Brexit: Ist die Landwirtschaft ohne EU grüner?
Grossbritannien argumentiert, der Brexit mache die britische Landwirtschaft grüner. Und das Nicht-EU-Mitglied Schweiz hat einen besonders hohen Tierschutzstandard. Ist eine Landwirtschaft ohne EU also grüner?
Die Schweiz hat eine der strengsten Tierschutzgesetzgebungen der Welt. Nutztiere bekommen mehr Platz und Tiertransporte dürfen weniger lange dauern als in der EU. Batteriehaltung von Hühnern, Stopfleber, das Abschneiden von Froschschenkeln und das Kastrieren von Ferkeln ohne Betäubung sind verboten. Die Schweizer Landwirtschaft ist geprägt von vergleichsweise kleinen Höfen und einer hohen Dichte an Bio- und Label-Betrieben. Zudem sind viele Subventionen an ökologische Leistungen oder tierfreundliche Haltung gebunden.
Das EU-Recht ist nicht nur weniger streng als das schweizerische, es setzt sogar negative Anreize. Wenn ein europäischer Bauer einen Teil seines Landes renaturiert, muss er damit rechnen, dass ihm wegen der verkleinerten Ackerfläche die Subventionen gekürzt werden.
«Das Grundproblem ist, dass der grösste Teil der europäischen Fördergelder nach Flächen verteilt wird», sagt Sven Giegold, deutscher Ökonom und Grünen-Politiker im Europaparlament. Die EU-Zuschüsse würden nicht an starke Umwelt- oder Tierschutzauflagen gebunden. Das sei ein Fehlanreiz.
Dank Brexit ökologischer?
Dieser Fehlanreiz ist auch Grossbritannien aufgefallen, wo sogar die Queen als Grossgrundbesitzerin EU-Landwirtschaftssubventionen bezog. Laut MedienberichtenExterner Link erhielt ein saudischer Milliardär im Jahr 2016 von der EU über 400’000 Pfund Landwirtschaftssubventionen, weil er in Grossbritannien Rennpferde züchtet. Die britische Regierung hat versprochen, die Subventionen nach dem Brexit an der Ökologie und dem Tierschutz auszurichten.
Es bestehe tatsächlich die Chance, dass die britische Landwirtschaft nach dem Brexit ökologischer werde, sagt Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz. «Grossbritannien kann seine Agrarpolitik wieder so gestalten, wie es die Briten auch wollen. Die britische Agrarpolitik kann neu aufgegleist werden, mit einem Ansatz, der nachhaltige Landnutzung, Biodiversität und den Landschaftsschutz besser berücksichtigt.»
Das sieht Giegold anders: Laut dem EU-Parlamentarier ist noch unklar, ob der Brexit zu einer ökologischeren Landwirtschaft führt. «Die Briten sprechen mit gespaltener Zunge. Sie wollen mit der ganzen Welt Freihandelsverträge abschliessen. Diese zwingen das globale Preisniveau in den lokalen Markt.» Zu diesen Preisen könne man aber in Europa nicht umwelt- und tierfreundlich produzieren, auch nicht in Grossbritannien. Vermutlich wisse Boris Johnson selbst noch nicht, wie er diesen Widerspruch zwischen Ökologie und Freihandel lösen wolle.
EU-Mitgliedschaft kann sich auch positiv auswirken
Es gibt auch das Gegenbeispiel, dass sich nämlich die EU-Mitgliedschaft positiv auf die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft eines Landes auswirkt. Bei Österreich und Irland war das der Fall. Mit dem Beitritt zur EU mussten sie ihre Landwirtschaft neu ausrichten und Subventionen kürzen.
Österreich wird inzwischen als «Feinkostladen Europas» bezeichnet. «Österreich setzte statt auf Massenprodukte vermehrt auf Nischen und höherwertige Produkte», sagt Patrick Dümmler vom wirtschaftsnahen Thinktank Avenir Suisse. «Und Irland promotet das Label ‹Origin Green› und hat mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln auf dem europäischen Markt Erfolg.»
Zudem finden sich auch in der Schweiz absurde Fehlanreize: Aus Umweltsicht wäre ein niedriger Fleischkonsum erstrebenswert, doch die Schweiz pumpt Steuergelder in zweistelliger MillionenhöheExterner Link in die Fleischlobby Proviande, um den Fleischabsatz durch Werbung anzukurbeln. Oder: Pflanzenschutzmittel gelten als umweltschädlich, dennoch profitieren sie von einem deutlich niedrigeren Mehrwertsteuersatz (2,5% statt 7,7%). Und: Als der Bund 2014 die Sömmerungsbeiträge erhöhte, um die wirtschaftlich prekäre Situation der Älplerinnen und Älpler zu mildern, führte das in den Schweizer Bergen zu einem HerbizidboomExterner Link. Denn wenn die Kontrolleure zu viele «Problempflanzen» entdecken, werden die Direktzahlungen gekürzt. Also spritzen die Bauern.
