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«Ich will ein modernes Bild der Schweiz vermitteln»

Christine Schraner Burgener vertritt die Schweiz in Berlin. Keystone

Seit 100 Tagen ist Christine Schraner Burgener (52) die Botschafterin der Schweiz in Berlin. Die Nachfolgerin von Tim Guldimann hat zuvor, zunächst im Job-Sharing mit ihrem Mann, die Vertretung in Bangkok geleitet. Ihren Dienst in Deutschland tritt die Juristin in turbulenten Zeiten an.

swissinfo.ch: Heute ist ein kalter und regnerischer Tag in Berlin. Vermissen Sie Thailand bereits?

Christine Schraner: Ehrlich gesagt, nein. Mein Motto ist immer: 100 Prozent anwesend zu sein, wo ich bin und nicht zurück zu schauen, sondern vorwärts. Das muss ich auch in meinem Beruf. Ich stelle mir immer vor, dass ich an dem Ort, an dem ich bin, ewig bleiben werde. Das hat bisher gut funktioniert.

swissinfo.ch: Hatten Sie bereits Gelegenheit, Berlin zu erkunden?

C.S.: Ich reise derzeit viel durch Deutschland, um mich zu informieren und vernetzen. Wenn ich in Berlin bin, entdecke ich die verschiedenen Bezirke, am liebsten mit dem Velo. Ich mag die Stadt sehr und geniesse es, in Buchläden zu gehen oder die Philharmonie zu besuchen.

swissinfo.ch:Die Berliner gelten als sehr ruppig, ganz anders als die Thailänder.

C.S.: (lacht) Das ist schon eine Umstellung. Ich finde das jedoch erfrischend, die Menschen hier haben einen ganz eigenen Humor. Generell sind die Deutschen in der Kommunikation ja sehr viel direkter als die Schweizer. Das hat aber durchaus Vorteile. Man weiss gleich, woran man ist.

swissinfo.ch:Direkt neben der Botschaft regiert Angela Merkel im Kanzleramt. Was ist ihr Eindruck? 

C.S: Als die Kanzlerin im September in Bern war, habe ich sie als Teil der Schweizer Delegation einen Tag lang begleitet. Das war ein toller Einstieg. Insofern kennen wir uns bereits. Ich schätze sie sehr.

Christine Schraner Burgener

Geboren am 25.09.1963 in Meiringen, Kanton Bern. Ihre ersten zehn Lebensjahre verbrachte sie in Tokio, wo ihr Vater für die Swissair arbeitete.

1973 kehrte sie in die Schweiz zurück und studierte von 1983 bis 1988 Rechtswissenschaft in Zürich

1991 trat sie in den diplomatischen Dienst im EDA ein.

Von 1993 bis 1997 war sie stellvertretende Chefin in der Sektion Menschenrechte. Anschliessend teilte sie sich in Dublin von 1997 bis 2001 die Stelle des Botschaftsrates mit ihrem Mann. Von 2001 bis 2003 war sie im EDA Chefin der Sektion Menschenrechtspolitik.

2009 wurde Schraner Burgener Schweizer Botschafterin in Bangkok, von 2009 bis 2012 erneut gemeinsam mit ihrem Mann. Christine Schraner war für Thailand zuständig, er für Kambodscha, Laos und Myanmar. Die beiden praktizierten damit das erste Jobsharing auf Botschafterebene.

Christine Schraner Burgener hat zwei Kinder (16 und 19). Sie ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (SP).

(Quelle: EDA)

swissinfo.ch:Sie haben Ihr Amt in turbulenten Zeiten angetreten: Die Flüchtlingskrise und die Terroranschläge in Paris treiben das Kanzleramt um und die Menschen auf die Strasse. Wie erleben Sie die Stimmung in Deutschland?

C.S.: Es sind wirklich spannende Wochen. Im Kanzleramt brennt häufig bis tief in die Nacht das Licht. Um die Schweizer Botschaft herum fanden ständig Demonstrationen statt, weil auch der Bundestag in direkter Nachbarschaft liegt. Es hat mich erstaunt, wie häufig in Berlin im Vergleich zur Schweiz demonstriert wird. Vermutlich liegt das auch daran, dass wir in der direkten Demokratie andere Wege haben, unsere Stimme zu Gehör zu bringen.

swissinfo.ch:Die Berliner Behörden sind für die chaotischen Zustände bei der Registrierung und Unterbringung der Flüchtlinge unter massiver Kritik. Kann die Schweiz Erfahrungen beisteuern und Lösungswege aufzuzeigen?

C.S.: Wir haben den Lernprozess, durch den Deutschland derzeit geht, bereits hinter uns und sind gerne bereit, unsere Erfahrungen zu teilen. Einiges schaut sich die EU ja derzeit bereits ab: Die Schweizer Auffangzentren an der Grenze, in denen sich die Flüchtlinge registrieren lassen müssen und auf die Kantone verteilt werden, dienen möglicherweise als Vorbild für die geplanten Hotspots an den Schengen-Aussengrenzen.

