Spektakuläres neues Museum im Tal der Schweizer Uhrmacherkunst
Audemars Piguet hat in Le Brassus, wo die Uhrenmarke vor 150 Jahren gegründet wurde, jüngst ein neues Werkstatt-Museum eingeweiht. Das Gebäude in Form einer Uhrwerk-Spirale wurde vom bekannten dänischen Architekten Bjarke Ingels entworfen.
Eine Reise ins Vallée de Joux ist immer ein unvergessliches Erlebnis, auch wenn man schon mehrmals dort war. Mit ihren Weilern aus einer anderen Zeit entlang dem See, mit ihren Weiden und den mit Nadelbäumen bewachsenen Hügeln am Horizont, bietet diese Region dem Besucher, der Besucherin einen garantierten Szenenwechsel.
Eingebettet auf über 1000 Metern Höhe, im äussersten Nordwesten des Kantons Waadt, ist dieses abgeschlossene Tal nicht nur ein bevorzugter Ort für Leute, die Natur und reine Luft schätzen. Das Tal ist vor allem bekannt als Hochburg der Produktion von Schweizer Uhren mit besonders raffinierter Technik.
So renommierte Marken wie Jaeger-LeCoultre, Breguet, Blancpain und Patek Philippe produzieren und montieren hier noch heute ihre Zeitmesser. «Wir gehören zu den fünf dynamischsten Regionen der Schweiz», sagt Eric Duruz, der für die Wirtschaftsförderung des Vallée de Joux zuständig ist, stolz.
«Mehr als 95% der in unserer Region produzierten Produkte werden in die ganze Welt exportiert. Heute haben wir hier fast 8000 Arbeitsplätze, bei 7000 Einwohnern und Einwohnerinnen, einschliesslich Kinder und Rentner», sagt er weiter.
Im Club der Milliardäre
In seinen historischen Gebäuden in Le Brassus, am westlichen Ende des Tals gelegen, symbolisiert Audemars Piguet allein den unglaublichen wirtschaftlichen Erfolg des Tals. 1875 gegründet, hat das Unternehmen, das sich als eines der wenigen Uhrmacherhäuser der Region noch in Familienbesitz befindet, seinen Umsatz innerhalb von wenigen Jahren fast verdoppelt.
So ist Audemars Piguet kürzlich vorgestossen zum exklusiven Club der «Swiss Made»-Uhrenmarken, die einen Jahresumsatz von über einer Milliarde Franken erzielen können. Im Jahr 2019 produzierte die Marke aus Le Brassus mehr als 40’000 feine Zeitmesser zu einem Durchschnittspreis von 35’000 Franken.
Für das laufende Geschäftsjahr hat Audemars Piguet seine Ambitionen aber nach unten revidiert und plant, in seinen Werkstätten zwischen 35’000 und 36’000 Modelle zu produzieren. Wegen der Gesundheitsmassnahmen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise war die gesamte Produktion in diesem Frühjahr für zwei Monate eingestellt worden.
«Die Nachfrage nach unseren Produkten ist nach wie vor gross. Leider mussten wir Entscheidungen in Bezug auf die Produktion treffen, weil es uns an Lagerbeständen mangelt. Seitdem die Einschränkungen wieder aufgehoben worden sind, melden sich viele Händler bei mir, um mir zu sagen, sie seien ausverkauft», sagt François-Henry Bennahmias, CEO von Audemars Piguet.
Zudem dürfte die gesamte Schweizer Uhrenindustrie heuer mit einem erwarteten Rückgang der Uhrenexporte um mehr als 25% eines der schlechtesten Geschäftsjahre ihrer Geschichte erleben. «Unter all den Krisen, welche die Branche schon erlebt hat, ist dies die Goldmedaille. Aber wir müssen es akzeptieren», hält François-Henry Bennahmias fest.
Ein Däne in Le Brassus
Unter diesen Gegebenheiten hat das Waadtländer Unternehmen jüngst in Le Brassus sein neues Museum eröffnet, das direkt an das ursprüngliche Manufakturgebäude angrenzt. Wie viel der Neubau kostete, wurde nicht bekannt gemacht.
Der Schrein allein ist einen Umweg wert. Der 2500 Quadratmeter grosse Pavillon, der die Kollektionen der Marke beherbergt, ist wie eine Spirale gestaltet, die einer Uhrenfeder ähnelt. Eine technische Meisterleistung: Das begrünte Dach ruht ganz auf Erkern, die das Fehlen von Pfeilern ausgleichen.
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Die prachtvollen Bauten der Schweizer Uhrenhersteller
Der Entwurf stammt vom Büro des dänischen Architekten Bjarke Ingels, der als Wunderkind der Weltarchitektur gilt und dem wir unter anderem den Bau eines der Türme des neuen World Trade Centers in New York City, des Google-Hauptsitzes im Silicon Valley oder eines Kraftwerks in Kopenhagen mit einer Skipiste auf dem Dach verdanken.
Das Projekt von Bjarke Ingels, das 2013 beim Wettbewerb der Marke eingereicht wurde, hatte am Anfang nur wenig Aussicht auf Erfolg. Das kreisförmige, fast flache Dach des Museums passte nicht in die lokalen städtebaulichen Vorschriften. «Die Schweizer Bauvorschriften sind, gelinde gesagt, sehr streng», sagte Ingels Anfang dieses Jahres gegenüber der New York Times. «Mir wurde gesagt, dass ein Gebäude hier wie andere Gebäude aussehen muss, das heisst, es muss ein Satteldach haben.»
Erfolgreiche Integration in die Landschaft
Bjarke Ingels gelang es jedoch, nicht nur die Leitung von Audemars Piguet zu überzeugen, sondern auch die lokalen Behörden. Es muss gesagt werden, dass die Spirale des dänischen Architekten bewundernswert in die Landschaft passt und auch einen Segen für die touristische Entwicklung des Tals darstellt.
«Dieses Museum ist eine perfekte Ergänzung zum Espace-Horloger, der etwas weiter talabwärts liegt, sowie zum Jaeger-Le-Coultre-Museum, das seit diesem Sommer ebenfalls für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Es sollte einen Qualitätstourismus aus der Schweiz und dem Ausland anziehen, der sich perfekt in das Tourismusentwicklungsprojekt der Region einfügt», betont Eric Duruz.
Bei zwei Führungen pro Tag rechnet Audemars Piguet mit fast 5000 Besuchern pro Jahr, auch wenn deren Zahl aufgrund der geltenden Gesundheitsvorschriften vorerst begrenzt ist. Das Uhrenatelier-Museum, das am 25. Juni seine Pforten öffnete, ist sozusagen ein Opfer seines eigenen Erfolgs – und schon bis September ausverkauft.
Subtile Selbstdarstellung
Im Inneren tauchen die Glücklichen, die eine Eintrittskarte für 30 Franken erhalten haben, gleich in die Geschichte der ersten Uhrmacherfamilien des Vallée de Joux ein. Ein didaktischer Teil ermöglicht es ihnen dann, sich mit der Funktionsweise von mechanischen Uhrwerken und deren wichtigsten Komponenten vertraut zu machen: Unruhspirale, Anker, Hemmungsrad, Tourbillon.
Danach betritt man die Welt von Audemars Piguet mit der Präsentation von 300 Modellen der Marke. Eines der wichtigsten Meisterwerke der Ausstellung ist die Taschenuhr Universelle von 1899. Sie besteht aus 1168 Teilen und bietet mehr als 20 Komplikationen, darunter den ewigen Kalender, Minutenrepetition mit Glockenschlag, grosse und kleine Sonnerie, Chronograph mit Schleppzeiger usw.
Die Selbstzelebrierung, die in einem Museum dieser Art unvermeidlich ist, wird mit Geschick und Subtilität gemeistert. Natürlich wird die Geschichte von Audemars Piguet und seiner «Vorläufer»-Modelle – allen voran die Royal Oak, die in hohem Masse mit dem Erfolg der Marke in Verbindung gebracht wird – sorgfältig beleuchtet, aber immer im Zusammenhang mit der Entwicklung der Uhrmacherei im Vallée de Joux insgesamt.
Bis 2021 soll ein Hotel folgen
Hinter dem Museum steckt nicht bloss eine direkte kommerzielle Absicht, sondern der Wunsch, das lokale Know-how zu verbreiten und einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. So finden die Besucherinnen und Besucher am Ausgang des Museums auch keinen Laden.
«Wir hoffen, dass alle, von den erfahrensten Uhrensammlern bis hin zu Architekturliebhaberinnen und Touristen, die unsere schöne Region entdecken, egal woher sie kommen und wie alt sie sind, etwas Überraschendes und Unvergessliches erleben werden», sagt Sébastien Vivas, der Kurator des Museums.
Während der ganzen Führung haben die Besucher nicht nur einen atemberaubenden Blick auf die saftig grünen Wiesen des Tals, sondern auch auf rund ein Dutzend Uhrmacher, die in der an den Ausstellungsraum angrenzen Grands-Complications-Werkstatt arbeiten.
Es mag nicht einfach gewesen sein, diese Spezialisten für hochkomplizierte Uhren davon zu überzeugen, unter dem Blick von Publikum zu arbeiten, aber dieses Schaufenster der Uhrmacherkunst verleiht den meist trägen Objekten ohne Zweifel eine menschlichere Note; die Ausstellung enthält auch nur wenige erklärende Tafeln und interaktive Bildschirme.
Audemars Piguet hat noch andere Immobilienprojekte. Neben dem Museum sind Arbeiter noch auf dem Gelände des neuen Hôtel des Horlogers im Einsatz, das 2021 eröffnet werden soll. Das auch vom Büro von Bjarke Ingels entworfene Gebäude ist konzipiert als ein Gewirr von sechs halbgeschossigen Rampen. Es wird über 50 Zimmer, ein Restaurant, Seminarräume, eine Bar sowie einen Wellnessbereich verfügen. Damit soll das bezaubernde Tal der Schweizer Uhrmacher im Rest der Welt noch etwas bekannter gemacht werden.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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