Auch in der Schweiz ist nicht alles grün, was glänzt
Die Schweizer Landwirtschaftspolitik schafft laut Binswanger für Bauern immer grössere Anreize, keine Lebensmittel mehr zu produzieren, sondern sich stattdessen als «Landschaftsgärtner und Ökoverwalter» zu betätigen. Er sieht eine unheilige Allianz: Die Wirtschaft würde gerne billige Agrarprodukte aus dem Ausland importieren und sei froh, wenn ein Land wie die Schweiz nicht mehr selbst produziere. Den Grünen und den Ökobewegungen gehe es hauptsächlich um Treibhausgasreduktionen in der Landwirtschaft. «Diese reduzieren sich umso mehr, je weniger produziert wird. Die Förderung einer lokalen Produktion mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln wird dadurch erschwert.»
Und das Problem wird lediglich ins Ausland verschoben: Denn, wenn mehr Güter importiert werden müssen, so finden Flächenverbrauch und Umweltbelastung einfach in anderen Ländern statt. «Die Schweiz ist – genauso wie Deutschland – nicht selbstversorgend, was die Flächennutzung angeht», drückt es Giegold aus. Die Agrarproduktion sei globalisiert, auch für Länder wie die Schweiz. «Wenn wir die Auswirkung der Landwirtschaft auf Klima und Tierschutz gestalten wollen, dann geht das nur global.» Sprich: In einer starken und geeinten EU.
Auch Dümmler sieht die Schweizer Landwirtschaftspolitik kritisch: «Fakt ist, dass wir als Schweizer Steuerzahlende so viel Geld in den Agrarsektor pumpen und als Konsumierende so viel für Lebensmittel zahlen wie in keinem EU-Land.» Trotz dieser hohen Kosten erreiche die Schweizer Landwirtschaft aber kaum eines der gesteckten UmweltzieleExterner Link. Die Umweltschäden der Landwirtschaft in der Schweiz seien hoch, Avenir Suisse schätzt sie auf 7,6 Milliarden FrankenExterner Link jährlich.
Green Deal: EU könnte die Schweiz überholen
Sowohl die EU als auch die Schweiz wollen grüner werden: Die EU mit dem European Green Deal, die Schweiz mit der Agrarreform AP22+. Letztere wurde allerdings kürzlich sistiert. «Damit wurden auch Massnahmen im Umweltbereich auf die lange Bank geschoben», so Dümmler, der in der EU einen grösseren Willen für politische Reformen feststellt als in der Schweiz.
Könnte die EU die Schweiz in Sachen ökologischer Landwirtschaft also überholen?
«Wohl kaum», sagt Binswanger. Die gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) sei geprägt durch grosse Ankündigungen, denen oft nur wenig konkrete Massnahmen folgten. «Letztlich wird in der EU an der Förderung einer intensiven, hochproduktiven Landwirtschaft festgehalten, da die meisten Zahlungen weiterhin an industrielle Landwirtschaft betreibende Grossbauern gehen. Diese Zahlungen werden einfach mit etwas mehr Nachhaltigkeit und Biodiversität garniert.»
Auch Giegold ist bloss verhalten optimistisch. «Der Green Deal hat leider die gemeinsame Agrarpolitik im Kern aussen vorgelassen.» In der «Farm to fork»-Strategie sei immerhin eine Reduktion der Pestizide vorgesehen. Mit dieser Strategie will die EU-Kommission die Lebensmittelproduktion in der EU nachhaltiger machen, es sollen beispielsweise weniger Antibiotika und Düngemittel eingesetzt und dafür der ökologische Landbau gefördert werden. «Ich gehe also schon davon aus, dass die Wünsche bezüglich grüner Landwirtschaft früher oder später beim Green Deal ankommen, aber das wird eine Weile dauern.»
Freihandel behindert Ökologie
Auch wenn sich Multilateralismus – wie beim Green Deal – positiv auf Umweltziele auswirken kann, so ist das internationale Recht in anderer Hinsicht ein Hemmschuh: So verzichteten in der Schweiz Regierung und Parlament darauf, den Import von tierquälerischen Produkten zu verbieten, weil dies nicht mit dem internationalen Recht – Stichwort Freihandel – vereinbar sei. Geplant ist deshalb eine Volksinitiative, denn wenn Regierung und Parlament bocken, kann man in der Schweiz dank direkter Demokratie die Stimmbevölkerung zu Hilfe holen.
«Ich verstehe jeden in der Schweiz, der Tierschutznormen nicht nur im Inland will, sondern auch bei importierten Produkten», sagt Giegold. «Ich würde jedem Land raten, sich bei solchen Konflikten auf die höheren Werte zu beziehen und notfalls für die eigenen Werte hinzunehmen, dass andere Länder mit Sanktionen drohen.»
Dümmler schlägt vor, den Konflikt zwischen internationalem Recht und Tierschutz schlicht mit einer Deklaration der Produktionsbedingungen zu lösen. «Die grossen Detailhandelsketten in Deutschland zeichnen Fleisch einheitlich in fünf verschiedenen Abstufungen aus, gemessen an der Haltungsform der Nutztiere.» Das lasse den Konsumierenden die Wahlfreiheit und verletze keine Abkommen.
Anders sieht es Binswanger: «Ich bin generell dafür, dass Agrarprodukte vom Freihandel ausgenommen werden, wie dies bis zu der Uruguay-Runde im Rahmen des GATT bis in die 1980er-Jahre allgemein akzeptiert war», so der Volkswirtschaftsprofessor. «Totaler Freihandel verhindert nicht nur den Erhalt einer produzierenden Landwirtschaft in Ländern wie der Schweiz, sondern erschwert auch eigenständige Lösungen wie strenge Bestimmungen zum Tierwohl.»
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch