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Japanische Blockchain-Startups entdecken die neutrale Schweiz

Takashi Oka, Gründer von Overlay
Gründer Takashi Oka erklärt das Overlay-Projekt am Blockchain-Zentrum der Universität Zürich, wo er 2020 die Blockchain Professional Training Summer School der Universität absolvierte. swissinfo.ch

Die nächste Generation des Blockchain-gestützten Internets, bekannt als Web3, ist ein Wachstumsbereich für Startups. Im Rennen um die angesagtesten neuen Unternehmen steht die Schweiz in starkem Wettbewerb mit Wirtschaftsstandorten wie Dubai und Singapur. Wir haben zwei japanische Startups gefragt, warum sie sich für die Schweiz entschieden haben.

Datenschutz und Rechenschaftspflicht: Das will die Firma Overlay kombinieren. Das von Takashi Oka gegründete Unternehmen unterstützt die Schaffung von so genannten Decentralized Autonomous Organizations (DAO). Dieses digitale System ermöglicht Gruppen von Personen, die verstreut auf der Welt leben, gemeinsam ein Unternehmen zu kontrollieren.

Eine DAO ist eine Organisation, die im Internet existiert. Um ihre Aktivitäten zu finanzieren, gibt sie digitale Token heraus, die Kryptowährungen ähneln. Käuferinnen und Käufer von Token werden so Mitglieder der Organisation.

Menschen auf der ganzen Welt schaffen durch solche Token eine Wirtschaftszone, die sich durch eine unabhängige dezentrale Verwaltungsform auszeichnet. Diese ersetzt die auf die oberste Führungsebene konzentrierten Entscheidungsbefugnisse von Management und Verwaltungsrat.

Wer eine DAO gründet, muss die Identität der Personen überprüfen, die investiert haben, und eine Due Diligence bei Projekten durchführen. Um die Mittel zu beschaffen, ist es üblich, Token auf einer dezentralisierten Börse (DEX) auszugeben. Doch die Anonymität solcher DEX ist eine Hürde, die es schwierig macht, betrügerische Projekte und die Verbreitung von Gerüchten zu verhindern.

Deshalb nutzt Overlay eine Identity-Management-Plattform der Concordium-Blockchain mit Hauptsitz in Zug, um Identitäten zu überprüfen und gleichzeitig die Anonymität zu wahren. «Ich möchte ein Umfeld schaffen, in dem sich Menschen als Investition und nicht als Glücksspiel an DAO beteiligen können“, sagt Oka gegenüber swissinfo.ch.

Overlay wurde Ende August im Schweizer Kanton Zug registriert. Warum hat Oka die Schweiz für den Firmensitz gewählt? «DAOs werden als grenzenlose Netzwerke charakterisiert, was gut zum schweizerischen Merkmal der Neutralität passt», sagt er.

Oka hat auch Singapur in Betracht gezogen, weil das Leben dort einfacher sei. Er entschied sich aber dagegen, weil «die Vorschriften im zentralisierten Land immer strenger werden».

Während des Gründungsprozesses bemerkte Oka zudem einige weitere Vorteile der Schweiz: Als er Schweizer Investorinnen und Investoren das Projekt erklärte, verstanden diese sofort, wovon er sprach, und stellten ihm vernünftige Fragen.

«In Japan hätte ich erst erklären müssen, was Blockchain ist», sagt er. «In der Schweiz sind die Investorinnen und Investoren sehr gut informiert, und die Kommunikation mit ihnen funktioniert reibungslos. Zudem waren sie bereit, Steuerzahlungen in virtuellen Währungen zu akzeptieren.»

Stadt und Natur nah beieinander

Mai Fujimoto gründete im Mai 2021 in Luzern ihre Firma Ryodan Systems. Bei der Standortwahl für den Firmensitz prüfte sie auch Kantone wie Zürich und Zug. Schliesslich fiel ihre Wahl auf Luzern, ein urbanes Zentrum, umgeben von Seen und Bergen.

«Ich wollte nicht nur eine Firma auf Papier starten. Ich wollte einen schönen Ort dafür finden. Es gibt viel Natur zu erleben, und der See oder eine Wanderung in den Bergen sorgen für Ablenkung», sagt Fujimoto, die in Japan als «Miss Bitcoin» bekanntgeworden ist.