Zügige Verfahren sind ganz wesentlich. Asylgesuchstellende, die aus einem sicheren Herkunftsland kommen, werden innert 48 Stunden geprüft. Und schliesslich sind wir konsequent bei den Rückschaffungen: Wessen Asylantrag abgelehnt wird, der muss die Schweiz verlassen, um die Chancen für jene zu erhöhen, die den Schutz wirklich benötigen und den auch erhalten. Wir haben nach wie vor eine hohe Schutzquote, das oberste Prinzip ist die Achtung der UN-Flüchtlingskonvention. Dass wir konsequent unsere Massnahmen umgesetzt haben, hat die Anzahl der Gesuche sinken lassen.

swissinfo.ch:Die Bearbeitung der Asylanträge ist nur der erste Schritt: Was könnte Berlin sich hinsichtlich der Integrationspolitik in Bern abschauen?

C.S.: Die Schweiz ist immer schon ein Immigrationsland gewesen, anders als Deutschland. Das sieht man auch deutlich in den Städten. Mir erscheinen Basel und Zürich als viel multikultureller als Berlin. 33 Prozent unserer Bürgerinnen und Bürger haben Migrationshintergrund. Wir haben gelernt, dass es wichtig ist, Immigranten rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren, Kinder rasch in die Schule zu schicken und konnten auch eine Ghettobildung vielerorts vermeiden. Damit will ich aber nicht sagen, dass es in der Schweiz keine Probleme und keinen wachsenden Widerstand aus der Bevölkerung gibt.

swissinfo.ch:Womit wir beim nächsten Thema wären: Die «Masseneinwanderungsinitiative» bleibt das grosse heisse Eisen in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU und damit auch mit den deutschen Nachbarn. Der Bundesrat hat angekündigt, mittels einer Schutzklausel die Zuwanderung von Personen, die unter das Freizügigkeitsabkommen mit der EU fallen, steuern zu wollen. Die konkreten Regelungen will man einvernehmlich mit Brüssel klären. Glauben Sie, die EU wird sich darauf einlassen?

C.S: Die Konsultationen mit der EU-Kommission laufen. Beide Seiten haben ein Interesse daran, eine Lösung zu finden. Ich verstehe, dass die Freizügigkeit für Brüssel von hohem Wert ist, auch, damit es keine Nachahmer gibt, wenn man daran rüttelt. Ohne eine Lösung in Brüssel müsste Bern die Konsequenzen der «Masseneinwanderungsinitiative» jedoch mit einer Verordnung umsetzen beziehungsweise eine einseitige Schutzklausel einführen. Es ist unklar, wie die EU darauf reagieren würde.

swissinfo.ch:Die Ankündigung der Schutzklausel setzt die EU weiter unter Druck. Ist das der richtige Weg, zu einer Lösung zu kommen? Oder wäre eine neue Abstimmung unter anderen Vorzeichen eine Möglichkeit.

C.S.: Wir können ja nicht erneut über die gleiche Frage abstimmen, sondern haben den Willen der Mehrheit umzusetzen. Falls es zu einer Abstimmung unter veränderten Vorzeichen kommen sollte, müssten sich die Bürger informieren können, was eine Aussetzung der bilateralen Verträge für die Schweiz bedeuten würde.

Aktuelle Studien zeigen ja, dass deren Ende durchaus negative Konsequenzen für die Schweiz haben könnte. In diesem Punkt sind auch die Wirtschaftskreise gefordert, dies deutlich zu kommunizieren. Die Zeit drängt in der Tat. Es finden wie erwähnt Konsultationen zwischen der Schweiz und der EU-Kommission statt, um eine Lösung zu finden. Ich hoffe sehr, dass das gelingt.

swissinfo.ch:Von den Länderkontingenten wären auch Grenzgängern aus dem benachbarten Baden-Württemberg betroffen.

C.S: Ja, auch deshalb ist die Stimme der Schweizer Wirtschaft in der Debatte wichtig, sie braucht diese qualifizierten Fachkräfte.

swissinfo.ch:Sie drücken sich da sehr viel diplomatischer aus als ihr Vorgänger Tim Guldimann, der die «Masseneinwanderungsinitiative» immer wieder heftig kritisiert hat und lange offen wünschte, die Schweiz möge der Europäischen Union beitreten.

C.S.: (lacht) So etwas werden sie von mir nicht hören. Ich sehe mich hier als Vertretung der Schweizer Regierung. Ich habe kein politisches Mandat, entsprechend halte ich mich mit meinen persönlichen Meinungen zurück. Die zu äussern ist nicht Teil meiner Aufgabe.

swissinfo.ch:In diesen Tagen läuft die neue Heidi-Verfilmung in deutschen Kinos an, inklusive wunderbarer Aufnahmen der Alpen. Sind diese Bilder förderlich oder hinderlich in der Selbstdarstellung der Schweiz.

