean Shipping Company (MSC) wählt Genf zu ihrem Standort.

1989 – 1990: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstehen unzählige Handelsfirmen für Rohstoffe, die sich in Genf niederlassen.

2003: China beginnt mit dem massivem Import von Waren aller Art. Genf verfügt über das für den Rohstoffhandel Richtung Asien nötige Netz von Dienstleistungen.

2006: In Genf fehlen entsprechende Fachleute. Die Universität sowie die Vereinigung für Handel und Schiffahrt (GTSA) bieten einen Master für internationalen Handel an. Wegen der grossen Nachfrage wird dieses Masterstudium entlohnt.

Reedereien widmen sich dem Warentransport. Weltweit werden gegenwärtig 90% des Gütervolumens (Tonnen) und 80% des Nominalwerts (Dollar) auf dem Seeweg transportiert.

Die GTSA schätzt, dass in Genf 22% des internationalen Handels mit Rohstoffen auf dem Seeweg vermittelt werden.

Die 1970 gegründete Mediterranean Shipping Company (MSC) ist der Eckpfeiler des Schweizer Shipping.

1985 besass sie 20 Schiffe; 15 Jahre später waren es 125; und heute umfasst die Flotte 462 ( 40 mehr als die UNCTAD anfangs 2011 berechnete).

Der Grossteil der durch Genfer Firmen vermittelten und transportierten Güter betreten nie Schweizer Boden.

«Der Standort dieser Firmen hat weniger mit der Verlagerung der Güter und mehr mit dem allgemeinen Geschäftsklima und der Kundennähe zu tun», erklärt Jan Hoffmann von der UNCTAD.

Kein Experte wagt es, Zahlen über den Handelsumsatz dieser Firmen in der Schweiz anzugeben.

Die dänische Reederei Maersk Line, die 11,2% des Welthandels beherrscht, fakturierte 2011 25,821 Mrd. Dollar ( 25,332 Mrd. Franken).

Bei einer Hochrechnung und unter Berücksichtigung der von der UNCTAD berechneten Marktanteile der Reedereien müsste sich die jährliche Fakturation der MSC auf 24,9 Mrd. Dollar ( 24,429 Mrd. Franken) belaufen.

(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

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