Mai Fujimoto, Gründerin von Ryodan Systems
Mai Fujimoto, Mitbegründerin von Ryodan Systems, wählte Luzern als Firmensitz, nachdem sie die Stadt mit anderen Orten in der Schweiz verglichen hatte. swissinfo.ch

Ryodan Systems verwendet die so genannte Zero Knowledge (ZK) Rollup-Technologie, die Massentransaktionen der Kryptowährung Ethereum ermöglicht. Mit zunehmendem Transaktionsvolumen staut sich die riesige Datenmenge auf der Ethereum-Blockchain. Das führt zu Verzögerungen und höheren Transaktionsgebühren. Um dieses Skalierbarkeitsproblem zu lösen, werden einige Transaktionen netzunabhängig verarbeitet und in späteren Batches in die Blockchain eingegeben.

Die ZK-Rollup-Technologie unterstützt diesen Beschleunigungsprozess, um sicherzustellen, dass die Privatsphäre gewahrt bleibt. Transaktionen können reibungslos durchgeführt werden, ohne private Daten wie etwa das Kryptowährungs-Guthaben zu veröffentlichen.

Auch für Fujimoto war die Neutralität der Schweiz ein gewichtiger Grund, hier ihre Zelte aufzuschlagen. Unter anderem auch darum, weil sich die Weltlage von Tag zu Tag ändert, wie zum Beispiel der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China.

«Das Branding als neutrales Schweizer Projekt ist sehr effektiv», sagt die Gründerin. Zudem passten die föderale politische Struktur und die direkte Demokratie der Schweiz gut zur dezentralen Philosophie der Blockchain.

Und: Ein zentraler europäischer Standort ermögliche auch einen einfachen Zugang zu Blockchain-Veranstaltungen in Ländern wie Frankreich und den Niederlanden, sagt Fujimoto.

Striktere Regeln in Japan

Es gibt zwei Hauptgründe, warum die beiden beschlossen haben, sich ausserhalb Japans niederzulassen. Da ist zunächst das Steuersystem: In Japan werden bis zu 55% Steuern auf virtuelle Währungstransaktionen und die Umrechnung in Yen erhoben. Und Unternehmen werden jährlich auf den Marktwert ihrer tokenisierten Vermögenswerte besteuert (die japanische Regierung erwägt, diese Regeln zu überarbeiten).

Auch die Regulierung ist in Japan sehr streng. Der Erwerb der für die Ausgabe von Token erforderlichen Lizenz ist eine hohe Hürde für Startups, die keine grossen Finanzinstitute sind. Und das 2017 eingeführte japanische Kryptogesetz legt einen so starken Schwerpunkt auf den Schutz der Kundschaft, dass es für Startups schwierig ist, zu wachsen.

Die Schweiz führte 2021 ihr Blockchain-Gesetz mit dem Ziel ein, ein führendes globales Zentrum für die Blockchain-Industrie zu werden. Es ermöglicht die Tokenisierung nicht nur von Finanztransaktionen, sondern auch von Wertpapieren, von Unternehmensanteilen bis hin zu Kunstwerken. «Bequem für uns ist auch die Tatsache, dass in Zug und Lugano Steuern und Rechnungen öffentlicher Dienste mit Kryptowährungen bezahlt werden können», sagt Fujimoto.

Die Schweiz sei auf Finanztechnologie ausgerichtet, und sie hätten viele Fintech-orientierte Leute getroffen, die im Web3-Sektor aktiv seien, sagen Oka und Fujimoto.

Inspiration für die Schweiz

Die Schweiz profitiert davon, Startups aus verschiedenen Teilen der Welt anzuziehen. Sie positioniert sich als bevorzugter globaler Hub für den Blockchain-Sektor und hat sich selbstbewusst das Label «Crypto Nation» verpasst.

«95% der Blockchain-Unternehmen in der Schweiz sind im Finanzdienstleistungsbereich tätig», sagt Emi Lorincz, Präsidentin der Crypto Valley Association. Zudem sind einige Spiele- und E-Sport-Unternehmen hier ansässig. Aber nur eine Handvoll Unternehmen arbeiten an Web3-Anwendungen.

„Der Schweiz fehlt es an qualifizierten Entwicklerinnen und Entwicklern“, sagt Lorincz. «Wenn sich Startup-Unternehmen aus industrialisierten Ländern wie Japan hier ansiedeln, ist das für die Schweiz vorteilhaft, weil es der Blockchain-Industrie zu mehr Vielfalt verhilft.»

Editiert von Matthew Allen, Übertragung aus dem Japanischen und Englischen: Christian Raaflaub

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Gastgeber/Gastgeberin Matthew Allen

Was bringt der Schweiz die Ansiedlung von Kryptounternehmen?

Sollte die Schweiz mit Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten konkurrieren, um das Kryptogeschäft anzulocken?

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Übertragung aus dem Japanischen und Englischen: Christian Raaflaub

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