C.S.: Im Hinblick auf den wichtigen Wirtschaftsfaktor Tourismus sind sie schon wichtig. Ich bin in Japan aufgewachsen, und die Japaner lieben uns für diese Bilder. Wir müssen aber auch die Seite einer innovativen und modernen Schweiz präsentieren. Unser Land ist Innovationsweltmeister, Standort modernster Forschung und internationaler Unternehmen. Auch das sollten Menschen mit der Schweiz verbinden. Berge, Käse und Uhren geben nur ein unzureichendes Bild ab.

swissinfo.ch:Ein moderneres Schweizbild haben zumindest die Baden-Württemberger Nachbarn, die sich seit Jahren gegen den Fluglärm am Flughafen Zürich-Kloten zur Wehr setzen. Der 2013 ausgehandelte Staatsvertrag ist weiterhin von deutscher Seite aus nicht ratifiziert.

C.S.: Auch hier müssen wir eine Lösung finden. Die Schweiz hat den Vertrag ratifiziert, wir möchten ihn nicht wieder öffnen. Ich habe in Gesprächen in Baden-Württemberg erlebt, wie emotional der Konflikt besetzt ist. Es wäre hilfreich, die Fakten wieder stärker in den Vordergrund zu rücken.

Die Herausforderung ist, dass Lärm nun einmal sehr subjektiv wahrgenommen wird. Ich weiss das aus eigener Erfahrung, mein Elternhaus steht in der Anflugschneise, nur 15 Kilometer vom Flughafen entfernt. Auch dort protestieren Anwohner gegen die Belastung, es trifft ja nicht nur die Deutschen. Der Hauptlärm konzentriert sich jedoch, das zeigen Studien, in der Nähe des Flughafens auf Schweizer Seite.

swissinfo.ch:Das empfinden die Menschen in Südbaden anders. Sie trauen den offiziellen Zahlen und Ankündigungen nicht.

C.S.: Ein Flughafen erzeugt ohne Frage Lärm, aber er dient der ganzen Region über die Grenze hinaus. Kloten wird auch von Deutschen stark genutzt. 14 Prozent der Passagiere, die in Kloten landen, fliegen weiter nach Deutschland. Er ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für deutsche Fluglinien. Die fünf grössten an dem Standort sind deutsche Luftfahrtgesellschaften, unter ihnen Swiss, Airberlin und Edelweiss. Sie befördern zwei Drittel der Passagiere. 700 in Deutschland wohnende Personen arbeiten am Flughafen Kloten.

Ich würde mir wünschen, dass beide Seiten offen versuchen, zu einer Lösung zu kommen. Dabei würde ich gerne Brücken bauen zwischen den beiden Positionen.

swissinfo.ch:«Frauenpower in der Diplomatie» titelte der Tagesanzeiger nach Ihrer Berufung. Vor ihnen war keine der Botschaften in der ersten Reihe der Diplomatie mit einer Frau besetzt. Sie haben in den 1990er-Jahren zunächst für Teilzeitstellen im diplomatischen Dienst gekämpft und später für das Jobsharing mit ihrem Mann. Haben es Frauen im diplomatischen Dienst schwerer als Männer?

C.S.: Früher sicherlich. Bis in die 1970er-Jahre hinein gab es noch eine Bestimmung, dass Frauen mit der Heirat aus dem versetzbaren diplomatischen Dienst austreten mussten. Anfang der 1990er-Jahre war dort noch immer keine Teilzeit-Arbeit möglich. Das hat mich damals sehr gestört, weil es vielen Frauen unmöglich machte, Karriere und Familie zu vereinbaren. Mein Mann und ich hatten uns aber von Anfang darauf verständigt, dass wir uns beide gleichermassen in Karriere und Familie engagieren wollten.

Ich habe daraufhin den damaligen Aussenminister angeschrieben und bin auf offene Ohren gestossen. Die Regelung wurde sehr rasch geändert. 1997 wollten mein Mann und ich uns dann eine Stelle teilen. Auch das hat uns Überzeugungsarbeit gekostet, so fremd schien die Vorstellung des Job-Sharing. Die Diskussion reichte bis zu dem Argument, dass es ja nur einen Schreibtisch für zwei Personen gebe. Wenn es daran scheitert, kaufe ich selber einen zweiten, habe ich geantwortet (lacht). Man hat uns dann als Pilotprojekt gemeinsam eine Stelle in Dublin übertragen.

swissinfo.ch:Und wie hat das funktioniert?

C.S.: Sehr gut, das hat auch eine externe Revision in der Zeit bescheinigt. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat davon ebenfalls profitiert. Mein Mann und ich haben beide weit mehr als die vereinbarten 50 Prozent gearbeitet, zumal wir häufig beide abends Termine wahrgenommen haben.

Auch in Thailand haben wir uns zunächst die Position des Botschafters geteilt, aber durchwegs beide vollzeit gearbeitet, auch weil die Kinder schon grösser waren. Eigentlich war das kein gutes Vorbild für ein echtes Job-Sharing. Dann wurde meinem Mann die Leitung der neu eröffneten Botschaft in Myanmar übertragen, und wir übernahmen beide Vollzeitstellen. Als Konsequenz haben wir uns in den letzten drei Jahren nur ein bis zwei Mal im Monat sehen können. Mein Mann arbeitet nun auf einer halben Stelle als Botschafts-Inspektor. Zwar muss er oft nach Bern und reist viel, aber unser gemeinsamer Lebensmittelpunkt ist nun in Berlin. Das geniessen wir sehr.

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